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The Fiction Issue 2015

Ein bescheidener Vorschlag

In einem zuvor unveröffentlichten Essay aus seinem neuen Buch ,Pferdeleberkäse' zeigt Austrofred die Vorteile des Ablebens großer Stars für Österreich als Kulturstandort auf.
Foto von Ingo Pertramer

Aus der Fiction Issue 2015

Der Pop- und Rock-Standort Österreich ist—das ist eine Tatsache—am Boden. Fast hätte ich gesagt, am Arsch. Weswegen sich auch regelmäßig die sogenannten heimischen Musik-Experten und -Expertinnen—Gschaftlhuber der Sonderklasse, ausnahmslos!—ihre Köpfe zerbrechen, was man da machen kann dagegen. Ein neuer Falco muss her, eine Lichtgestalt, ein zweiter Austrofred. Junge Talente sollen in diese enormen Fußstapfen hineingepeitscht werden, damit man irgendwann sagen kann, ja, dieser oder diese eine hat in Österreich und aus Österreich heraus gewirkt!

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Vom Prinzip her unterstütze ich solche Bestrebungen durchaus, wie ich ja überhaupt alles gutheiße, was ein bisschen ein Geld von der öffentlichen Hand—die ja sonst immer eine strafende und also nehmende ist—in Richtung Künstler manövriert. Trotzdem stellt sich mir mittlerweile die Frage, ob die Förderung des hiesigen Nachwuchses wirklich das richtige Mittel ist, um den Standort Österreich auf der europäischen Rocklandkarte nachhaltig zu verankern. Ist es denn tatsächlich so wichtig, wo einer geboren ist? Meiner Meinung nach wird dieser Faktor überschätzt.

Nehmen wir her den Jim Morrison: Von dem weiß ein jeder, dass er in Paris gestorben ist, und immer noch pilgern rudelweise Fans zu seinem Grabstein. Aber wer weiß, dass der Jim Morrison in Melbourne, Florida geboren ist? So etwas wissen nur Fanatiker. Oder der John Lennon: Wenn du nach New York fliegst, dann kann dir dort ein jeder sagen, wo das Häusl steht, vor dem der derschossen worden ist. Hingegen in Liverpool, seiner Heimatstadt, kannst du lange fragen, bis dir einer das Lennon-Geburtshaus zeigen kann. Der Liverpooler zuckt bei dieser Frage mit der Achsel. Warum? Weil es keinen Schwanz interessiert.

Von dieser Faktenlage ausgehend bin ich zum Schluss gekommen, dass man das komplette Fördersystem im Rockbereich vollkommen neu denken muss, nämlich von hinten, vom toten Künstler her. Weil wieso soll ein Staat investieren, dass seine Leute ein Instrument lernen, eine Musikschulausbildung kriegen, Förderungen kassieren, über ein dicht gewobenes Freunde-Programm in den Medien etabliert werden und und und, damit da irgendwann, mit viel Glück, vielleicht einmal ein bisschen ein Popstar draus wird, wenn du in Wirklichkeit eine viel bessere Promotion hast, wenn dir ein großer, auswärts etablierter und finanzierter Popstar auf deinem Staatsgebiet, mit Verlaub, den Löffel abgibt. Da kommst du dir als Gesetzgeber ja verarscht vor. Wenn dir dann noch dazu deine eigenen Stars woanders sterben und dir die verdienten Pilgerströme abziehen, siehe Falco, dann wird es endgültig pervers.

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Bevor mir jetzt gleich wieder wer etwas in den Mund legt, möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen, dass das natürlich nicht gegen den Falco persönlich gerichtet ist, weil der für seine Unglücksfahrt ein Straßerl in der Dom Rep gewählt hat und nicht vielleicht die herrlichen heimischen Serpentinen der Glockner-Hochalpenstraße. Er hat sein Schicksal selber nicht lenken können, das kann keiner, das ist auch mir klar. Der Fehler liegt wie immer bei den Oberen, bei der Politik: Weil einen solchen wie den Falco lasse ich ja doch schon von Haus aus nicht ins Ausland ziehen! Klar, dass dann im Falle von einem frühzeitigen Ableben—und nur ein solches frühzeitiges Ableben bringt die entsprechende Presse!—die Chance hoch ist, dass das in einem Fremdstaat passiert. Die Regierung Vranitzky hätte dem Falco längst ein großzügiges Ausgedinge in Brunn am Gebirge zur Verfügung stellen müssen. Einen solchen wie den Falco musst du als Regierung halten. Aber genau das hat der Vranitzky verabsäumt.

Rein vom Popstandort Österreich aus betrachtet war die Rettung des George Michael nämlich ein Versäumnis, weil der Popstandort Österreich hätte vom Ableben eines Stars von einem solchen Kaliber viel mehr profitiert.

Gottseidank hat man die Vranitzky'sche Fehlleistung durch das rechtzeitige Aufstellen einer aufwendigen Grab-Installation noch abfedern können, sodass es den Großteil der trauernden Falco-Fans jetzt doch zum Zentralfriedhof zieht und nicht in die Dom Rep. Ein überhapstes Troubleshooting mit starken ästhetischen Abstrichen zwar, trotzdem konnte hier mit minderklassigem Fiberglas ein größeres Umsatz-Minus verhindert werden.

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Freilich gibt es auch Erfolge zu verzeichnen, bescheidene zwar, aber immerhin: Der Schlagersänger Ibo beispielsweise hat sich nicht auf der von ihm besungenen Insel Ibiza derrennt, sondern in St. Pankratz bei Kirchdorf an der Krems, und so für unbezahlte und unbezahlbare Tourismuswerbung gesorgt. Aber so etwas sind Zufallstreffer, Ausnahmen von der Regel der staatlichen Unfähigkeit, wie wir sie besonders schmerzhaft im Fall George Michael erleben haben müssen. Weil diesem tatsächlichen Super- und sogar Megastar hätte es ja vor einiger Zeit vor einem Gig in der Wiener Stadthalle fast die Patscherl aufgestellt.

Wasser in der Lunge – eine böse Sache! Gottseidank haben es die Ärzte im Wiener AKH geschafft, dass sie dem George Michael sein Lebensruder, welches doch schon recht deutlich in Richtung Himmelstürl geragt hat, noch einmal umdrehen, in letzter Sekunde. Hut ab, dafür gebührt ihnen als Medizinern unsere Hochachtung. Im Ö3-Wecker hat der George Michael Wien sogar als seinen zweiten Geburtsort bezeichnet und fast zum Rehren angefangen dabei. Das macht ihn sympathisch und darf uns Österreicher stolz auf unsere hochqualifizierte Ärzteschaft machen. Kaufen können wir uns darum aber nichts.

Foto von Klaus Mitter

Rein vom Popstandort Österreich aus betrachtet war die Rettung des George Michael nämlich ein Versäumnis, weil der Popstandort Österreich hätte vom Ableben eines Stars von einem solchen Kaliber viel mehr profitiert als von seinem Überleben, brutal gesagt. Damit meine ich auf keinen Fall, dass ich dem George Michael einen frühen Tod vergönnt hätte, weil das hätte ich nicht: Wenn es nach mir ginge, dann soll der George Michael so alt werden wie der Johannes Heesters, und am besten genauso fit bleiben. Weil den Heesters habe ich Tage vor seinem Tod mit 107 Jahren noch im Fernsehen gesehen, wie er in der Kostümierung des Kaisers Franz Joseph eine Operettenmelodie singt und dabei leger am Klavier lehnt. (Beziehungsweise gelehnt worden ist.)

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Und genauso wünsche ich auch dem George Michael, dass er mit über hundert noch in zerrissenen Jeans an einem Drum-Sequenzer lehnt. Nur: Was ich persönlich dem George Michael wünsche, das ist in diesem Fall unerheblich. Weil ich rede ja hier nicht vom Menschen George Michael, sondern ganz nüchtern von der Standortsicherung. Und wenn man jetzt den Standort betrachtet, rein von der wirtschaftlichen Seite her, dann muss man sagen, da wäre der George Michael einfach ein kollateraler Schaden, den du als Staat halt in Kauf nehmen müsstest—so leid es mir persönlich täte, wenn dieser gefühlvolle Mensch sein Careless Whispers nicht mehr in die Konzerthallen unserer diesseitigen Welt schmettern könnte. Eine super Ballade, zu der ich selbst schon unzählige Male geschmust habe.

Zugegeben, mein Konzept hat ein bisschen einen Haken: Weil auf der einen Seite hast du den Standort, auf der anderen Seite den hippokratischen Eid. Das ist ein moralisches Dilemma. Weil du kannst ja von einem Arzt keine unterlassene Hilfeleistung verlangen, das wäre ja kriminell. Aber ist es auch kriminell, wenn man so einem Arzt einmal vorrechnet, wie viele Leute in Österreich ihr tägliches Brot in der Popbranche verdienen? Wenn man ihm nahelegt, dass er, wenn es wieder einmal eine Popgröße fast putzt—die Lady Gaga im Idealfall, oder noch besser: den Bono von den U2—, dass er dann nicht gleich hektisch mit dem Defi über den bewusstlosen Sänger herfällt, sondern dass er einmal in aller Ruhe sein Arzttaschl ausräumt und sich alles sauber herrichtet, den Patienten fragt, ob er vielleicht Frutti di mare gegessen hat oder ob der Opa Diabetes gehabt hat etc etc. So wie man es halt ganz normal macht, wenn man zu einem Patienten kommt. Mehr verlange ich gar nicht.

Ich weiß, viele Leute werden jetzt wieder sagen, wah, der Austrofred, der Böse! Das bin ich freilich gewohnt, weil so ist das, wenn man ehrlich sagt, was man sich denkt. Aber ich kann halt nicht anders. Und ich werde ja von den Veranstaltern und vom Publikum nicht dafür bezahlt, damit ich den Mund halte, sondern im Gegenteil, ich werde dafür bezahlt, dass ich den Mund aufmache und singe oder rede, und singend oder redend die Wahrheit sage. Diese Unbequemlichkeit ist ein Markenzeichen von mir, auf das ich sehr stolz bin, und das lasse ich mir nicht nehmen.

Im Übrigen möchte ich ergänzen, dass ich der Letzte bin, der sich nicht jedes Jahr wieder aufs Neue freuen täte, wenn dem George Michael sein Last Christmas im Radio rennt. Ich sage immer, ein Weihnachten ohne das Last Christmas, das wäre nicht dasselbe.

Aus: Austrofred, Pferdeleberkäse – Aufsätze & Reportagen, Czernin Verlag 2015, 160 S., 17,90 €