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Popkultur

Wie Online-Propaganda die Flüchtlingssituation bestimmt

Propaganda verzerrt nicht nur unsere Wahrnehmung in der Flüchtlingsdebatte, sie nimmt auch immer mehr eine leitende Rolle ein.

Collage via VICE Media

Für die Flüchtlinge am Hauptbahnhof werden noch dringend Butter, Gurken und Schwarzbrot gebraucht—und Trüffel. Infos wie diese werden derzeit über Twitter verbreitet, von einem Account, der eigentlich genau wie ein anderer Account aussieht und nur durch einen Unterstrich mehr im Nutzernamen vom Original zu unterscheiden ist.

Die völlige Beliebigkeit der benötigten Sachspenden (und das häufige Vorkommen des Begriffs Trüffel in den Aufzählungen) macht eigentlich recht schnell klar, dass es sich um eine Parodie des eigentlichen „Trainofhope HBF Wien"-Accounts handelt. Um das so unauffällig wie möglich zu machen, wurde der Ursprungs-Account beinahe auf den Buchstaben genau gespiegelt.

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Wenn man Twitter ein bisschen ungenau liest, könnte man fast drauf reinfallen. Viele tun das auch. Nicht zuletzt, weil der Fake-Account zwischendurch auch wirklich benötigte Sachspenden twittert und somit für noch mehr Verwirrung sorgt. Spätestens, wenn da steht, Putenfleisch und kandierter Zucker wären von Nöten, erkennt man, was echt und was nicht echt ist (und habe ich schon den Trüffel erwähnt?).

Dass es überhaupt noch zu Verwechslungen mit dem Original kommt, liegt auch daran, dass das offizielle Twitter-Konto unter anderem Nachrichten wie diese hier postet: „Please stop the Müsliriegels! No more Müsliriegels!". So richtig und großartig die Hilfsaktion am Hauptbahnhof auch gerade ist, so sehr verschwimmen bei einem Beitrag wie dem energischen Müsliriegel-Stopp ein bisschen die auszumachenden Grenzen zwischen Satire und echten Infos.

außerdem: please stop the müsliriegels! no more müsliriegels! — trainofhope HBF Wien (@HBF_Vie)7. September 2015

Trotzdem: Nur weil erkennbar ist, was der Fake-Account versucht, macht es das noch lange nicht besser. Auch, wenn die Urheber unbekannt bleiben, ist die Richtung, aus der die Fälschung kommt, erahnbar: Man versucht, die Sache lächerlich zu machen und die Flüchtlingshilfsaktion als dekadente, unverschämte Wohlstands-Initiative hinzustellen.

Manche—vor allem aus dem rechten Lager—argumentieren an dieser Stelle gerne mit Satire. Sie pochen darauf, dass Satire nicht nur dann alles können und alles tun dürfen muss, wenn sie von Links kommt. Aber der Vergleich hinkt.

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Ja, Satire ist ein Freipass—und sie sollte tatsächlich alles dürfen, um auf gesellschaftlich relevante Themen aufmerksam zu machen. Satire darf links genauso kritisieren wie rechts. Tatsächlich tut sie genau das auch die ganze Zeit über, wie jeder weiß, der sich Die Tagespresse oder das Titanic Magazin regelmäßig anschaut.

Aber es gibt einen klaren Unterschied zwischen Satire und dem, was der Fake-Account zur Trainofhope-Hilfsaktion macht: Das eine ist eine Persiflage und auch als solche erkennbar. Das andere ist dazu da, um hilfsbereite Menschen zu verwirren, ihre wichtige Arbeit zu behindern und mehr noch: Der Fake-Account ist ein Propaganda-Instrument. Er soll echte Information stören, die Helfenden irritieren, Unsicherheit bei den Usern schaffen, die nicht mehr wissen, was sie glauben können (Trüffel oder Todesangst, was ist eigentlich echt?).

„Stop the Müsliriegels" hin oder her—mit so einer Aktion wird letztendlich nur Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht oder die Meinung der Rechten weiter bedient, und das übernehmen eigentlich bis jetzt schon genügend andere.

Solche Online-Propaganda wird von vielen freudig aufgenommen, ohne großartig darüber nachzudenken, sofern es den eigenen verängstigten Vorstellungen irgendwie nahekommt und zuspricht. Das haben wir schon gesehen, als ein Foto aus einem chaotisch wirkenden Kärntner Flüchtlingslager viral ging.

Screenshot via VICE Media

Der Nutzer, der das Foto ursprünglich gepostet hatte, hat es mittlerweile gelöscht. Seine Bildunterschrift, die andeutete, dass seitens der Flüchtlinge Undankbarkeit herrsche, erreichte im Zusammenhang mit der Aufnahme beinahe 30.000 Shares und mindestens genau so viele wutentbrannte Kommentare bei Facebook.

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Auch Pegida und andere rechtsextreme Gruppierungen verbreiten via Social Media Informationen, die schlicht und einfach falsch sind—beispielsweise Flüchtlinge würden Smartphones von österreichischen Mobilfunkanbietern geschenkt bekommen. Solche Geschichten bleiben kleben, werden weitererzählt, schüren Angst. Nicht, weil sie wahr sind—sondern weil sie bestätigen, was manche gerne glauben würden, um ihr Bild von uns armen Einheimischen und der fremden Bedrohung zu erhalten.

Am anfälligsten dafür sind Menschen, die gerne mit „Wenn ich du wäre, würde ich nicht alles glauben, was in der Zeitung steht" argumentieren, im selben Atemzug jedoch ihre eigene Aussage auf ein Bild stützen, das sie ohne Quellenangabe auf Facebook gesehen haben. Ein Bild mit irreführender, dem Bild angedichteter Unterschrift, dessen Herkunft und Entstehungsgeschichte wiederum keine Sekunde lang hinterfragt wird.

Caritas-Geschäftsführer Klaus Schwerter musste via Facebook zahlreiche User aufklären, nachdem ein Foto vom Westbahnhof kursierte—darauf zu sehen waren Kisten voller Brot in einem Müllraum, vermeintlich weggeworfen. „So gehen sie mit eueren Spenden um", lautete der Beisatz. Tatsächlich wurde das Brot nur vorübergehend in dem Raum gelagert, um es vor dem Regen zu schützen.

Bilder aus dem Kontext zu reißen, oder sie erst gar nicht darin zu sehen, ist einfach. Heinz-Christian Strache postete auf seiner Facebook-Seite kürzlich ein Video von Flüchtlingen an einem Bahnhof in Ungarn, die sich weigern, Spenden anzunehmen und Wasserflaschen auf die Gleise werfen. „Szenen aus Ungarn. Dem angeblich bösen Nachbarland" steht darüber, der Text des Original-Postings beschreibt „das Video, das nicht an die westliche Presse geht" und zeigt sich empört darüber, wie „grausam die Flüchtlinge mit den armen Polizisten umgehen".

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Auf Umstände, unter denen die Aufnahmen entstanden sind, und weiterführende Erklärungen—seien sich nun rechtfertigend oder nicht—wird gänzlich verzichtet. Es geht gar nicht darum, ob es okay ist, was auf diesem Video zu sehen ist. Vielmehr aber um die Lemming-haften Reaktionen, die so ein Posting mit sich zieht.

Die Hintergründe zu dem Video waren schnell erklärt: Die Flüchtlinge waren aus Protest, in ein Auffanglager gebracht zu werden, in einen Hungerstreik getreten und verweigerten Essen und Trinken. Der Zug, von dem sie glaubten, er würde sie nach München bringen, wurde von der Polizei in Bicske aufgehalten.

Der User, dessen Beitrag Strache verbreitet, hatte auf seinem Profil erst kürzlich das umstrittene Bild des ertrunken Flüchtlingsjungen geteilt, versehen mit den Zeilen, die Lügenpresse würde wichtige Infos vorenthalten—demnach war der Junge nämlich gar kein Kriegsflüchtling, sondern lebte mit seiner Familie in der „sicheren Türkei". Eine illegale Einreise nach Europa erfolgte schließlich nur, weil der Vater „neue Zähne haben wollte". Auch der britische UKIP-Kandidat Peter Bucklitsch sorgte mit einer ähnlichen Meldung für Aufsehen, als er auf Twitter auf den guten Kleidungsstil des toten Jungen hinwies und den Eltern, die vermeintlich Wirtschaftsflüchtlinge wären, die Schuld gab (inzwischen wurde sein Account gelöscht).

Derzeit macht ein Foto auf sozialen Medien die Runden, auf dem ein IS-Kämpfer zu sehen sein soll, der sich jetzt als Flüchtling ausgibt und so nach Europa geschmuggelt werden konnte. Tatsächlich zeigen die Aufnahmen einen syrischen Widerstandskämpfer—sogar die verwendete Collage entstammt einem Bericht des Atlantic, in dem der Werdegang des Mannes beschrieben wird. Eine erfundene Bildunterschrift und 70.000 verängstigte Shares später wird er als IS-Terrorist bezeichnet.

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Am Beispiel des satirischen Trainofhope-Accounts merkt man ziemlich deutlich, wie heftige Online-Propaganda nicht nur allmählich anfängt, unsere Wahrnehmung zu verzerren, sondern auch immer öfter eine leitende Rolle in der Debatte um die Flüchtlingssituation einnimmt. Fakes haben ihren Weg in den Diskurs geschafft und Leute nutzen falsche Infos, um echte Ängste damit zu illustrieren. Das ist den Nutzern, die darauf hereinfallen, weniger vorzuwerfen, als den Leuten, die solche Fakes wissentlich produzieren.

Dabei geht es nicht darum, dass Humor tabu ist oder Satire nicht sein darf. Aber im Gegensatz zu Satire dienen Fake-Accounts nicht dazu, die Sache besser zu verstehen, sondern erschweren nur das Verständnis für ein Thema, das ohnehin bereits mehr von gefühltem Wissen als von echten Fakten bestimmt wird.

Dass die Anti-Asyl-Propaganda einen ganz anderen Zweck verfolgt als wirkliche Satire, sieht man auch daran, dass sie unhinterfragt geteilt wird. Die Absicht ist es nicht, die Menschen kritikfähiger zu machen oder mehr zum Nachdenken zu bringen. Leute, die Straches Video-Posting oder auch das Foto eines chaotischen Asylzelts empört kommentieren und die undankbaren Flüchtlinge an den Pranger stellen, tun das ohne jede weitere Auseinandersetzung.

Das zeigte auch die Aktion eines Fotos vom Nova Rock-Zeltplatz, das als Traiskirchen-Foto verbreitet wurde, um Hetzern den Spiegel vorzuhalten. Propaganda ist im sozialen Netz ein genauso mächtiges Instrument wie in der echten Welt, vielleicht sogar das mächtigste, das man heute nutzen kann. Wie unfassbar gut es funktioniert, zeigen die Kommentare unter besagten Postings. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, erzählt manchmal sogar tausend Geschichten. Aber eben nur eine Version von tausend Geschichten.

Franz auf Twitter: @FranzLicht