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Vice Blog

Was zum Amoklauf von Vorarlberg noch zu klären ist

Was genau ist beim "Lordsfest" passiert? Was hat es mit den Sturmgewehren des Täters auf sich? Und wie gefährlich ist die rechtsextreme Szene in Vorarlberg aktuell?

Luftbild des Festivalgeländes nach der Tat. LPD Vorarlberg

Den Veranstaltern vom Bikerclub "Lords MC" aus Vorarlberg war schon im Vorhinein klar gewesen, dass es das letzte "Lordsfest" dieser Art sein würde. Nach 30 Jahren wollte man die jährliche Bikerparty noch einmal gebührend feiern, ehe man in Zukunft aufgrund des organisatorischen und behördlichen Aufwandes auf einen kleineren Rahmen gesetzt hätte, so ein Sprecher des Motorradclubs gegenüber VICE. Dass der 30. Geburtstag des Bikerclubs dann aber in einer Gewalttat mit drei Toten endete, konnte natürlich niemand ahnen. Vergangenen Freitag riefen die Lords zu einer Gedenkfahrt auf, an der sich über 1.500 Biker und Nicht-Biker beteiligten.

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Während die Ermittlungen zu den Vorfällen am Lordsfest in Nenzing noch laufen, haben wir die wichtigsten Aspekte und offenen Fragen an dieser Stelle noch einmal zusammengefasst.

Was ist am Lordsfest passiert?

In der Nacht vom 21. auf den 22. Mai, kurz nach 03:00 Uhr früh, begann Gregor S. mit einer Maschinenpistole vom Parkplatz des Lordsfest aus auf das Zentrum des Geschehens, den Barbereich des Festivals, zu feuern. Er befand sich etwa 80 Meter entfernt und zielte laut Polizei nur grob in diese Richtung, traf aber zahlreiche Menschen—zwei Personen wurden getötet, zwölf weitere verletzt.

S. war zuvor selbst als Besucher auf dem Festival gewesen und hatte mit seiner Freundin eine kurze, verbale Auseinandersetzung im Barbereich. Er verließ daraufhin das Areal, ging vermutlich zu Fuß zu seinem Dienstwagen im nahegelegenen Nüziders und holte dann von zu Hause zwei baugleiche Gewehre mit jeweils einem 30-Schuss-Magazin.

"Flash", Chef bei den Lords, befand sich zum Tatzeitpunkt mitten in der Schusslinie und war als einer der Veranstalter gerade hinter der Bar. "Es dauerte eine zeitlang, bis wir realisierten, dass da wirklich geschossen wurde", erzählt er gegenüber VICE. "Erst dachte ich an Knallkörper, weil vor Ort auch ein Polterabend gefeiert wurde. Die Schüsse klangen auch ziemlich seltsam, mehr so ein dumpfes Klatschen. Aber dann fielen die Leute um wie Hasen." Ein anderer Augenzeuge erzählt, die Schüsse wären nicht schnell hintereinander, sondern eher vereinzelt über einen Zeitraum von 10 bis 15 Minuten abgefeuert worden.

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Noch bevor Einsatzkräfte vor Ort waren, entschlossen sich vier Mitglieder der Lords, den Amokschützen selbst zu stellen: Sie rannten in die Richtung, aus der die Schüsse kamen und leuchteten mit einer Taschenlampe. Gregor S. hatte ein ganzes Magazin verschossen und das zweite bereits nachgeladen, als ihn die vier Biker umzingelten und an den Rand des Parkplatzes drängten. Er soll den Bikern laut Kurier gedroht haben, sie zu erschießen, woraufhin einer "Dann musst du mir schon in die Augen schauen" entgegnet haben soll. Dann steckte S. sich das Gewehr selbst in den Mund und drückte ab.

Wer war der Täter?

Der 27-jährige Gregor S. wohnte laut Polizeiangaben im Raum Bludenz und arbeitete als Installateur in Nüziders, wenige Kilometer vom Festgelände entfernt. Er war laut Aussagen des Veranstalters seit mehreren Jahren Besucher des Lordsfests, Probleme hätte es nie gegeben. Recht bald nach Bekanntwerden seiner Identität drang durch, dass S. ein einschlägig bekannter Rechtsextremist war.

Als soIcher trat er erstmals im Dezember 2005 offen in Erscheinung. Bei einem Punkkonzert attackierte er zusammen mit anderen Rechtsradikalen—bewaffnet mit Messern, Baseballschlägern und einer Gaspistole—die Besucher und verletzte mehrere Personen. In Berichten wurde S. damals auch namentlich genannt. Im Zuge der polizeilichen Befragung wurde aufgrund der sichergestellten Gaspistole ein Waffenverbot über ihn verhängt.

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In den folgenden Jahren sammelte S. insgesamt acht Vorstrafen, neben dem Waffendelikt vor allem wegen Körperverletzung und gefährlicher Drohung. Laut Polizei gab es ab 2010 aber "keine Wahrnehmung" mehr dazu, dass sich S. in der kriminellen Neonazi-Szene bewege. 2012 habe er sich selbstständig einer psychiatrischen Behandlung unterzogen, seit 2013 galt er für die Polizei offiziell nicht mehr als in rechtsextremen Kreisen aktiv. Ein Antrag auf Aufhebung seines Waffenverbotes wurde 2015 abgelehnt.

Gregor S. hatte bis zuletzt auf Facebook zahlreiche, einschlägig-rechtsextreme Plattformen geliket—neben Seiten wie "Aufstand gegen die Judenheit" oder jener der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck auch die Seiten von Heinz-Christian Strache oder der Identitären Bewegung Oberösterreich. Mit einer relativ bekannten FPÖ-Politikerin war er außerdem auf Facebook befreundet.

Wenige Tage nach der Gewalttat war das Facebook-Profil von S. nicht mehr abrufbar. Kurz zuvor war es jedoch noch als "Gedenk-Seite" zu finden (siehe Screenshot oben). Die Lebensgefährtin von S. schrieb auf Facebook, dass Gerüchte, wonach eine Affäre, Schwangerschaft oder das gemeinsame Kind der Grund für den Streit am Lordsfest gewesen seien, nicht der Wahrheit entsprächen.

Woher hatte er die Waffen?

Gregor S. hätte also keine legale Waffe besitzen dürfen. Ob er sich tatsächlich an das Waffenverbot hielt oder nicht, wurde von der Exekutive jedoch nicht überwacht: Da es laut der Polizei keinen Verdacht darauf gab, dass er sich Waffen zugelegt hatte, hätte die Polizei auch gar nicht die Möglichkeit gehabt, ihn zu kontrollieren oder seine Wohnung zu durchsuchen—Mechanismen für die Kontrolle von Waffenverboten gibt es nämlich nicht, wie Bezirkshauptmann Gerhard Nobel nach dem Blutbad beim ORF kritisierte. Sicherheitslandesrat Erich Schwärzler forderte, dass es für die Polizei möglich sein müsse, Verdächtige leichter zu kontrollieren.

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Letztendlich ist die Tatsache, ob er überhaupt Waffen auf legalem Weg hätte besitzen dürfen, für den Amoklauf gar nicht all zu relevant—denn das Gewehr, mit dem der 27-Jährige in die Menge schoss, war eine vollautomatische Kriegswaffe, und somit in Österreich wie auch im Rest der EU ohnehin verboten: Eine Zastava M92, ein in Serbien hergestellter Kalaschnikow-Nachbau, wie er auch von kurdischen Peschmerga-Milizen im syrischen Bürgerkrieg eingesetzt wird. Auch die Terroristen, die im Pariser Bataclan 89 Menschen ermordeten, verwendeten diese Waffe.

Die Maschinenpistole des serbischen Rüstungsbetriebes Zastava sind am europäischen Schwarzmarkt extrem beliebt: Im Jugoslawien-Krieg wurden sie für die Streitkräfte massenhaft produziert, ein großer Teil dieser Waffen verschwand später aber in den zivilen Besitz und gelangt seither im großen Stil in die Hände aller möglichen Kriminellen. Über drei Millionen illegale Waffen aus dem Balkankrieg dürfte es geben, schätzen Experten.

Schmuggler verdienen ihr Geld damit, diese Waffen vom Balkan aus illegal in die EU zu bringen und dort zu verkaufen. Ein paar hundert Euro kostet so eine Maschinenpistole am Schwarzmarkt. Wie problemlos solche Maschinenpistolen aus ex-jugoslawischen Staaten wie Serbien, wo zig-tausende Kriegswaffen kursieren, in EU-Länder geschmuggelt werden, hat eine französische Journalistin kürzlich festgehalten. Die Schmuggler verstecken sie in Autos und wenn sie an der ungarischen EU-Außengrenze doch mal kontrolliert werden, dann reichen 2.000 Euro aus, um die Grenzbeamten zu bestechen:

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Woher Gregor S. seine beiden Maschinenpistolen genau hatte, ist jetzt eine der wichtigsten Fragen im laufenden Ermittlungsverfahren. Außerdem stellt sich automatisch die Frage, wie viele Personen aus dem Neonazi-Milieu hierzulande noch mit solchen oder ähnlichen Waffen eingedeckt sind und was die Justiz dagegen tun will. Denn selbst, wenn die Kontrollen an den Schengen-Grenzen effizienter würden: Hunderttausende illegale Waffen aus dem Balkankrieg sind bereits jetzt hier und kursieren in der EU—auch in Österreich.

Wie gefährlich ist das rechtsextreme Umfeld in Vorarlberg?

Foto via c18hungary

Die rechtsextreme Szene Vorarlbergs, die sich zur internationalen Blood & Honour-Bewegung zählt, gilt seit Jahrzehnten als die vielleicht am stärksten ausgeprägte Österreichs. Vor allem in den 00er-Jahren wurden im Ländle immer wieder große Neonazi-Events organisiert, teils wurden dazu Konzerte auch dorthin verlegt, da man sie in Deutschland behördlich untersagt hatte. Auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam es immer wieder.

Über einige Jahre hinweg tarnten und versammelten sich die Blood & Honour-Mitglieder im Bikerclub "Motorradfreunde Bodensee", ehe dieser 2010 offiziell vom Verfassungsschutz aufgelöst wurde. Ein Jahr zuvor war bei einer Auseinandersetzung zwischen den Neonazis und Rockern des Clubs "Outsider" ein junger Neonazi erstochen worden.

Nach der Zerschlagung der Motorradfreunde wurde es laut Behörden um die Neonazi-Szene ruhiger, auch Gregor S. fiel ab 2010 behördlich, wie bereits erwähnt, nicht mehr auf. Andere sind der Meinung, dass sich die Szene jedoch dadurch nur zerstreute. Ein "harter Kern" tritt jedenfalls seit spätestens 2015 wieder verstärkt in Erscheinung, so etwa bei der Identitären-Demo in Spielfeld. Zuletzt empfing dieselbe Gruppe Anfang März unbemerkt von den Behörden Blood & Honour-Mitglieder aus Ungarn und verlegte ein in Deutschland verbotenes Konzert hierher.

Gregor S. war mit einigen der B&H-Anhänger bis zuletzt befreundet. Laut Polizei sei er seit 2013 diesem Umfeld jedoch nicht mehr zuzurechnen, wortwörtlich sei Gregor S. "in letzter Zeit mit dieser Gruppe nicht in Erscheinung getreten." Fakt ist aber auch, dass S. mit eben jenen Personen auch bis zumindest Ende letzten Jahres freundschaftlich auf Facebook interagierte.

Laut Chefermittler Norbert Schwendinger bestehen die noch laufenden Ermittlungen vor allem darin, zahlreiche Personen aus dem Umfeld von S. einzuvernehmen, ohne sich dabei dezidiert auf seine Kontakte aus dem rechtsextremen Lager festlegen zu wollen. Klärungsbedarf besteht aber sicher in dem Punkt, wie lange S. seine Waffen schon besaß und ob das mit den herrschenden Blood & Honour-Strukturen Vorarlbergs in Verbindung gebracht werden kann.

Thomas auf Twitter: @T_Moonshine Tori auf Twitter: @TorisNest