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Die Häuser an der Front des Ukraine-Konflikts

Die Stadt Pesky ist ein Sinnbild für die Zerstörung und die vielen Fronten des Krieges.

Trotz Waffenstillstand bleibt die Lage um die Millionenstadt Donezk angespannt. Die Vororte sind nach wie vor umkämpft. Überall findet man verlassene Häuser und Wohnungen. Viele sind zerstört oder für militärische Zwecke umfunktioniert worden. Nur sehr wenige Bewohner haben Zugang zu ihren Wohnungen. Ich habe die Geisterstädte und die Wohnungen besucht und mit früheren und verbliebenen Bewohnern gesprochen.

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Das Zentrum der Wohnblöcke nahe dem Haus der Kultur

Am Gesamtfrontabschnitt von Donezk stehen sich 12.000 ukrainische Soldaten und circa 13.000 Separatisten gegenüber. Neben Marinka ist vor allem die Frontstadt Pesky das Sinnbild dieses Krieges.

Viele Soldaten in Pesky kommen aus dem Westen der Ukraine. Es ist der Hotspot an der Front, in direkter Sichtweite zum Flughafen von Donezk. Nach ukrainischen Angaben sind hier über 5.000 Soldaten stationiert. Eine Stadt an den Toren von Donzek, nahezu komplett zerstört. Die Hochschule ist massiv beschädigt, die Schule ausgebrannt, das Haus der Kultur zerbombt. Kaum eine Wohnung oder ein Haus blieben verschont. Hinzu kommen die Plünderungen, begangen durch die verschiedenen Parteien, die in verschiedenen Zeiträumen die Stadt kontrollierten.

Die Häuser in den ärmeren Teilen von Pesky

Im August 2014 verloren die Separatisten Pesky an die Freiwilligenbatallione der rechts-nationalistischen Gruppe „Rechter Sektor", zu einer Zeit als die Armee in einem katastrophalem Zustand und nicht in der Lage war, große Teile der Front zu halten. Im April teilte sich dann die ukrainische Armee mit dem Rechten Sektor den Frontabschnitt. Der Rechte Sektor verließ zwei Monate später endgültig Pesky und zog sich ins Inland zurück. Bis heute sind die Konflikte zwischen den paramilitärischen Gruppierungen und der Regierung nicht vollends geklärt und bergen erhebliches Konfliktpotential.

Der Soldat Oleg vor einem großen Wohnblock

Für die Schäden an vielen verlassenen Häuser und Wohnungen gibt es noch keine wirkliche Lösung. Der Krieg in der Ost-Ukraine läuft unter der Maßgabe eines Anti-Terror-Einsatzes, weshalb sich die Kompetenzen zwischen dem Geheimdienst im Innenministerium und dem Verteidigungsministerium in manchen Teilen überschneiden. Das „Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus" von 2012 bildet den grundlegenden rechtlichen Rahmen. Es erlaubt dem Militärkommando u.a., im direkten Kampfgebiet privaten Wohnraum zu beschlagnahmen. Ehemalige Bewohner haben auch kein Anrecht, Einspruch dagegen zu erheben. Gleiches gilt auch bei öffentlichen Gebäuden wie zum Beispiel Schulgebäuden. Das Militär entscheidet vor Ort, welche Gebäude es braucht und konfisziert diese einfach.

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Ein verlassenes Schlafzimmer in einem Wohnblock

Nur wenigen Leuten erlaubt die Regierung, ihre Wohnungen zu besuchen und Sachen zu holen. Die Rechtslage, bezüglich der zerstörten Häuser und der verbundenen Kompensation, ist bisher ungeklärt.

Tanja in ihrer verwüsteten Wohnung

Tanja, 48, betritt zum ersten Mal seit über einem Jahr ihre Wohnung in Pesky. Sie begegnet kompletter Verwüstung: Gewand auf dem Boden, umgeworfene Schränke, zerstörte Möbel, Elektrogeräte, bis auf den Kühlschrank, gestohlen. Auf der Wand der Schriftzug „Moskali Handon", eine abwertende Parole gegen Russland, vermutlich von Soldaten des Rechten Sektors gesprüht. Tanja gehört zu den wenigen Leuten, die den Verantwortlichen für den Krieg in Russland sehen: „Alle meine Nachbarn waren für die Separatisten, sie hatten Angst nach dem Maidan. Die Fernsehbilder waren schrecklich. Aber ich fahre oft in den Westen, Putin hat uns den Krieg gebracht. Das will hier niemand hören."

Ein verwüstetes Wohnzimmer

Die Bewohner von Pesky sind nur bedingt loyal gegenüber den ukrainischen Soldaten und dem Staat. Aus verschiedenen Gründen. Zum einen wegen des Einfluss russischer Medien. Zum anderen durch die Zeit, als der Rechte Sektor die Stadt noch kontrollierte. Dieser hatte zwar Lebensmittel an die Bevölkerung geliefert, wurde von vielen aber durch das Nicht-Einhalten und -Anerkennen des Waffenstillstandes über Wochen und Monate für die Eskalation und die Zerstörung verantwortlich gemacht. Selbst der anwesende Soldat ist überrascht: „Eine Person von zehn mit dieser Haltung."

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In einer verlassenen Wohnung sind die guten Kleider noch unberührt

Tanja trägt Berge an dreckigen Klamotten, die Soldaten helfen ihr beim Heraustragen des Kühlschranks. „Mein ganzes Leben habe ich hier verbracht, gerade war unser Wohnzimmer neu eingerichtet worden, als der Krieg begann. Über Wochen habe ich mehr Zeit im Keller verbracht als in meiner Wohnung." Vielen Soldaten ist es unangenehm zu sehen, wie mit den Wohnungen umgegangen wurde. Oleg 32, Soldat, erzählt: „Wir wissen natürlich, dass auch unsere Soldaten durch die Wohnungen gegangen sind, mit dem Unterschied zu den anderen Gruppen, die hier waren, wird es bei uns bestraft. Wir hatten anfangs einige Vorfälle, aber seitdem so gut wie gar nicht mehr. Dieser Krieg kann nicht nur militärisch gewonnen werden, es geht auch um die Köpfe der Leute. Sie müssen das Gefühl bekommen, dass wir kriminelles Verhalten der Soldaten auch wirklich verfolgen und nicht so sind wie die Gruppen, die vorher hier waren."

Ein verlassenes Kinderzimmer

In Pesky ist so gut wie jedes Haus beschädigt oder zerstört, die Bewohner geflohen: In einer kleinen Seitenstraße steht jedoch ein Haus, das den Anschein erweckt, als hätte es hier nie Krieg gegeben. Der Garten sauber und geordnet, selbstgemachter Wein und Honig, eine Menge Tee und Kekse.

Svetlana und Anatoliy vor ihrem Haus

Das Haus von Svetlana und Anatoliy, beide 69, wirkt wie ein Fremdkörper zwischen den zerstörten Nachbarhäusern. Ein „Krieg der Politik und des Geldes" nennt Anatoliy die Ereignisse. Er selber sei nie politisch oder parteiisch gewesen wie seine Nachbarn. „Die Soldaten waren alle gleich zu uns, sie kamen an unser Tor und wollten Essen. Wir gaben ihnen etwas und dann verschwanden sie wieder, wir haben unser Haus und unsere Straße schon seit Langem nicht verlassen. Unsere Stadt ist nicht wiederzuerkennen, aber wir verlassen sie nicht."

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Eine Villa im ehemals guten Viertel von Pesky

Strom gibt es nicht, genügend Vorräte für den Winter haben sie durch Spenden zusammengekriegt. „Wir mussten immer kämpfen, egal ob Krieg war oder nicht. Kurz bevor der Krieg losging, haben wir unser Haus fertig renoviert, unser Erspartes ist darin aufgegangen. Schauen Sie sich an, was aus den anderen Häusern geworden ist, seitdem die Leute weg sind." Seine Frau versucht dennoch, ihn dazu zu überreden wegzuziehen, doch beide trotzen den Granaten und dem Gewehrfeuer, sie wollen bleiben und, wie Svetlana sagt, auch wieder erleben, „wie diese schreckliche Zeit ein Ende nimmt".

Ein Wohnzimmer in einem der Wohnblöcke

Am Ende erzählt Anatoliy, was ihn antreibt durchzuhalten: „Meine Eltern haben nicht viel über den Krieg erzählt. Kriege waren für uns damals nur alte Erzählungen. Mein Vater meinte einst zu mir: egal wie arm du bist, egal wir krank du bist, es ist immer noch um das Tausendfache besser als Krieg. Ich beginne nach 60 Jahren zu verstehen, was er meinte."