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Immer dieses Internet!

​Was passiert, wenn ein streikender Lokführer sich einem Reddit-Forum stellt?

Ein Lokführer hat versucht, im Reddit-AMA die Position der GDL zu erklären.

Bis jetzt hat sich das Internet nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert, wenn es um Diskussionskultur rund um den Bahnstreik geht. Zuerst markierte der weinerliche Rant von Jan Leyk gegen die „verpimmelten Vollspastis" von der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführern auf Facebook einen absoluten Tiefpunkt, dann schaltete sich am Dienstag einer der größten deutschen YouTuber ein, um in einem Video zu fordern, man solle die Lokführer alle „vergasen", er würde sie gerne höchstpersönlich nach Auschwitz transportieren. Über 45.000 Zuschauer haben die Idee bis jetzt mit „Like" quittiert.

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Man hatte also durchaus Grund zur Sorge, als auf Reddit ein „Ask me anything" mit einem der streikenden GDL-Lokführer angekündigt wurde. („AMAs" funktionieren so: Jeder darf dem Veranstalter jede Frage stellen, und der versucht dann, so viele wie möglich davon zu beantworten. Vor Kurzem gab es zum Beispiel im amerikanischen Reddit ein sehr ehrliches AMA mit einer Deutschen, die die Nazizeit in Stuttgart erlebt hatte.)

Es kam dann allerdings sehr anders: Statt den Streikenden wüst zu beschimpfen oder ihn gleich zum Selbstmord aufzufordern, nutzten die User tatsächlich die Gelegenheit, um mehr über die Motivationen und Anliegen herauszufinden, die hinter dem Streik stecken. Der Lokführer antwortete unter dem Namen „sakula1g" dann auch geduldig auf fast alle Fragen (außer die Frage, ob er Babys lieber durch oder blutig frisst. Die war aber auch nicht ganz ernstgemeint). Und so entstand eine Diskussion, bei der man deutlich mehr über den Streik lernen konnte als in so manchem Leitartikel.

Man konnte zum Beispiel erfahren, wie viele Stunden Lokführer in der Woche tatsächlich arbeiten (50-Stunden-Wochen sind keine Seltenheit), wie viel ein Lokführer verdient, und wie viel Geld die GDL den Streikenden aus der Streikkasse zahlt (10 Euro pro Stunde). Außerdem konnte man lernen, dass es Rangierlokführer der Klasse A und B gibt, warum die GDL die jetzt auch vertreten will, und was die Unterschiede zwischen den beiden Gewerkschaften GDL und EVG sind (und dass sie sich nicht gut verstehen). Und dass es eben nicht so sehr ums Geld, sondern eher darum geht, dass die Bahn sich nicht aussuchen kann, wer ihre Arbeitnehmer vertreten darf.

Wenn man schon mal einen echten Lokführer an der Strippe hat, muss man ihn natürlich nicht nur zum Streik ausfragen. Also wurde zum Beispiel noch gefragt, ob er seinen Zug selber reparieren kann (kann er nicht), ob er glaubt, dass er bald durch einen Roboter ersetzt wird (glaubt er nicht), ob man beim Zugfahren eigentlich Hörbücher hören darf (sehr klares Nein), wie oft sich Leute vor den Zug werfen (3x am Tag), und was passiert, wenn ein Lokführer während der Fahrt aufs Klo muss (dann gibt es Verspätung).

Offenbar freuten sich auch die Reddit-Nutzer, einmal Zugang zu von Meinungsmachern ungefilterten Informationen auf die Forderungen der Gewerkschaft zu bekommen. „Solche wie du lassen mir als angepissten Fahrgast die Lokführer viel viel sympathischer erscheinen, also danke", schreibt ein User, ein anderer wünscht ihm „und allen deinen Kollegen alles Gute für diesen Streik und den danach hoffentlich folgenden Tarifabschluss".

Natürlich waren nicht alle mit dem Streik einverstanden und sagten das auch. Aber immerhin schafften es alle Beteiligten, trotz absoluter Anonymität höflich zu bleiben und sich die Argumente der Gegenseite anzuhören—was man nicht mal von allen Zeitungsberichten behaupten kann. Was die Diskussion um den Streik angeht, hat Reddit also die Ehre des Internets gerettet.