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Menschen auf der Flucht

Sebastian Kurz versucht gerade, NGOs für die toten Flüchtlinge im Mittelmeer verantwortlich zu machen

Der Außenminister betreibt eine zynische Politik. Doch nicht nur das: Mit seinen Aussagen vergiftet er das ohnehin schon destruktive gesellschaftliche Klima.

Titelfoto: Nicolas Economou / Shutterstock.com

Bereits Ende Februar warf der Direktor der europäischen Grenzschutzargentur Frontex, Fabrice Leggeri, Flüchtlings-NGOs indirekt vor, Schleppernetzwerke zu unterstützen: "Wir müssen verhindern, dass wir die Geschäfte der kriminellen Netzwerke und Schlepper in Libyen nicht noch dadurch unterstützen, dass die Migranten immer näher an der libyschen Küste von europäischen Schiffen aufgenommen werden", so Leggeri gegenüber der Welt.

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Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) geht sogar noch einen Schritt weiter und erklärte heute bei einem Besuch in Malta, "der NGO-Wahnsinn" müsse "beendet werden", da die Rettungsaktionen der Freiwilligen dazu führen würden, dass im Mittelmeer mehr Menschen sterben würden anstatt weniger. Kurz wälzt damit die Schuld am Tod tausender Flüchtlinge ausgerechnet auf jene ab, die täglich – freiwillig und auf eigene Kosten – in See stechen, um Menschenleben zu retten.

Wahrscheinlich bezieht sich Sebastian Kurz dabei auf einen Frontex-Bericht, wonach Schlepper Flüchtlinge mit immer schlechteren Schlauchbooten aufs Meer hinausschicken würden, da viele NGOs in der Nähe der libyschen Küste operieren und schon dort Flüchtlinge an Bord ihrer Schiffe nehmen. Dadurch müssten die Schutzsuchenden nur mehr ein Viertel der Strecke in den oftmals nicht hochseetauglichen Booten zurücklegen.

Außenminister Sebastian Kurz kommen die toten Menschen im Mittelmeer gelegen, weil er mit ihnen Politik betreiben kann.

Abgesehen von der faktisch falschen Kausalität dieses Berichts – Flüchtlinge waren schon vor den privaten Hilfseinsätzen von NGOs mit schlechten Gummibooten unterwegs und die NGOs reagierten auf die hohen Todeszahlen eben mit vermehrten Patrouillen in Küstennähe, nicht umgekehrt – zeigt Kurz' Aussage wieder einmal deutlich dessen Zynismus in Bezug auf 4.500 Tote allein im vergangenen Jahr.

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Wie aus einem Bericht von Amnesty International hervorgeht, waren es gerade die im Mittelmeer aktiven NGOs, die im Berichtsjahr 2015/2016 maßgeblich an der Rettung von tausenden Flüchtlingen beteiligt waren. Dass für viele Menschen dennoch jegliche Hilfe zu spät kommt, zeigen die über 500 Flüchtlinge, die es seit Jahresanfang nicht nach Europa, auf ein Rettungsboot, oder zurück an die libysche Küste geschafft haben, sondern im Mittelmeer ertrunken sind. Nur wenige Stunden bevor Kurz seine verbalen Attacken gegen die freiwilligen Helferinnen und Helfer vorbrachte, berichteten NGOs, dass vor Libyen zwei Boote mit Flüchtlingen gekentert und vermutlich bis zu 250 Menschen ertrunken seien. Dazu hatte der Außenminister offensichtlich nichts zu sagen.

Dass es ohne die Hilfe zahlreicher freiwilliger Helferinnen und Helfer – egal ob auf hoher See oder am griechischen und italienischen Festland und den davor liegenden Inseln – noch mehr tote Flüchtlinge zu beklagen gäbe, weiß natürlich auch ein Sebastian Kurz. Der Unterschied zwischen dem Außenminister und jenen, die täglich im Einsatz sind: Ihm ist es egal. Nein, mehr noch, ihm kommen die toten Menschen im Mittelmeer sogar gelegen, weil er mit ihnen Politik betreiben kann.

Sebastian Kurz ist mit seiner Politik mitverantwortlich dafür, dass sich in griechischen Lagern mittlerweile 9-Jährige aus Verzweiflung selbst verletzen und 12-Jährige ihre Suizidversuche filmen.

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Sebastian Kurz ist in seiner Diffamierung von freiwilligen Helferinnen und Helfern konsequent. Bezugnehmend auf die Hilfe für ankommende Flüchtlinge an österreichischen Bahnhöfen im Sommer 2015, sagte er kürzlich gegenüber dem Kurier: "Der Kanzler war da, ich nicht." Den ankommenden Menschen zu helfen, sei das falsche Signal gewesen, so der Außenminister.

Auch in Bezug auf die Schließung der Balkanroute, sieht Kurz keine Fehler. Im Gegenteil: "Und jetzt knüpfen wir uns noch die anderen Routen vor", kündigte er vor gut einem Jahr an. Dass die Schließung der Balkanroute zu einer massiven Verschlechterung der Lage von Flüchtlingen in Griechenland geführt hat, will der Außenminister dabei bis heute nicht einsehen. Stattdessen hält Kurz an Plänen für Internierungslager in Nordafrika und Ländern am Kaukasus fest.

Fest steht: Sebastian Kurz ist mit seiner Politik mitverantwortlich dafür, dass sich in griechischen Lagern mittlerweile 9-Jährige aus Verzweiflung selbst verletzen und 12-Jährige ihre Suizidversuche filmen. Was aber noch schlimmer ist: Mit Aussagen wie der heutigen ist Sebsatian Kurz auch mitverantwortlich für ein gesellschaftliches Klima, in dem das Schicksal von hunderttausenden Männern, Frauen und Kindern immer mehr Menschen egal ist, und jene, die versuchen, die Fehler einer versagenden Politik best möglich zu korrigieren, zu vermeintlichen Tätern gemacht werden.

Paul auf Twitter: @gewitterland

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