FYI.

This story is over 5 years old.

News

So reagieren Europas wichtigste Satiriker auf das Charlie-Hebdo-Attentat

Wir haben den Eulenspiegel und andere europäische Satiremagazine um Statements gebeten.

Lest hier alles rund um den Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris: #JeSuisCharlie

Gestern überfielen drei Männer die Redaktion des französischen Satire-Magazins Charlie Hebdo und eröffneten das Feuer. Dabei starben 12 Menschen und weitere fünf wurden schwer verletzt. Nicht nur Paris trauert: Unsere internationalen Büros haben jetzt die führenden Satiriker Europas um eine Stellungnahme zu dem Massaker gebeten.

Anzeige

ITALIEN – linus

Ein Cover von alterlinus, einer Beilage von linus, aus dem Jahre 1974. Darauf ist auch der Name des Karikaturisten Georges Wolinski zu sehen, der bei dem gestrigen Überfall getötet wurde.

linus wurde 1965 gegründet und konzentriert sich heutzutage hauptsächlich auf Comics. Die Arbeiten von Satirikern sind darin allerdings immer noch zu finden. Die Gestaltung und der Inhalt waren eine Inspiration für das französische Magazin Charlie Monthly, das wiederum Namenspate für Charlie Hebdo war.

Stefania Rumor, Herausgeber:
„Damals in den 60er Jahren waren wir gut mit den Redakteuren von Hara-Kiri befreundet. Als einige von ihnen Charlie Hebdo gründeten, sahen wir das Charlie Brown-Zitat im Namen als eine Art Hommage an. Wir haben schon seit Jahren Wolinskis Zeichnungen veröffentlicht und ich kannte ihn persönlich. Ihre Satire war wirklich auf den Punkt gebracht, und sie machten sich wegen nichts und niemandem Sorgen. Letztendlich dachten sie aber auch, dass sie eine große journalistische Verantwortung tragen. Vielleicht hatten sie irgendwie schon eine Vorahnung, dass etwas passieren könnte, aber mit so etwas hat sicher niemand gerechnet. Die Leute glauben, dass man mit Satire ein gewisses Risiko eingeht, aber das stimmt nicht. Ich bin schockiert und mache mir wegen der Folgen—vor allem für die jungen Leute—große Sorgen. Die Vorstellung, dass man für seine Zeichnungen vielleicht umgebracht werden könnte, kann selbst den mutigsten Karikaturisten ins Zweifeln bringen. Ich kann noch überhaupt nicht begreifen, was da gestern passiert ist."

Anzeige

§

DEUTSCHLAND – Eulenspiegel

Dr. Mathias Wedel, Chefredakteur:
"Natürlich sind wir schrecklich erschrocken und das geht uns sehr nahe. Wir diskutieren das in der Redaktion, versuchen uns aber mit Humor über die Situation zu retten. Es stellt sich für uns natürlich auch die Frage, wie wir als Zeitung darauf reagieren und wir werden, so bitter das klingt, zuerst einen Witz machen müssen. Das ist nämlich leider—oder glücklicherweise—unser Beruf. Genau wie wir auch Terrorismus im Allgemeinen oder dem Krieg mit Humor begegnen müssen.

Für uns selbst als Redaktion sehe ich keine Bedrohung, auch wenn wir uns humoristisch mit dem Islam auseinandersetzen—natürlich nur mit seinen politischen Seiten, denn Glaubensfragen interessieren uns nicht. Die Frage, ob wir weiterhin Mohammed-Karikaturen veröffentlichen, stellt sich für uns gar nicht, weil wir das im Allgemeinen nicht machen. Meine Kollegen und ich würden immer die Freiheit verteidigen, alles zu sagen, zeichnen und schreiben zu dürfen, was wir wollen. Aber wir müssen nicht jede Freiheit ausschöpfen und in Anspruch nehmen. Damit würden wir unsere Leser nicht provozieren, nur Islamisten. Und es gibt effektivere Wege, den Islamismus zu bekämpfen, als mit einer Karikatur in einem Satiremagazin."

§

ÖSTERREICH – Die Tagespresse

Fritz Jergitsch, Gründer: (hier geht es zum ausführlichen Gespräch)
„Wenn ich einen Artikel machen würde, in dem ich mich über den Islam lustig mache, dann würden das 99 Prozent der Muslime und Musliminnen in Österreich auch lustig finden. Es ist aber sicher ein Problem, dass es eine sehr, sehr kleine, radikale Strömung innerhalb des Islams gibt, die dann zu solchen unfassbaren Mitteln greift.

Anzeige

Ich glaube, dass ich für meine Artikel über die katholische Kirche vor 300 Jahren ins Gefängnis gekommen wäre. Es gab aber zum Glück die Aufklärung und die Gesellschaft hat sich ganz einfach gewandelt, sodass Kritik an der katholischen Kirche heute kein Problem ist. In einigen muslimischen Ländern gibt es da sicherlich Defizite, allerdings ist das ein Problem einzelner Menschen und nicht des Islams per se, denke ich."

§

VEREINIGTES KÖNIGREICH – Will Self

Foto: Texas A&M University-Commerce Marketing Communications Photography | Flickr | CC BY 2.0

Will Self, Schriftsteller:
„Damals, als es um die dänischen Karikaturen ging, stellte ich fest, dass sich der Test, mit dem ich beurteilte, ob es sich bei einer Sache tatsächlich um Satire handelt, von H.L. Menckens Definition für guten Journalismus ableiten lässt: Er soll ‚diejenigen plagen, die es gut haben, und die Geplagten trösten.' Das Problem mit sogenannter ‚Satire' gegen religiös motivierte Extremisten ist allerdings, dass nicht ganz klar ist, wen sie eigentlich plagt oder wen sie tröstet. Das soll in keiner Weise den Mord an den Journalisten rechtfertigen, der schlicht und einfach zu verdammen ist, aber unsere Gesellschaft hat aus dem ‚Recht auf freie Meinungsäußerung' einen Fetisch gemacht, ohne jemals zu hinterfragen, welche Verantwortung mit diesem Recht einhergeht."

§

SPANIEN – El Mundo Today

Ein Screenshot der Homepage von El Mundo Today. Die Überschrift und der Zwischentitel lassen sich entweder als „Allah ist ein Penis - Nicht schießen" oder als „Allah ist total cool - Nicht schießen" übersetzen—je nachdem, wie du es interpretieren willst.

Xavi Puig, Mitbegründer:
„Ich paraphrasiere hier mal Walter Benjamin: ‚Ich verstehe die Äußerung ‚Das erscheint unmöglich, wir befinden uns doch im 20. Jahrhundert' nicht. Die Geschichte ist kein geradliniger Weg in eine bessere Zukunft. Ab und an kommt der Scheiß aus der Vergangenheit wieder, um unser Leben nochmals auf den Kopf zu stellen.' Gerade scheint es in Frankreich wie im Mittelalter zuzugehen. Ich hasse es, dass diese Idioten Benjamins Zitat legitimieren, weil dieser Typ so langweilig ist … Aber das ist nunmal die Welt, in der wir leben."

Anzeige

§

SPANIEN – Orgullo y Satisfacción

Manuel Bartual:
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist einfach furchtbar. Ich bin schockiert und will gerade eigentlich gar nicht darüber nachdenken müssen. Es ist eine riesige Tragödie."

§

NORDIRLAND – The Vacuum

Richard West, Vacuum-Mitbegründer:
„Es ist grauenvoll—absolut sinnlos. Es ist ziemlich schwer, sich in Nordirland vorzustellen, für einen religiösen Kommentar körperlich bedroht zu werden. Ich denke, dass die Menschen in der Pflicht stehen zu sagen, dass dieser Vorfall keine abschreckende Wirkung haben darf. Aber wahrscheinlich wird es diese geben. Sehr wahrscheinlich wird man sich jetzt zwei Mal überlegen, was man veröffentlicht. Es wird auch gesagt, dass wir manche Sachen aus Solidarität heraus veröffentlichen sollten, aber jede Publikation hat ihre eigenen Gründe und Motive dafür, was und wie sie veröffentlicht.

Das ist auch etwas, das beibehalten werden sollte. Ich bin der Meinung, dass wir hier stehen und diesen Menschen, die sinnlos ermordet worden sind, unseren Respekt zeigen können, ohne zwangsläufig zu sagen, dass wir alles gutheißen, was sie je veröffentlicht haben. Es gibt aber nichts, was einen kaltblütigen Mord rechtfertigt."

§

SERBIEN – Njuz.net

Njuz ist Serbiens führende Satire-Website.

Marko Drazic, Redakteur:
„Das ist der traurigste Tag für alle von uns in dieser Branche. Es ist aber auch eine Mahnung an uns, wie bisher mit unserer Arbeit weiterzumachen. Die Tragödie von Paris bestätigt einfach nur, wie viel Böses und viel Ungerechtigkeit es in dieser Welt gibt. Es ist unsere Pflicht, dagegen anzukämpfen, und das beste Mittel, das wir kennen, ist Satire."

Anzeige

§

NIEDERLANDE – De Speld

Die Homepage von De Speld gestern. Die Schlagzeile lautet: „Keine Toten bei satirischem Angriff"

Gestern Morgen postete De Speld eine Antwort auf Facebook, die in etwa lautete: „Durch der satirischen Angriffe der französische Zeitschrift Charlie Hebdo wurde niemand getötet oder verletzt. Nach diesem Vorfall beläuft sich die Gesamtzahl der Opfer satirischer Angriffe seit Anbeginn der Zeit auf null."

Wir haben den Chefredakteur Jochem van den Berg um eine Stellungnahme gebeten: „Unser Facebook-Post ist ein schlagkräftigeres Statement als alles, was wir im Ernst darüber sagen könnten, deshalb wollen wir es dabei belassen."

§

GRIECHENLAND

Eine Karikatur der Goldenen Morgenröte von Andreas Petroulakis

Andreas Petroulakis, angesehener Cartoonist und Satiriker, der momentan für die Zeitung Kathimerini arbeitet:
„Dieser Angriff hat mich schockiert. Das ganze Chaos hat mich fassungslos gemacht. Ich bin wirklich sprachlos. Das ist eine Tragödie. Während wir in Europa für Meinungsfreiheit und Demokratie kämpfen, während wir versuchen, unsere kulturellen Unterschiede zu überwinden, predigen islamische Führer in anderen Teilen der Welt blinden Hass und Dogmatismus. Aber die Satire wird am Ende triumphieren und weißt du auch, warum? Weil man sie nicht zum Schweigen nötigen kann. Ohne Satire hätte eine Gesellschaft Angst vor ihrem eigenen Spiegelbild, sie würde von ihrem Weg abkommen."

§

BELGIEN – Humo

Danny Ilegems, Chefredakteur:
„Uns fehlen die Worte. Wenn man auf unsere Website geht, dann findet man dort nur ein großes, schwarzes Quadrat. Man kann unsere Sprachlosigkeit also schon ziemlich wörtlich nehmen."

Anzeige

Inzwischen ist auf der Homepage des Magazins eine Hommage an die ermordeten Karikaturisten von Charlie Hebdo zu sehen.

§

SCHWEDEN – Galago

Johannes Klenell, Redakteur:
„Als ich von der Sache hörte, ging ein Schaudern durch meinen Körper. Meine Gedanken gehören den Opfern und ihren Angehörigen. Viele von uns, die mit Satire arbeiten, haben schon selber Drohungen erfahren. Satire und das Infragestellen von Macht und Unterdrückung können die Emotionen hochkochen lassen, weil es sehr effektive Mittel sind. In Schweden haben wir es meistens mit dem anonymen Hass der extremen Rechten zu tun. Man hat aber nie das Gefühl, es könnte tatsächlich mal was passieren. Diese anonymen Gegner fristen ihr Dasein eigentlich immer nur als Geister, aber jetzt plötzlich existieren sie in Fleisch und Blut.

Ich glaube nicht, dass die Sache einen Einfluss auf Satire haben wird—das hoffe ich jedenfalls. In der Regel sind Satiriker aus einem solchen Holz geschnitzt, das unter Druck nicht nachgibt: Wir stehen, bis wir zerbrechen. Trotzdem mache ich mir Sorgen darüber, welche Lager uns für das, was geschehen ist, zu ihrem eigenen Zweck nutzen werden. Wie werden die extremen Rechten die folgende Debatte formen? Ich mache mir Sorgen, dass sie versuchen werden, unsere Kunst und unsere Ausdrucksweise für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen."

§

POLEN – Polityka

Janek Koza, gefeierter Cartoonist/Satiriker:
„Es ist schwer, angesichts dieser furchtbaren Ereignisse einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Ich bin bloß froh, dass die Waffen, mit denen wir kämpfen, satirische Zeichnungen und Texte sind, und ich hoffe, dass wir mit ihrer Hilfe gewinnen werden."