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Sport

Warum haben Fußballfans solche Angst vor Frauen?

Erst Frauenteams in ‚FIFA16', jetzt fordert Claudia Roth die Frauenquote für den Weltfußballverband—und die Deutschen sehen sich ihrer Männlichkeit beraubt.

IMG_5719 via photopin(license)

Man könnte meinen, vom weiblichen Geschlecht geht eine grundlegende Bedrohung des Mannes aus. Das zeigt sich immer dann besonders, wenn es um die Frage nach der Frauenquote geht—und Männer sich dazu gezwungen sehen, im Umkehrschluss eine Frauenquote zu verdammen. Das zeigt sich vor allem aber auch immer dann, wenn es um das weibliche Geschlecht in einem grundlegend maskulin geprägten Umfeld geht. Nehmen wir zum Beispiel unseren Lieblingssport, Fußball.

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Die Fifa nimmt Stellung zur Verhaftung ihrer Funktionäre.

Im Fußball ist für den heterosexuellen Mann noch alles in Ordnung, könnte man meinen. Die Männer sind stark, männlich, erfolgreich, die vielfach verehrten Helden. Die Spielerfrauen sind schönes Beiwerk, lächeln meistens, kriegen Kinder und wenn sie Ambitionen abseits der Karriereunterstützung des Mannes haben, dann gipfeln die im Designen einer eigenen Handtaschenkollektion. Klar, muss es allein aus statistischen Gründen den ein oder anderen Profispieler geben, der homo- oder zumindest bisexuell ist. Aber weil nur die wenigsten sich trauen, offen zu ihrer Sexualität abseits der Heteronormativität zu stehen, kann sich der 0815-Bürger weiterhin entspannt auf der heimischen Couch den Bauch kraulen und der sportlichen Hochburg der absoluten Männlichkeit fröhnen. Im Fußball, da kann man noch Mann sein, mit allem, was dazugehört. Schön.

Screenshot: Welt Online

Vielleicht leidet der moderne Mann an einem tiefsitzenden Minderwertigkeitskomplex und muss deswegen unter allen Umständen diese vermeintlich letzte große Bastion der Maskulinität unter allen Umständen schützen. Anders lässt sich die Aufregung nämlich nicht erklären, die sich bei der Ankündigung des Videospiele-Publishers EA, für den nächsten Teil der FIFA-Spielereihe auch weibliche Fußballteams zu integrieren, Bahn brach. Zwar hat zum Beispiel das deutsche Frauenteam bei der aktuell stattfindenden WM in Kanada gerade die Elfenbeinküste mit 10:0 vom Platz gefegt und gilt im Allgemeinen als Favorit auf den Titel, trotzdem scheint die weibliche Ballkünstlerin als solche keinen Platz im ballzentrischen Weltbild des supermännlichen Fußballfans haben zu dürfen. Noch nicht mal als optionales Team in einem Videospiel, dessen allgemeine Innovation sich normalerweise auf etwas realitätsnähere Grafik und verbessertes Gameplay beschränkt.

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Dementsprechend ist jetzt vielleicht genau der richtige Zeitpunkt dafür, dass jemand für die Weiblichkeit in die Bresche springt und sich öffentlichkeitswirksam aufregt. Und sei es auch Claudia Roth, die sich allgemein recht gut in der Rolle der Fordernden gefällt. Claudia Roth nun war am Sonntag nicht nur Teil von Günther Jauchs Talkrunde in der ARD und durfte sich dort zur Fifa, dem Weltfußball-Dachverband, äußern, der durch den aktuellen Korruptionsskandal einmal mehr in der Kritik steht. Zusätzlich forderte sie gegenüber der Welt am Sonntag außerdem eine radikale Reform der alteingesessenen Männerdomäne: „Der Kultur innerhalb der Fifa würde es auch guttun, wenn endlich viel mehr Frauen in die Führungsgremien aufrücken würden, vielleicht sogar festgelegt durch eine Quote."

Screenshot: YouTube

Frauenquote für die Fifa? Was nach dem absoluten Albtraum eines jeden konservativen Adiletten-Besitzers klingt, kann man tatsächlich strittig finden. Vor allem deshalb, weil die Ansicht, dass durch die Beteiligung von Frauen per se alles besser, fairer und transparenter wird, eigentlich ziemlich sexistisch ist. Man erinnere sich nur an den geschmacklosen Artikel des Feminismus-Magazins EMMA, dass nach dem Flugzeugunglück in den französischen Alpen eine Frauenquote für Cockpits forderte. Schließlich würden Männer deutlich häufiger zum Selbstmord—und somit scheinbar auch zu bewussten Flugzeugabstürzen—neigen. Ebenso, wie auch Frauen an Depressionen leiden oder folgenschwere, moralisch verwerfliche Entscheidungen fällen können, sind sie natürlich auch nicht vor Korruption gefeilt. Wer die Ursache für menschliches Fehlverhalten vor allem in der Männlichkeit zu suchen, erweist dem Wunsch nach Gleichstellung also erst einmal einen ziemlichen Bärendienst.

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Screenshot: Welt Online

Was Claudia Roths Aussage aber tatsächlich tun könnte ist, eine Debatte um die Geschlechterfrage im Fußball loszutreten. Wie viel Gesprächsbedarf es in diesem Bereich gibt, zeigt allein schon ein Blick in die Kommentarspalten des Welt-Artikels. Da wird von der wahren „Bestimmung" der Frau als Gebärmaschine und nicht als Entscheiderin gesprochen, einmal mehr die vermeintliche Benachteiligung des männlichen Geschlechts in Genderfragen thematisiert und ganz im Allgemeinen relativ argumentationsarm geschimpft.

Screenshot: Welt Online

Man kann sich über den Sinn der Frauenquote aufregen, man kann Claudia Roth die Kompetenz in Fußballfragen absprechen und man kann (vollkommen zu Recht) einwerfen, dass die Fifa als weltweiter Verband sich im Allgemeinen absolut gar nicht um irgendwelche Quoten im deutschsprachigen Raum scheren muss. Aber, und das ist eine Frage, die trotz hysterischer Internetkommentarkultur durchaus gestellt werden darf: Warum sollte eine Frau nicht Teil der Fifa-Spitze werden? Was genau spricht dagegen?

VICE Sports: Fußballspielen ist wie Pizza ausfahren—no country for old men.

Fußball ist ein Teamsport. Eine Disziplin, die die Massen begeistert und auf den Fantribünen vereint wie kaum eine andere Sportart. Wenn beispielsweise Dortmund-Fans für den FC Bayern die Daumen drücken können, weil der der letzte verbliebene Bundesliga-Club in der Champions League ist—warum kann es dann keinen Schulterschluss zwischen Männer- und Frauenfußball geben? Wovor genau hat man Angst und wenn es wirklich einfach darum geht, Fußball vor dem anderen Geschlecht zu verteidigen, weil man sich sonst in seiner Männlichkeit angegriffen fühlt: Wie verdammt traurig ist das denn eigentlich?

Screenshot: YouTube

Wir sollten der Möglichkeit, dass nach den ganzen Negativschlagzeilen der letzten Zeit eine Frau Teil der Fifa-Spitze wird, begrüßen, nicht verdammen. Nicht, weil das weibliche Geschlecht dem männlichen überlegen ist, diese Entwicklung ein weiterer Schritt im großen Plan der feministischen Weltverschwörung ist oder Korruptionsskandale mit weiblicher Beteiligung niemals vorkommen. Wir sollten diese Möglichkeit begrüßen und aktiv befürworten, weil es die veralteten Muster aufbrechen, das Bild der reinen Männerdomäne revolutionieren, den Frauenanteil im Fußball auch auf höherer Ebene Rechnung tragen würde und ein ganzes Geschlecht nicht länger zur belächelten Randerscheinung degradieren würde. Es wird sie auch weiterhin geben, die ewig lächelnden Spielerfrauen, die testosterongesteuerten Vollmachos und den ganz stereotypen, dumpf gröhlenden Fußballfan. Aber vielleicht stellt der ein oder andere mal kurz das Bier zur Seite und stellt sich die Frage, ob Qualifikation wirklich etwas mit dem Geschlecht zu tun hat—oder wir es im Jahr 2015 nicht längst besser wissen müssten.

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