Beim Schweizer, dessen legale Hanfplantagen immer wieder von der Polizei geräumt wurden
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Drogen

Beim Schweizer, dessen legale Hanfplantagen immer wieder von der Polizei geräumt wurden

Weil der Medizinalhanf von Medropharm nicht gemeldet war, wurde es vom Kanton beschlagnahmt – obwohl es keine Meldevorschrift gibt.

In den letzten Wochen und Monaten haben die Thurgauer und St. Galler Polizeien mehrere Hanfplantagen identifiziert, geräumt und teilweise Werkmaterialien und Pflanzen konfisziert. Später stellte sich heraus, dass auf diesen Plantagen kein THC-haltiger "Drogenhanf", sondern CBD-haltiger Medizinalhanf angepflanzt wird. Die betroffenen Firma heisst Medropharm und hat nach eigener Aussage mehrfach den Kontakt zu den jeweiligen örtlichen Behörden gesucht, um eben genau eine solche Aktion zu verhindern.

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Stefan Haffter von der Staatsanwaltschaft begründet die Beschlagnahmung des THC-freien Gras auf Anfrage von VICE damit, dass der Anbau der Hanfpflanzen nicht angemeldet worden war. Diese Begründung wirft Fragen auf, denn eine solche Meldepflicht existiert für den Kanton Thurgau anscheinend nicht. VICE liegt der Mail-Verkehr zwischen Medropharm und dem Landwirtschaftsamt des Kantons Thurgau vor, in dem sich Medropharm nach einem Meldeformular erkundigt. Der Amtschef Ueli Bleiker vom Landwirtschaftsamt antwortet: "Die früher gültige Meldepflicht im Kanton Thurgau ist mit der Revision des Betäubungsmittelgesetzes hinfällig geworden." Um allfällige Missverständnisse zu vermeiden, informierte Medropharm von sich aus die lokalen Polizeistellen. Trotzdem führte die Polizei eine Razzia durch.

Der Hanf, der von Medropharm legal angebaut und vertrieben wird, ist eine neue Gattung, die wie "normales" Gras dicke, harzig duftende Blüten trägt, aber kaum THC beinhaltet. Die Cannabis-Sorte mit dem Label "M1337" existiert erst seit knapp drei Jahren und ist das Produkt intensiver Forschung von Medropharm. Die Pflanze beinhaltet 15 Prozent Cannabidiol (CBD) und weniger als 1 Prozent Tetrahydrocannabinol (THC). Illegal sind in der Schweiz lediglich Pflanzen mit einem THC-Gehalt von über 1 Prozent. Die anderen 119 bekannten Inhaltsstoffe, zu denen auch das Relaxan CBD gehört, sind legal oder zumindest unreguliert.

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Das heisst aber nicht, dass diese anderen Stoffe keinen Effekt auf den menschlichen Körper haben. Die Wirkung ist eine andere—und genau dort schlägt das Herz des Geschäftsmodells der Firma Medropharm: Sie will die Cannabis-Pflanze für den medizinischen Gebrauch nutzbar machen und durch Forschung weiterentwickeln, um möglichst vielen Menschen einen Zugang zu der Heilpflanze zu ermöglichen. Darum wird diese Zucht ähnlich wie illegales Gras—im Gegensatz zu herkömmlichem Industriehanf—in Gewächshäusern unter streng kontrollierten hygienischen und biologischen Bedingungen angebaut. Inzwischen sind gemäss Auskunft der Staatsanwaltschaft zwei Anlagen wieder freigegeben, da der THC-Gehalt der Pflanzen unter 1 Prozent lag. Die Pflanzen der dritten Anlage wurden noch nicht analysiert.

Medropharm-Geschäftsführer Patrick Widmer hat sich Zeit genommen, mir seine beeindruckenden Anlagen im Kanton Thurgau zu zeigen und bei dieser Gelegenheit auch zu erklären, was dort genau vor sich geht.

VICE: Eure Anlagen wurden in letzter Zeit öfters geräumt, obwohl du dir keines Gesetzesverstosses bewusst bist. Was läuft deiner Meinung nach falsch?
Patrick Widmer: Das Paradoxe ist, dass ich im Vorfeld der Ernte mehrfach auf die Behörden zugegangen bin und unseren Anbau gemeldet habe. Ich habe auch mitgeteilt, dass es sich um eine Hanfsorte ohne THC handelt und das Ausmass angegeben, in dem wir die Pflanze hier anbauen. Es ist wichtig, eine administrative Form zwischen Leuten wie uns, dem Bund, der Staatsanwaltschaft und der Polizei zu finden, um Kontakt und gegenseitiges Vertrauen herzustellen.

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Die Polizei glaubte allen Ernstes einen Hausdurchsuchungsbefehl zu brauchen, um Zutritt zu meiner Wohnung und den Geschäftsräumlichkeiten zu erhalten. Ich habe einen Schlüssel und kenne mich dort aus, ich zeige ihnen gerne alles. Sie könnten einfach vorbeikommen und mit mir sprechen. Stattdessen durchsuchten sie meine Wohnung, beschlagnahmten unser Produkt und zerstörten in der Anlage in St. Gallen Teile unserer Einrichtungen. Dabei hätten sie sich einfach zwei, drei Triebe abschneiden und sie im Labor untersuchen können. Bei mir entstand so das Gefühl vorverurteilt zu sein, nur weil ich mich mit Cannabis auseinandersetze. Diese Fläche hinter dir [er deutet auf ein Feld von der Grösse zweier Tennisplätze] ist momentan von der Thurgauer Kantonspolizei beschlagnahmt.

Was hast du denn im Vorfeld gemacht, um das zu verhindern?
Ich bin vor dem ersten Setzen mit meinen ganzen Daten bei den Behörden vorstellig geworden und habe sie um eine explizite Bewilligung gebeten. Diese konnte mir aber nicht ausgestellt werden, da eine solche Bewilligung im Kanton Thurgau formal gar nicht existiert. Also haben wir den Anbau einfach bei der Polizei gemeldet, mit einem Meldeblatt, das wir selbst gestaltet haben, begleitet von Analysen, die wir von einem unabhängigen Labor haben machen lassen. Aber natürlich steht das implizite Misstrauen im Raum, dass ich das alles hätte zusammen bescheissen können.

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Auch darum braucht es ein administratives und verbindliches Bewilligungsverfahren. Wenn es ein solches gäbe, wäre alles viel einfacher: Ich hole mir die Bewilligung und pflanze an. Wenn meine Blüten langsam "reif" sind, melde ich mich beim Kantonschemiker oder der Polizei, die holen sich ein paar Exemplare und testen deren Inhaltsstoffe. Die Resultate schicken sie an die Staatsanwaltschaft, die wiederum sieht, dass keine illegalen Inhaltsstoffe drin sind. Diese teilt das der Kantonspolizei mit und von der bekomme ich dann eine schriftliche Erntefreigabe. So einfach könnte das gehen. Aber jetzt, im Augenblick der Ernte, stehen mir die Behörden im Weg und könnten mich hunderttausende Franken kosten, falls die Erntefreigabe zu spät kommt und die Ernte kaputt geht.

Wenn du das alles gemeldet und die Analysen vorgelegt hast, wie kam die Polizei denn überhaupt auf die Idee, eine Razzia auf deiner Plantage zu veranstalten?
Sie haben mir nur gesagt, dass eine Bundesbehörde sie auf uns aufmerksam gemacht hätte, mit dem Hinweis, dass wir vermutlich Drogenhanf anbauen würden. Wir haben bei Swissmedic und beim BAG nachgefragt, die sagen, sie wären es nicht gewesen. Bleibt eigentlich nur noch die Bundespolizei, jemand anderes fällt mir nicht ein. Jedenfalls haben sie bei mir auch eine Hausdurchsuchung durchgeführt.

Und wie ist diese Hausdurchsuchung abgelaufen?
Das war ehrlich gesagt etwas ungünstig [lacht]. Die Polizei hat sich natürlich durch alle unsere Sachen gewühlt. Es war auch ein Staatsanwalt anwesend. Dummerweise kam just in diesem Augenblick ein DHL-Lieferant vorbei, der mir ein Kilogramm CBD-Hanf liefern wollte. Als er im Türrahmen stand und den ganzen Zirkus sah, meinte er "Ich komme wohl grad ein bisschen ungünstig" und wollte umkehren. Aber die Polizisten haben natürlich bereits Lunte respektive Gras gerochen, haben ihn festgehalten und das mitgebrachte Kilo auch gleich konfisziert. Jedenfalls bin ich jetzt prophylaktisch wegen Drogenhandel in schwerem Fall angeklagt. Das ist natürlich Mist, aber ich muss mich dennoch damit rumschlagen.

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Wieso sollte die Bundespolizei Grund haben zu glauben, du wärst ein Drogenhändler?Das weiss ich nicht. Ich kann mir nur ausmalen, dass uns irgendjemand angeschwärzt hat, vielleicht Konkurrenz oder sonst jemand, dem nicht passt, was wir hier tun. Solchen falschen Anschuldigungen sind wir in diesem Zustand natürlich zu einem gewissen Grad wehrlos ausgeliefert. Dann stehen bei mir die Polizisten in der Hütte, die den Hanf sehen, der riecht und ausschaut wie das Gras, das sie normalerweise Jugendlichen abknöpfen und die stellen mir dann natürlich argwöhnische Fragen.

Was sind das für Fragen?
Für die Polizisten macht unser ganzes Unternehmen keinen Sinn. Einer hat sich letztens mit mir hingesetzt und wollte mir vorrechnen, dass es gar nicht sein kann, dass ich Hanf, der nicht für den Schwarzmarkt bestimmt ist, mit solchem Aufwand anbaue. In Treibhäusern zum Beispiel. Sie haben mich etwa gefragt, was meine Wohnung kostet, wieviel Zeit ich aufwende oder was der Platz in den Treibhäusern kostet. Aus dieser Rechnung, die sie mir auf ein Blatt geschrieben haben, ergibt sich für die Herren Staatsdiener dann die Logik, dass mein Hanf THC-haltig sein muss, weil sich der Aufwand sonst niemals rentieren würde. Wenn ich ihnen dann die ganze Medizinalhanfgeschichte erkläre und sage, ich bekäme 4.000 Franken für ein Kilo von meinem Produkt, dass ich durch Forschung so entwickelt habe, sind sie wieder überzeugt, ich würde Drogen anbauen, weil Nutzhanf niemals für einen solchen Preis über die Theke geht. Die Katze beisst sich in den Schwanz.

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Was muss sich deiner Meinung nach beim Umgang der Schweizer Behörden mit Cannabis ändern?
Es muss ein Mentalitätswandel stattfinden. Die Cannabis-Industrie ist nicht mehr aufzuhalten, sie drängt unaufhaltsam auf den Markt. Deutschland hat beispielsweise CBD mittlerweile zum Arzneimittel erklärt. Das bringt klare Vorschriften und auch Werte mit sich, was den Anbau betrifft, also welche hygienischen und botanischen Bedingungen einzuhalten sind, welche verbindlichen Inhalts- und Fremdstoffe sich in und auf der Pflanze befinden dürfen und welche nicht. In Deutschland alleine kommen etwa 800.000 Patienten für eine Cannabis-beinhaltende Therapie in Frage. Oder stell dir mal vor, was passiert, wenn diese Patienten in die Ferien reisen und unseren Zöllnern oder Autobahnpolizisten dasselbe erklären müssen wie ich: Dass unser Produkt zwar wie Gras ausschaut aber eben kein THC beinhaltet oder dass es aus medizinischen Gründen konsumiert wird.


Obama spricht mit VICE News über den Klimawandel, die Legalisierung von Marihuana und den Islamischen Staat:


Wir brauchen eine Gesetzgebung, die das Forschen und den Verkauf von THC-freiem Cannabis ungehindert möglich macht. Wir leiden lediglich unter dem Stigma, das Cannabis irgendwann in den 50ern aufgedrückt wurde. Für einen sinnvollen Umgang mit dieser Industrie muss der Anbau und Vertrieb von Medizinalhanf staatlich geregelt sein. Also müssen die Pestizidwerte, die Schwermetalle, die Herbizide, und die ganze Mikrobiologie verbindliche Richtwerte haben, dass man Medizinalhanf ungestört und sicher anbauen und verkaufen kann. Gleichzeitig wird die breite medizinische Nutzung so erst verlässlich ermöglicht. Dazu muss es Apotheken geben ähnlich den beiden, die in der Schweiz schon existieren, wo Menschen die ein entsprechendes gesundheitliches Problem haben, eben diesen Hanf mit einem ärztlichen Rezept beziehen können.

Und wie schaut es für dich mit der Legalisierung von THC-haltigem Cannabis aus? Braucht es das?
Jetzt THC zu legalisieren wäre meiner Meinung nach der falsche Zeitpunkt. Zuerst muss der Patient versichert sein, dass der Anbau und der Weg, wie er an seine Medizin herankommt, gelöst ist. Und ich finde es recht egoistisch und auch dominant von Seiten des Lifestyle-Kiffers, dass er sich so ins Zentrum der Debatte drängt und sein "Luxusproblem" der THC-Legalisierung eher gelöst haben will, als das des Medizinalmarkts. Erst muss der Anbau und Verkauf von Medizinalhanf reguliert sein, dass man den Leuten, die den Hanf wirklich aus gesundheitlichen Gründen brauchen, helfen kann. Wenn diese Situation besteht, dann finde ich, kann man sehr gern darüber diskutieren, ob es sich wirklich lohnt, jährlich geschätzte 200 Millionen Franken in den Kampf gegen den Cannabis-Konsum zu investieren statt denselben zu besteuern.

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