Das Leben in französischen Gefängnissen

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Das Leben in französischen Gefängnissen

Grégoire Korganow verbrachte drei Jahren mit französischen Häftlingen, um ihre Lebensbedingungen zu dokumentieren.

Ich fing diese Serie an, als ich 2010 an einem Dokumentarfilm von Stéphane Mercurio, À l'ombre de la République [Im Schatten der Republik], als Fotograf arbeitete. Die Dokumentation erzählte die Geschichte des Generalprüfers für Gefängnisse Jean-Marie Delarue. Nach den Dreharbeiten, Anfang 2011, bot mir Jean-Marie Delarue an, Teil seines Teams zu werden und die Bedingungen in französischen Vollzugsanstalten fotografisch zu dokumentieren.

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Ich arbeitete in etwa 20 Gefängnissen in ganz Frankreich—in Untersuchungsgefängnissen und gewöhnlichen Haftanstalten. Ich verbrachte im Durchschnitt zwischen 5 und 10 Tagen in jedem Gefängnis. Ich wählte sie nicht selbst aus. Ich war Teil eines Teams von Prüfern und Jean-Marie Delarue führte Regie, indem er die Gefängnisse auswählte.

Es ist schwer zu sagen, welches Gefängnis mich am meisten berührt hat. Ich habe intensive Erinnerungen an Baumettes in Marseille. Dort betrat ich eine andere Welt—der Schmutz, die Gerüche, der Lärm, es war die Hölle! Meine Fotos wurden später zum Titelthema einer französischen Nachrichtensendung, mit dem Titel: „Das Gefängnis der Schande!" Ich persönlich habe mich tatsächlich geschämt, in welchen Bedingungen die Insassen leben müssen.

Als ich mit der Arbeit anfing, war ich zwar unvoreingenommen, aber auch nervös. Ich fragte mich, wie die Gefängnisinsassen mich wohl empfangen würden. Ich hatte auch eine klischeehafte Vorstellung vom Gefängnis und befürchtete, dass ich mit ihnen keine Beziehung eingehen können würde. Ich hatte zuvor schon in Rennes mit den Familien von Gefängnisinsassen gearbeitet, auch schon mit Stéphane Mercurio für den Film À Côté. Ich hatte die Gelegenheit, das Wesen des Gefängnisses festzuhalten, indem ich den Alltag der weiblichen Insassen fotografierte. Diese Arbeit in den Gefängnissen ist Teil eines ersten Schrittes in die Dunkelzonen unserer Gesellschaft und einer Annäherung an die Menschen, die Widrigkeiten durchmachen.

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Ich habe versucht, das Unsagbare und das Willkürliche einzufangen; die Zeit, die stehenbleibt, die leeren Tage und Monate ohne Beschäftigung. Ich wollte auch, dass der Betrachter ein Gefühl für das Gefängnis entwickeln und mit den Inhaftierten eine Beziehung aufbauen kann, ohne sich zu fragen, was sie gemacht haben. Ich wollte Anekdoten vermeiden.

Ich hatte die Gelegenheit, alles ohne Überwachung durch die Gefängnisleitung zu fotografieren. Ich hatte eine Vereinbarung mit Jean-Marie Delarue. Meine Bilder dienten drei Jahre lang zur Illustration der Berichte des Generalprüfers. Nach dem Ende seiner Amtszeit im Mai 2014 bekam ich die Erlaubnis, die Arbeit öffentlich zu machen. Das ist eine Premiere in Frankreich. Noch nie durfte ein Fotograf in Gefängnissen derart frei arbeiten.

Mein Umgang mit den Insassen war sehr direkt. Ich verbrachte viel Zeit damit, ihnen zuzuhören, denn das Gefängnis ist ein Ort, an dem ein Mangel an Zuhören herrscht. Ich habe sie weder verurteilt, noch habe ich gefragt, was sie getan haben. Ich verhielt mich wohlwollend, auch wenn mir mitunter gewisse Insassen unsympathisch waren. Gewalt zwischen den Gefangenen kommt häufig vor. Sie gehen aufeinander los wegen eines Paars begehrter Turnschuhe, wegen Gras- oder Zigarettenschulden oder einem unfreundlichen Blick. Ich habe festgestellt, dass die Auseinandersetzungen oft schnell, leise und extrem brutal sind.

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Ich wollte nicht, dass Betrachter sich nach den Emotionen in einem Gesicht richten oder sich fragen, was die Person getan hat. Ich wollte ihnen stattdessen die Möglichkeit geben, sich mit den abgebildeten Personen zu identifizieren, sich zu denken: „Das da könnte ich sein." Es ist eine Arbeit mit den Sinnen. Ich erzähle nicht vom Gefängnis, ich biete die Möglichkeit, es zu fühlen.

Seit einigen Jahren schon arbeite ich am Körper. Ich beobachte die Haltungen, die Gesten, die Narben. Ich habe die entstellten Gesichter von zivilen Opfern im Irakkrieg eingefangen, die regungslosen Körper von Tänzern am Bühnenausgang oder Pornodarsteller zwischen zwei Drehs. Es ist nicht die Handlung, die mich interessiert, sondern der Augenblick davor oder danach.

Drei Jahre als Fotograf in Gefängnissen zu verbringen, geht nicht spurlos an einem vorüber. Es war nicht leicht, meine Position bei den Gefängnisprüfern aufzugeben. Ich hatte das Gefühl, ich würde mich vom sinkenden Schiff davonmachen. Doch wie mein Freund Bernard Bolze, Gründer der [Gefängnisüberwachungsorganisation] OIP, mich erinnerte: „Man muss das Gefängnis verlassen, um davon erzählen zu können."

Mir ist ein Insasse besonders in Erinnerung geblieben, der mit 19 für einen misslungenen Raubüberfall ins Gefängnis kam. Er wurde zu 3 Jahren verurteilt. 17 Jahre später war er immer noch eingesperrt, mit einem Entlassungsdatum für 2040. Er hatte eine unwahrscheinliche Anzahl von Strafen für im Gefängnis begangene Delikte bekommen: Beleidigungen, Gewalt, Brandstiftung, etc. Er weigert sich, sich der Autorität der Gefängnisleitung unterzuordnen. Er wird vermutlich niemals freikommen. Er ist bei lebendigem Leib eingemauert.

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