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Das erwarten sich Flüchtlinge von der Schweiz

Ich habe mit drei Flüchtlingen darüber gesprochen, wie sie in die Schweiz kamen und was sie sich hier erwarten.

Foto: Evan Ruetsch

„Wie gehen wir mit den Flüchtlingen um?" ist momentan eine der meistdiskutierten Fragen in der Schweiz. Wie wir hier schon berichtet haben, missfällt es vielen immer wieder, Menschenleben vor Krieg und Gewalt zu retten, indem man sie hier aufnimmt und ihnen ein Dach über dem Kopf gibt. Überbevölkerung, steigende Kriminalitätsrate sowie Steuergelder werden immer wieder als Grund vorgeschoben, um die Pforten zur Schweiz zu schliessen.

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Meinungen wie „Die bekommen hier alles in den Arsch geschoben und wir müssen dafür Steuern zahlen" habe ich nicht nur einmal im Zusammenhang mit diesem Thema gehört. Ist das wirklich so? Leben Kriegsflüchtlinge wie Könige auf unsere Kosten? Und wieso entscheiden sich Flüchtlinge eigentlich dafür, in die Schweiz zu kommen und nicht zum Beispiel nach Deutschland?

Um das herauszufinden, begleitete ich einen Tag lang eine Sozialarbeiterin, die für die Nothilfe von Asylsuchenden zuständig ist. Ich sah, wie Flüchtlinge leben (nein, ganz und gar nicht wie Könige—im Aargau sogar bald in Zelten) und habe mit drei von ihnen über ihre Geschichten gesprochen. Manche erzählten sehr offen darüber, wie sie hierher kamen und was sie sich von der Schweiz erwarten, andere waren zurückhaltend und ängstlich. So unterschiedlich ihre Erfahrungen und Erwartungen auch sind, eines haben alle drei gemeinsam: Sie kamen in die Schweiz auf der Suche nach einer besseren Zukunft.

Abdouraham, 23 Jahre

Vor fast sieben Jahren entschloss ich mich, aus meinem Heimatland Somalia zu flüchten. Ich hatte einen einfacheren Weg als andere, denn ich wanderte nicht durch die Wüste und brauchte auch kein Schiff, um nach Europa zu kommen. Da ich ein Visum bekam, flog ich von unserem Nachbarland Dschibuti aus direkt nach Paris. Von Paris aus nahm ich dann den Zug in die Schweiz.

Mein ursprüngliches Ziel war eigentlich England, denn dort leben meine Geschwister. Sie haben mir auch den ganzen Weg finanziert: 3.500 Dollar hat meine Reise gekostet. Obwohl meine Geschwister schon seit fast 17 Jahren in England leben, ist es für mich zu schwer dorthin zu kommen, da in England eine strengere Flüchtlingspolitik herrscht. Aber jetzt will ich sowieso nicht mehr dorthin, höchstens um sie mal zu besuchen. Ich habe mir ein Leben in der Schweiz aufgebaut und es gefällt mir sehr gut hier.

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Foto: Duncan Hull | Flickr | CC BY 2.0

Bevor ich hierher kam, hatte ich zwar keine Ahnung, wie die Schweiz aussehen könnte, aber ich hatte eine gewisse Vorstellung von der Schweiz. Ich habe gehört, es sei hier sicher, ordentlich und die Menschen seien freundlich. Und natürlich habe ich auch von der Krankenkassenpflicht gehört. Die Schweiz ist das einzige Land, in dem man die Krankenkasse zahlen muss. Ich muss sagen, meine Vorstellungen haben sich grösstenteils bewahrheitet. Was ich bisher gesehen habe, ist so, wie ich es mir dachte. Natürlich habe ich noch nicht alles in der Schweiz gesehen und kann das darum nicht mit hundertprozentiger Genauigkeit bestätigen.

Die Schweiz ist ein schönes Land und ich lebe sehr gerne hier. Trotzdem gibt es Dinge, die mir an der Schweiz nicht gefallen. Zum Beispiel die alten Menschen. Alte Menschen sind oftmals rassistisch und unfreundlich zu mir. Wenn ich sie auf der Strasse grüsse, geben sie keine Antwort. Einmal sprach mich ein alter Mann im Zug an und sagte: „Was machst du hier, schwarzer Mann?". Solche Sachen probiere ich zu ignorieren oder gehe einfach an einen anderen Ort. Trotz solcher Aussagen behandle ich aber alte Leute mit Respekt, denn das könnte ja auch mein Vater sein.

Auch der Arbeitsmarkt ist nicht ganz fair mir gegenüber. Sobald die Arbeitgeber sehen, dass ich schwarz bin, tun sie so, als ob die Stelle bereits vergeben wäre, auch wenn ich vielleicht das Können und die nötige Erfahrung dafür hätte. Ich habe bereits 3.5 Jahre in der Schweiz gearbeitet. Ich arbeitete bei einer Reinigungsfirma und in einem Restaurant am Flughafen in Zürich. Ich habe fleissig meine Steuern gezahlt und mich hier integriert. Trotzdem werde ich wegen meiner Hautfarbe deutlich diskriminiert. Aber für mich sind alle Menschen gleich, ich lasse mich von dieser Einstellung nicht beeinflussen.

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Die Schweizer Gesetze finde ich ebenfalls nicht immer gerecht. Wenn man Arbeit hat, darf man eine Aufenthaltsbewilligung haben, wenn man keine hat, muss man die Bewilligung abgeben und hat keinen Ausweis mehr. Das macht keinen Sinn für mich. Ach ja: Die SVP mag ich auch nicht.

Foto: Metro Centric | Flickr | CC BY 2.0

Trotzdem fühle ich mich hier in der Schweiz willkommen. Ich habe Schweizer Freunde, die mich akzeptieren und ich hatte auch eine feste Freundin während drei Jahren (und ja, sie war auch Schweizerin). Ich hoffe in Zukunft einen guten Job zu finden, um ein besseres Leben führen zu können.

Freweini, etwa 32 Jahre

Vor etwa sieben Jahren flüchtete ich mit meiner Familie aus Eritrea. Es herrscht nämlich Krieg in meiner Heimat. Ich wusste nicht wohin, aber wir wollten nur weg von dort. Zuerst kamen wir im Sudan an, wo ich anfing für ein reiches Ehepaar zu arbeiten. Ich musste Geld verdienen, um meine Reise fortsetzen zu können. Als ich genug Geld hatte, habe ich fremde Leute damit beauftragt, mir einen neuen Pass zu machen. Ich wollte unbedingt weiter nach Europa. Wohin war mir egal. England, Deutschland oder Italien, das spielte keine Rolle. Ich wollte nur mein Leben in Sicherheit wissen.

Mit meinem neuen Pass konnte ich also weiterreisen. Ich zahlte einem Mann viel Geld, um nach Europa zu kommen. Er buchte mir einen Flug und ich ging fort. Mein Bruder blieb im Sudan zurück. Seither habe ich ihn nie wieder gesehen. Ich weiss nicht, ob er lebt oder ob er tot ist. Ich weiss nicht, ob es ihm gut geht oder ob er in Schwierigkeiten steckt. Ich weiss nicht mal, ob er immer noch dort ist, wo ich ihn das letzte Mal gesehen habe.

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Mit dem Flugzeug gelangte ich schliesslich irgendwie in die Schweiz. Hier angekommen, mussten die Behörden zuerst meinen Ursprungsort bestimmen. Wie gesagt komme ich aus Eritrea, aber da mein Vater (welcher nicht mit mir in die Schweiz kam) aus Äthiopien stammt, wurde ich ebenfalls als Äthiopierin eingetragen. In der Schweiz bin also ich eine äthiopische Frau.

Nun wohne ich mit zwei anderen Flüchtlingen in dieser Wohnung. Ich habe schon viele kommen und gehen gesehen, aber ich bin immer noch da. Ich darf nicht arbeiten und ich darf bisher auch nicht in der Schweiz bleiben. Mein Verfahren ist aber immer noch offen. Seit fast sechs Jahren habe ich auch ein Kind. Mein Sohn ist hier geboren und besuchte auch hier eine Spielgruppe. Bald kommt er in den Kindergarten.

Foto: blu-news.org | Flickr | CC BY-SA 2.0

Trotz aller Schwierigkeiten, bin ich gerne in der Schweiz. Die Schweiz hat mir ein Dach über dem Kopf gegeben. Ich bekomme Essen, Trinken und ein Bett habe ich auch. Natürlich ist es schwer für mich, da ich vieles in diesem System nicht verstehe und vieles nicht nachvollziehen kann. Meiner Meinung nach sind auch die Behörden nicht immer fair. Nach sieben Jahren und einem Kind werde ich immer noch nicht aufgenommen und werde wie eine Aussätzige behandelt.

Oft vermisse ich meine Familie, aber so ist das eben. Sicherheit hat eben ihren Preis.

Afdhere, 17 Jahre

Vor etwa eineinhalb Jahren floh ich aus Somalia. Seit 23 Jahren hat man als somalischer Bürger keine Rechte und keine Freiheiten. Daran ist der somalische Bürgerkrieg Schuld.

In Somalia war meine Familie nicht arm. Ich machte dort eine Management-Ausbildung. Meine Eltern erkannten aber schnell, dass eine Ausbildung hier, vor allem während der Kriegszeit, keine Zukunft hatte. Deshalb sparten sie ihr ganzes Geld zusammen und schickten mich auf eine lange Reise nach Europa.

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Zuerst fuhr ich mit dem Bus nach Äthiopien und dann weiter in den Sudan. Dort stieg ich um auf ein Auto und durchquerte damit die Sahara. Ich kam in Libyen an, wo ich 50 Tage verbrachte. Danach konnte ich auf eines der berüchtigten Schlepper-Schiffe steigen. Wir fuhren damit nach Sizilien. Drei Tage verbrachte ich da, bevor ich mit dem Bus nach Rom weiterreisen konnte.

Foto: Ticketautomat | Wikimedia | CC BY 2.0

Als ich hier in Europa ankam, war ich etwa 15 Jahre alt. Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun oder wohin ich überhaupt gehen sollte. Also rief ich meine Mutter an und sagte ihr: „Ich bin jetzt in Europa, wo soll ich hin?" Sie riet mir, nach Deutschland zu gehen, um dort meine Management-Ausbildung zu beenden. Als ich dann von Rom aus über die Schweiz nach Deutschland wollte, wurde ich an der Schweizer Grenze zu Deutschland angehalten. Sie sagten zu mir: „Entweder du bleibst hier oder wir schicken dich zurück nach Italien." Also blieb ich hier.

Bevor ich in die Schweiz kam, wusste ich praktisch nichts darüber. Ich hatte aber auch keine überhöhten Vorstellungen davon. Ich erwartete weder ein Paradies, noch eine Hölle. Mein einziges Vorwissen über die Schweiz hatte ich aus dem Genfer TV-Sender, welchen ich hin und wieder zu Hause in Somalia geschaut habe.

Mit der Schweiz habe ich bislang nur gute Erfahrungen gemacht. Auf meiner Reise durch die Sahara habe ich mir eine Verletzung am Fuss geholt. Da es damals Dezember und nachts sehr kalt war, bekam ich Frostbeulen. Mein Fuss schwoll an und tat höllisch weh. Die Schweiz nahm mich freundlich im Krankenhaus auf und versorgte meine Verletzung.

Ich habe einen sehr guten Eindruck von den Menschen und dem System hier. Aber ich könnte mich auch nicht beschweren, denn die Schweiz nahm mich auf, gab mir ein Dach über dem Kopf und die Möglichkeit, die Schule zu besuchen. Bereits ein Jahr habe ich die Schule hier besucht und bald fängt das Zweite an. Ich wünsche mir sehr, meine Ausbildung abschliessen zu können und schliesslich eine Lehrstelle zu finden.

Sascha auf Twitter: @saschulius

Vice Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland