Wir haben die falschen Behauptungen des "Krone"-Kolumnisten korrigiert

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Wir haben die falschen Behauptungen des "Krone"-Kolumnisten korrigiert

Die Instrumentalisierung des Begriffs "Fake News" hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Tassilo Wallentin missbraucht ihn, um mit falschen Behauptungen Stimmung gegen die Regierung zu machen.

Ursprünglich waren mit "Fake News" falsche Nachrichten gemeint, die gezielt und im großen Stil produziert wurden. BuzzFeed deckte im November 2016 auf, dass Jugendliche in einer kleinen mazedonischen Stadt News und Zitate erfanden, die sie auf über 100 Pro-Trump-Webseiten verbreiteten. Auf diese Propagandawerkstätten traf der Begriff "Fake News" zu.

Seither ist von dieser Bedeutung im öffentlichen Diskurs – nicht nur in den USA – wenig übrig. Als der Falter über die Pröll-Stiftung und den damaligen Finanzreferent Wolfgang Sobotka berichtete, tat der nunmehrige Innenminister dies als "Fake News" ab – ohne die Fakten des Berichts anzuzweifeln. Er bestreitet nicht, die Förderungen genehmigt zu haben. Faktisch ist somit alles richtig, der Vorwurf "Fake News" ein unwürdiger Untergriff, der die öffentliche Diskussion vergiftet und nicht mit "sprachlicher Ungenauigkeit" abzutun ist.

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Das zeigt die aktuelle Debatte in den USA: Donald Trump handelt unliebsame Fragen als "Fake News" ab. Und wenn man selbst – wie Trumps Pressesprecher – fünfmal beim Lügen erwischt wird, behauptet das Team, "alternative Fakten" zu haben. Das ist nicht nur absurd, sondern auch ein bisschen gefährlich. Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber niemand auf "eigene Fakten". Ansonsten verwahrlost der öffentliche Diskurs vollends und die Gesellschaft wird nicht mehr in der Lage sein, wichtige Entscheidungen faktengestützt zu treffen.

Um das zu veranschaulichen, greifen wir ein besonders krasses Beispiel heraus – die aktuelle Sonntagskolumne des "Krone"-Autors und Rechtsanwalts Tassilo Wallentin. Seine These: Die Regierung fälscht Statistiken und verheimlicht den Bürgern bewusst die Wahrheit. Ausgerechnet er, der anderen Falschmeldungen vorwirft, macht in diesem Text so viele Fehler, dass es kaum auszuhalten ist. Gehen wir sie der Reihe nach durch:

Foto: epaper.krone.at | Montage: VICE Media

1. "Unsere Regierung will 'Fake News' verbieten."

Bereits der erste Satz des Textes stimmt nicht. Es gibt weder eine Regierungsvorlage, noch eine öffentliche Äußerung dahingehend. Staatssekretärin Muna Duzdar wünscht sich bloß "Bewusstsein". Von Verbot ist keine Rede.

2. "Der wahre Anteil von Asylwerbern an Straftaten wird entweder nicht erhoben oder gezielt heruntergespielt. Zum Beispiel wird der Angriff des afghanischen Sex-Mobs auf Frauen in Innsbruck der Asylwerber-Kriminalität nicht zugerechnet, solange 'offiziell gegen Unbekannt' ermittelt wird. Das, obwohl die Polizei den Täterkreis ganz genau kennt."

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Der Anteil straffälliger Asylwerber ist für jeden zugänglich im Kriminalitätsbericht des Innenministeriums nachzulesen, den ich hier zusammengefasst habe. Erfasst werden die Tatverdächtigen mit der Anzeigeerstattung – allerdings laut Richtlinie zur Zählweise nur, wenn der Tatverdächtige konkret genug ausgeforscht ist. Oder einfacher formuliert: Wenn die Polizei – wie in Innsbruck – gegen "Unbekannt" ermittelt, kann sie die noch unbekannten Tatverdächtigen nicht in Geschlecht, Alter und Aufenthaltsstatus einteilen. Wallentin will offenbar eine Diskriminierung bestimmter Tätergruppen; eine Vorverlagerung der Schuldzuweisung in Statistiken ohne konkrete Ausforschung der Täter. Für einen Anwalt ist eine solche rechtsstaatliche Ansicht bemerkenswert.

3. Wenn derselbe Täter etwa 20 Einbrüche verübte, wurde das in der Kriminalstatistik als nur ein Delikt dargestellt.

Die Richtlinie zur Zählweise regelt auch, wann ein Delikt einzeln und wann mehrfach gezählt wird. Da das Beispiel zu ungenau ist, ist eine Einordnung nicht möglich.

4. "Als die Anzeigen gegen die afrikanische Drogenmafia in Wien massiv anstiegen, kam 'die Anweisung von ganz oben', in der nächsten Zeit an den Brennpunkten weniger zu kontrollieren. Dies, um den Bürgern das wahre Ausmaß der Kriminalität und die Herkunft der Täter zu verschweigen."

Der Pressesprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, weist dies auf Anfrage von VICE zurück. Außerdem sei eine "seriöse Beantwortung" nur möglich, wenn der Krone-Autor seine Behauptung konkretisieren oder belegen würde. So ist es bloß ein Gerücht, dass sich Wallentin auch einfach ausgedacht haben könnte.

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5. "In die jährliche Asylobergrenze unserer Regierung von 37.500 werden nur Asylwerber eingerechnet, die ihren Asylantrag gleich an der Grenze stellen. Die – Abertausenden – illegalen Grenzübertritte nach Österreich und der gesamte Familiennachzug werden auch weiterhin nicht mitgezählt."

In diesem Fall könnte Wallentin wirklich etwas erfunden haben. Rechtliche Anhaltspunkte für diese Behauptung finden sich laut Grundböck jedenfalls nirgendwo: "Es ist völlig unbeträchtlich, ob der Antrag direkt an der Grenze oder im Inland gestellt wird. Selbstverständlich wird auch der Familiennachzug mit eingerechnet."

6. "Ein Asylwerber, der seinen Pass wegwirft und den Behörden eine falsche Identität angibt, kann später nie mehr abgeschoben werden. Kein Wunder: Sein Heimatland steht ja nicht zweifelsfrei fest. Solche Personen – von denen es mittlerweile Tausende in Österreich gibt – gelten für unsere Regierung nicht als 'Asylanten', sondern als 'Geduldete'. Sie halten sich weiterhin unbehelligt im Bundesgebiet auf. Sie werden in die Asylobergrenze der Regierung nicht eingerechnet."

"Geduldete" werden laut Grundböck in die Asylobergrenze eingerechnet – wenn sie ein negatives Asylverfahren hinter sich haben.

7. "Asylwerber, die in einem anderen EU-Land bereits Asyl beantragt haben und nun in Österreich einen neuen Asylantrag stellen, werden von unserer Regierung ebenfalls nicht mitgezählt."

In die Asylobergrenze werden grundsätzlich nicht Anträge, sondern Verfahrenszulassungen gezählt. Von Verfahrenszulassung spricht man, wenn die Behörde die Entscheidung trifft, dass das Verfahren inhaltlich in Österreich zu führen ist. Sogenannte Dublin-Fälle, die in einem anderen EU-Land einen Antrag gestellt haben, werden für kein Verfahren in Österreich zugelassen, so Grundböck. Sollte es nicht möglich sein, diese Personen in das ursprüngliche EU-Land zurückzuschieben, tritt laut Gesetz eine Verfahrenszulassung ein, die auch in die Asylobergrenze eingerechnet wird.

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8. "Laut Sozialministerium nimmt die Anzahl der Bezieher von Mindestsicherung kaum zu. Auch das ist so unrichtig. Wenn ein Asylberechtigter rund 830 Euro Mindestsicherung pro Monat bezieht und dann seine gesamte Familie nachholt, so erhöht sich die Mindestsicherung samt Beihilfen; in extremen Fällen auf mehrere tausend Euro monatlich. Das gilt für unser Sozialministerium nicht als Anstieg von Mindestsicherungsbeziehern."

Das ist der erste und einzige Punkt, für den Wallentin eine Quelle anführt. Aber nicht zu früh freuen: Die Presseabteilung des Sozialministeriums erklärt gegenüber VICE, niemals Kontakt zu Tassilo Wallentin oder der "Krone" in dieser Angelegenheit gehabt zu haben. Und auch in den Presseaussendungen der vergangen Monate wurde vom Sozialministerium nirgendwo behauptet, dass die Anzahl der Bezieher nicht oder kaum ansteige.

"Das wäre auch ziemlich verrückt", sagt Sprecher Christoph Ertl, "bei so einem Anstieg der Asylverfahren". Von 2014 auf 2015 gab es einen Anstieg der Bezieher um 10, 9 Prozent. Die Ausgaben der Bundesländer für die Mindestsicherung stiegen um 13, 7 Prozent. Auch diese Informationen sind öffentlich zugänglich.

Fassen wir zusammen: Wallentin führt 7 Punkte an, wie und warum die Regierung die Bürger belügt. 6 der 7 Punkte haben teils gravierende faktische Fehler. Bei einem Punkt ist Wallentin für eine faktische Beurteilung zu ungenau. Alle Informationen, die Wallentin benötigt hätte, sind online zugänglich. Wallentin hat mit den zuständigen Behörden keinen Kontakt gehabt. Die Einleitung und These des Textes gründet auf der falschen Annahme, die Regierung wolle "Fake News" verbieten. Und dann wäre da noch eine Sache.

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Screenshot via wallentinlaw.com

Gibt man bei Google "Tassilo Wallentin" ein, schlägt die Autovervollständigung auf Platz 1 "FPÖ" vor. Wallentin hält nicht nur Vorträge bei FPÖ-Organisationen, sondern fungiert auch als persönlicher Anwalt des ehemaligen Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf (FPÖ), auf dessen Sprachrohr unzensuriert.at er gerne lang zitiert wird, sowie des Bundeparteiobmanns Heinz-Christian Strache. Letzterer schickte vor 3 Wochen übrigens eine Presseaussendung mit dem Titel "Bundesregierung selbst ist Produzent permanenter 'Fake News'" aus.

Für Strache zeigt sich "alleine am Beispiel der Kriminalstatistik in den vergangenen Jahren, wie sehr diese Regierung trickse und damit politische 'Fake News' produziere." Klingt das nicht ähnlich wie Wallentin? Strache teilte jedenfalls wenig überraschend den Text seines Anwalts auf Facebook – wie viele andere. Eine Kolumne mit dem Titel "Offen gesagt" sollte vielleicht nicht nur die Recherchemethode, sondern auch die Interessenskonflikte, die der Autor (nicht) hat, offenlegen.

UPDATE: Mehrere User weisen darauf hin, dass das Statistik-Zitat am Beginn des Krone-Artikels auch falsch ist. Laut Nachforschungen des Statistischen Landesamts stammt es nicht von Churchill, sondern von Goebbels, der Churchill lächerlich machen wollte.

Christoph auf Twitter: @Schattleitner