Wie schwarze Menschen in Deutschland leben

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Wie schwarze Menschen in Deutschland leben

Vier Geschichten von 1925 bis heute.

Diese Texte sind zuerst in Spiegelblicke erschienen. Der Sammelband, wurde anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) herausgegeben.

Theodor Wonja Michael

In der Nazizeit waren wir Schwarzen nicht Teil der deutschen Bevölkerung. Wegen der Nürnberger Gesetze durfte ich keine höhere Schule besuchen, nicht studieren und auch keine Freundin haben. Ich musste mich als Page, Portier und Komparse durchschlagen. Nur nicht auffallen, das war meine Devise.

Denn sonst kam man in die Mühlen des Dritten Reiches—und dann war man weg. Polizisten griffen in ihren Augen exotisch aussehende Menschen wegen Kleinigkeiten auf, brachten sie auf die Wache und irgendwann landeten sie beim Reichssicherheitshauptamt und damit im KZ. So erging es vielen Afrikanern und Afrodeutschen. Diesen Willen, bloß nicht aufzufallen, trug ich noch lange mit mir herum. Als dann vor knapp 30 Jahren das Buch Farbe bekennen (Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte) erschien, fand ich das ganz toll. Seine Bedeutung kann nicht hoch genug für die Schwarze Gemeinschaft in Deutschland geschätzt werden. Zum ersten Mal meldeten sich Afrodeutsche zu Wort. Niemand aus meiner Generation hätte je den Mut gefunden, so etwas zu schreiben.

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Doch seither hat sich das geändert. Schwarze Deutsche tragen ihren Kopf wieder oben. Das merke ich auch an mir selbst. Früher habe ich vieles weggesteckt, heute gehe ich gegen Diskriminierungen vor. Ein kleines Beispiel: Nach einer Reise ins europäische Ausland komme ich zurück an einen deutschen Flughafen. Der Passbeamte winkt die 20 Leute vor mir durch. Mich hält er an und will meinen Ausweis sehen. Darauf sage ich: „Ich habe keinen."

Der Beamte sagt laut: „Aber das müssen Sie doch, Sie reisen hier ein!" Er denkt sicher, dass er jetzt einen tollen Fang gemacht hat. „Ich reise nicht ein, ich lebe hier", antworte ich. „Trotzdem müssen Sie sich ausweisen", entgegnet der Beamte ruhiger.

Ich zeige ihm meinen Personalausweis und bemerke leise und unaufgeregt: „Müssten Sie dann nicht alle kontrollieren?" Und der Beamte kontrolliert nun jeden Einzelnen, der nach mir kommt. Die regen sich natürlich über mich auf. Aber das sollen sie ja auch, damit sie verstehen, wie sich Rassismus anfühlt.

Theodor Wonja Michael kam 1925 in Berlin auf die Welt. In der Nazizeit schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch, bis er 1943 in ein Arbeitslager interniert wird, wo er auch die Befreiung erlebt. Danach arbeitet er als Dolmetscher, Schauspieler, studiert Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften an der HWP in Hamburg und wird Afrika-Journalist und später Chefredakteur einer Afrika-Zeitschrift. Von 1972 bis 1987 wird er Regierungsrat beim Bundesnachrichtendienst. Er ist seitdem ein aktives Mitglied der Schwarzen Bewegung in Deutschland. Seine Biografie veröffentlichte er 2013: Deutsch sein und schwarz dazu: Erinnerungen eines Afro-Deutschen.

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Israel Kaunatjike

In meiner Wohnung hängen überall Bilder von Widerstandskämpfern wie Malcolm X, Mandela oder Sankara. Zu meinen Enkeln sage ich immer: Hört lieber Michael Jackson als One Direction! Wenn sie dann wissen wollen, warum mir das so wichtig ist, diskutieren wir. Ich versuche, sie mit diesen Gesprächen, aber auch afrikanischen oder afrodeutschen Filmen zu bestärken. Auch in der heutigen Gesellschaft ist Empowerment wichtig, denn es gibt noch immer viel Rassismus. Meinen elfjährigen Enkel fragte eine ältere Dame erst vor wenigen Monaten, woher er kommt. Als er sagte: „Berlin", fragte sie: „Aber woher kommst Du ursprünglich?". Dass sie seine Antwort nicht akzeptiert hat, war sehr verstörend für ihn. Meine Tochter und ich haben natürlich mit ihm darüber geredet. Aber solche Ereignisse verunsichern Menschen und machen es Schwarzen schwer, sich mit Deutschland zu identifizieren.

Ich selbst betrachte mich nicht als Deutscher. Ich habe zwar einen deutschen Pass, aber bei jeder Grenzkontrolle prüfen die Beamt*innen meine Papiere immer fünf Minuten länger als bei weißen Deutschen. Selbst wenn die U-Bahn rappelvoll ist, quetschen sich manche Leute lieber in die Gänge, als sich zu jemandem zu setzen, der irgendwie ausländisch aussieht. Wer so etwas oft genug erlebt, denkt irgendwann: Ich bin wohl doch kein Deutscher.

Umso wichtiger sind Vereine wie die ISD. Viele ihrer Mitglieder sagen mit Stolz: Wir sind hier und wir sind deutsch, ob die Mehrheitsgesellschaft das will oder nicht. Sie treten selbstbewusst als Künstler*innen, Filmemacher*innen oder Politiker*innen auf, diese große Palette an Engagement gab es früher nicht. Man muss sich gegen Missstände wehren: Ich habe schon als Jugendlicher gegen die Apartheid gekämpft. Ich habe mich auch jahrelang dafür eingesetzt, dass Deutschland den Genozid gegen die Herero Anfang des 19. Jahrhunderts anerkennt. Das hat die Bundesregierung zwar getan, aber noch nicht offiziell. Wenn das endlich passiert, fordere ich, dass Deutschland auch Reparationen zahlt.

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Israel Kaunatjike wurde 1947 in Namibia geboren. Als Achtjähriger erfuhr der Herero, dass er zwei deutsche Großväter hat. Er floh mit 17 Jahren aus seiner Heimat und schloss sich in Tansania dem Kampf für Namibias Befreiung an. Seit 40 Jahren lebt er mit seiner Familie in Berlin. Er hat drei Töchter und sieben Enkel. Der gelernte Elektrotechniker setzt sich dafür ein, dass Deutschland den Genozid an den Herero anerkennt und Reparationen leistet.

Gabriela Willbold

In dem Wohngebiet in Cottbus, wo ich groß geworden bin, gab es fünf Schulen und fünf Schwarze Deutsche. An jeder Schule eine oder einen. Da war jeder der einzige Kämpfer. Das habe ich nie anders erlebt. Während meines Studiums war ich die einzige Schwarze Deutsche. In der Klinik, in der ich heute als Frauenärztin in Cottbus arbeite, bin ich seit 20 Jahren die einzige Schwarze.

Was sich in dieser Zeit verändert hat, ist, dass ich nicht mehr ganz so oft gefragt werde, wo ich herkomme oder warum ich so aussehe, wie ich aussehe. Früher wurde ich das täglich gefragt, heute nur noch etwa einmal im Monat. Das führe ich darauf zurück, dass ich seit etwa 50 Jahren in Cottbus lebe und viele Menschen mich kennen.

Ich habe Schwarze Menschen in meinem direkten Umfeld nicht erlebt. Meine Eltern lebten nicht zusammen. Mein ghanaischer Vater war vor meiner Geburt nach London gegangen. Während ich im Bauch meiner Mutter war, wurde die Mauer gebaut und es gab für mich keine Möglichkeit, mehr über meine Schwarze Identität zu erfahren. Als ich realisiert habe, dass ich ein Schwarzer Mensch bin, war ich schon fast erwachsen.

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Ende der 80er Jahre hatte die ISD-Berlin ein Treffen in Ost-Berlin organisiert. Das war für mich eine unglaubliche Offenbarung. Kurz vorher war das Buch Farbe bekennen erschienen und es wurde für einige Zeit meine Bibel. Wenn man so in der Vereinzelung aufwächst, weiß man eben nicht, dass es noch andere Menschen auf der Welt gibt, die vielleicht ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Als Kind wusste ich nicht mal, dass es noch mehr Schwarze Menschen auf der Welt gab. Die, die ich kannte, waren irgendwelche Karikaturen aus dem „Struwwelpeter".

Unmittelbar nach der Wende habe ich mich über die ISD unglaublich gefreut. Aber die ISD ist westlich lokalisiert und ich sitze im Osten. ISD im Westen bedeutete für mich, dass es da eine Struktur gab und das Anliegen, die Schwarze Community zu stärken. Unsere Treffen damals im Osten hatten eher etwas Familiäres. Aber sie waren für mich ein ganz kleines Aufatmen, mal nicht anders zu sein.

Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass Schwarze Menschen in allen Bereichen unseres Lebens selbstverständlich werden—auch als Ärzt*innen, Anwält*innen oder Fernsehmoderator*innen.

Gabriela Willbold ist Frauenärztin und Dichterin. Sie wurde 1962 in Cottbus geboren und lebt dort auch heute. Sie schreibt seit früher Jugend Prosa und Gedichte. 1996 eröffnete sie in Cottbus ihre eigene Frauenarztpraxis.

Roy Adomako

Als Mitglied einer Familie, deren Schwarze Ursprünge in Deutschland beinahe bis in die Zeit der kolonialistischen, deutschen „Afrikakonferenz" 1884/85 unter Reichskanzler Bismarck zurückreichen, war es für mich immer wichtig, eine tragfähige afrodeutsche Identität zu entwickeln, die beide Identitäten miteinander verbindet und eine reflektierte, selbstbewusste Identifikation als Schwarzer Mensch in Deutschland ermöglicht. Glücklicherweise hatte ich schon in der eigenen Familie starke, Schwarze Frauen als Vorbilder, denen es unter weit schwierigeren Umständen als mir gelang, sich gegen alle Widrigkeiten einen anerkannten Platz in der Gemeinschaft und die Existenz ihrer Familien zu sichern. Dafür gilt ihnen mein Dank, mein Respekt und meine Bewunderung.

Als Schwarzer Deutscher ist mir Rassismus dennoch nicht fremd. Es ist ein Alltagsphänomen, das aus der Mitte der Gesellschaft kommt und bestimmten Menschen den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen erleichtert und anderen erschwert. Auch die vorherrschende Gleichsetzung von „Deutsch-Sein" mit „Weiß-Sein" und die damit verbundene Realitätsverweigerung vieler Leute Menschen wie mich, egal in wievielter Generation hier geboren, als „richtige Deutsche" zu empfinden, spielt eine wichtige Rolle.

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Trotz aller Unterschiede, Widersprüche und Strategien, empfinde ich demgegenüber in der Schwarzen Community oft eine Art von unhinterfragtem und solidarischem Zusammenhalt, der auch der Gesellschaft als Ganzes als Vorbild dienen kann. Der intensive Kontakt und Austausch mit anderen Schwarzen Menschen im geschützten Rahmen der ISD-Bundestreffen oder der monatlichen Stammtische trugen wesentlich dazu bei, mich bewusster mit meiner Sozialisation und Positionierung in einer weißen „Mehrheitsgesellschaft" auseinanderzusetzen.Bei meinem politischen Engagement beschäftigt mich daher besonders die Frage, wie es gelingen kann, auf der Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ein inklusives Verständnis einer Einwanderungsgesellschaft zu entwickeln, Verständigung aufzubauen und uns für eine Gesellschaft einzusetzen, in der abwertende soziale Konstrukte keine Bedeutung mehr haben. Ich habe es mir dementsprechend zur Aufgabe gemacht, Strategien der Ungleichheit, die ein „Wir" und „Ihr" schaffen, zu hinterfragen und zu bekämpfen. In meiner parteipolitischen Arbeit für eine soziale Demokratie setze ich mich vorrangig für eine Politik der Anerkennung ein, die sich gegen jegliche Diskriminierung wendet und Verhältnisse ablehnt, in denen es „Bürger zweiter Klasse" gibt. Dazu gehören unter anderem der gleiche Zugang und die gleiche Beteiligungsmöglichkeit sowie die personelle Repräsentanz „minorisierter" Gruppen in verantwortlichen und mit Ressourcen ausgestatteten politischen Positonen. Als Jurist geht es mir dabei besonders um den Abbau struktureller Benachteiligungen durch Schaffung gesetzlicher Antidiskriminierungs- und positiver Maßnahmen einer aktiven Gleichstellungspolitik.

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In meinem politischen Engagement ist die ISD für mich eine wichtige Ansprechpartnerin, wenn es darum geht, Schwarze Perspektiven und Expertise in den politischen Diskurs einzubringen. Als politische Interessenvertretung einerseits und Forum für individuellen und zivilgesellschaftlichen Austausch ist sie ein „Empowerment-Tool" ersten Ranges. Der Rückbezug auf die Community und die ISD als eine ihrer wichtigsten Vertreterinnen ist daher für mich Selbstverständnis meiner politischen Arbeit.

Roy Adomako ist Rechtsanwalt und Gründungs- und Vorstandsmitglied von EOTO e.V. und lebt mit seiner Familie in Berlin.


Über den Band Spiegelblicke – Perspektiven Schwarzer Bewegung

Essays, Portraits, analytische Texte, Storytellings und Foto-Reportagen. Der Sammelband Spiegelblicke schafft einen Zugang zur Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland und ihrer Bewegung. Fünfzig Schwarze Autor*innen, Zeitzeug*innen und Portraitierte beschreiben und analysieren darin rassistische Strukturen in privaten und öffentlichen Räumen und dokumentieren Stationen der Identitätsfindung und des so genannten Empowerments (Selbstbestärkung). Es geht um ihre Erfahrungen in der NS-Zeit, die Geschichte des Kolonialismus und seine Reichweite in die Gegenwart - beispielsweise im Bildungs- und Rechtssystem, um selbstbestärkende Interventionen von Eltern, Lehrenden, Kulturschaffenden oder Medienmacher*innen und alltägliche (Lebens)-Geschichten Schwarzer Menschen in Deutschland. Verhandelt werden Themen wie Racial Profiling, die Rolle der Menschenrechte oder Refugee Activism. Auch bisher wenig behandelte Dimensionen von Diskriminierung wie Audismus (gegen gehörlose Menschen) werden im Buch sichtbar gemacht und zusammen mit der Frage, was es heißt, Schwarz und Queer, feministisch und lesbisch zu sein, werden auch intersektionale Perspektiven auf Schwarzes Leben eröffnet.

Es sind unterschiedliche Generationen und Stimmen, deren Blicke sich im Band (wider-)spiegeln. Sie machen deutlich, dass auch Räume, in denen Menschen Zuflucht vor alltäglicher Diskriminierung suchen, riskante Räume sein können. Dass es auch dort um Fragen nach Öffnung geht. 30 Jahre nach dem Erscheinen des bis heute wegweisenden Buches Farbe bekennen. Afrodeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte präsentieren die Herausgeberinnen Camilla Ridha, Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum, Denise Bergold-Caldwell, Eleonore Wiedenroth-Coulibaly, Hadija Haruna-Oelker und Laura Digoh einen Band, der die Entwicklungs-, Auseinandersetzungs- und Definitionsprozesse der Schwarzen Bewegung in Deutschland bis heute aufzeigt. Mit dem Ziel: ein leicht zugängliches und bleibendes Werk zu schaffen und damit ein breites Publikum anzusprechen. Ein Buch, das ermutigen, inspirieren und neugierig machen soll.