Wir haben die neue Serie '4 Blocks' mit echten Berliner Gangstern geschaut
Alle Fotos: Daniel Mützel

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Wir haben die neue Serie '4 Blocks' mit echten Berliner Gangstern geschaut

"Ein Treffen mit Großhändlern würde so auf gar keinen Fall ablaufen. Wenn deine Mutter beleidigt wird, musst du ihn auch angreifen – notfalls mit Waffen."

Berlin-Neukölln, Sonnenallee, gegen 22 Uhr. Ein schwarzer Audi A8 nähert sich, hält an, ich steige ein. Drinnen sitzen Sharif, 28, Bilal, 26, und Hussein, 36. Das sind nicht ihre richtige Namen, denn die drei gehören zu stadtbekannten arabischen Großfamilien. Die Zahl ihrer Straftaten füllt bei der Staatsanwaltschaft ganze Ordner: schwerer Raub, Körperverletzung, konkreter dürfen wir das hier nicht beschreiben. Zusammengerechnet sitze ich mit knapp 20 Jahren Knasterfahrung im Auto. Die Stimmung könnte besser sein. Beinahe wäre das Treffen geplatzt, sagt Sharif gleich nachdem ich eingestiegen bin. Etwas sei dazwischen gekommen, eine Schlägerei, offenbar aus nichtigen Gründen. "Bei anderen Sachen sage ich denen, schlag' ihn, und wenn du ihn wieder siehst, schlag' ihn nochmal. Aber nur weil jemand blöd guckt, ist doch kein Grund ihn zu verprügeln", sagt er. "Unnötiger Stress."

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Aber gut, hat ja geklappt. Der Mann am Steuer, Bilal, habe das geregelt, sagt er. Wie, erfahre ich nicht. Ich frage auch nicht. Wir fahren um ein paar Blocks und wenig später sitzen wir in Husseins Wohnzimmer, auf einer schwarzen, ledernen Sofalandschaft, der Fernseher thront über dem Zimmer wie ein wandgroßes Gemälde. Auf dem Glastisch vor uns ein Spiegel mit vier sauber gelegten Koks-Linien, daneben eine Walther PPK, Kaliber 9mm. Kleiner Scherz. Tatsächlich stehen dort Fanta, Flips und Kippen.

Und dennoch, die Serie, die wir uns gleich zu Gemüte führen, könnte von den drei Gangstern neben mir geschrieben worden sein. Denn was 4 Blocks zeigt, ist ein Stück weit auch ihr Leben: arabische Großfamilien in Neukölln, Drogenhandel, Stress mit der Staatsgewalt.

Die Serie erzählt die Geschichte der Hamadys, einer libanesischen Großfamilie, die mit Kokainhandel, Prostitution und Schutzgelderpressung die Neuköllner Unterwelt kontrolliert. Das Feuilleton hat die Produktion des Senders TNT durch die Bank gefeiert, auch weil die Macher die Geschichte so authentisch erzählen. Um Sound und Habitus der Straße zu treffen, haben die Drehbuchautoren laut FAZ drei Jahre lang recherchiert. Die Darsteller stammen teils aus Neuköllner Familien und saßen teils selbst schon im Bau. Grund genug, die Serie mit echten Neuköllner Gangstern zu gucken, eine Art Qualitätskontrolle mit Leuten vom Fach.


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Mit Flips und Kaltgetränken bewaffnet fläzt sich die handverlesene Jury aus Intensivtätern auf Husseins Sofa. Die erste Hälfte geht, abgesehen von ein paar Kleinigkeiten unwidersprochen durchs Couch-Komitee. Einspruch gibt es nur, als ein Dealer der Hamady-Familie hochgenommen wird: "Warum zur Hölle versteckt er die Drogen bei sich zuhause, auch noch in der Couch?" "Für schlechte Zeiten oder was!" Abgesehen davon sind die Kritiker zufrieden.

Auch als Familienoberhaupt Toni Hamady und seine Frau Kalila die Ausländerbehörde besuchen, um nach der lang ersehnten Aufenthaltsgenehmigung zu fragen, fühlen sich die drei an eigene Erfahrungen erinnert. "Die sieht genau aus wie Ausländerbehörde", grinst Hussein und meint die blonde, etwas verstockte Behördenangestellte. Ich frage, ob die Mitarbeiter der Ausländerbehörde denn immer so freundlich und entgegenkommend seien, Serien-Zitat: "Unter uns, Herr Hamady, es ist nur eine Frage der Zeit, bis Sie die Pässe bekommen." Als Antwort folgt nur spöttisches Gelächter. "Ha!", "Wallah niemals!", "Ts."

"In Neukölln macht jeder, was er will."

Doch wenig später bricht das Wohlwollen der kritischen Zuschauer zusammen. Als zwei Halbwüchsige der Hamady-Familie durch die Hasenheide spazieren, um den ihnen unterstellten afrikanischen Dealern auf die Finger zu schauen, kippt die Stimmung auf der Sofalandschaft. "Seit wann arbeiten Schwarzafrikaner für Araber?", ruft Sharif empört durchs Wohnzimmer. "Seit 20 Jahren gibt es Krieg zwischen Afrikanern und Arabern in der Hasenheide und im Görlitzer Park! In den 90er Jahren wurde der sogar mit Waffen ausgetragen." Höchstens Araber aus Nordafrika würden in den Parks dealen, ergänzt Bilal auf der linken Sofa-Flanke, aber keine aus dem Nahen Osten. Ich geb' dir mein ganzes Hab und Gut, wenn du mir einen Schwarzen bringst, der für einen Araber arbeiten würde."

Überhaupt, dass die zwei Halbstarken von "ihrer Ecke" fabulieren, in der nur sie verkaufen dürfen, sei "Schwachsinn". "Ein Bezirk hat keinen Besitzer", erklärt Bilal. "In Neukölln macht jeder, was er will. Solange du keinem anderen das Geschäft vermiest, kannst du deinen eigenen Stoff verticken." Überhaupt mache der Straßenverkauf heute nur einen verschwindend geringen Teil des Markts aus. Vor allem Kokain-Taxis haben den Markt übernommen. "Heute gehst du nicht mehr zu den Drogen, die Drogen kommen zu dir", sagt Bilal. Die Dealer kennen sich nur teilweise untereinander. "Es gibt so viele Koks-Konsumenten, da braucht man überhaupt keinen Überblick, wer alles dealt. Die Straße gehört allen."

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Wir beruhigen uns wieder und schauen weiter. Weil Latif Hamady, gespielt von Rapper Massiv, von der Berliner Polizei mit neun Kilo Stoff hops genommen wird, bekommen die Lieferanten der Hamadys kalte Füße und wollen sie vom Nachschub abschneiden. Bei einem konspirativen Treffen auf einem Hausdach setzt Clan-Chef Toni Hamady sein gesamtes Verhandlungsgeschick ein, um die El-Safi-Brüder doch noch zu überzeugen, weiter zusammenzuarbeiten. Doch Tonis Bruder Abbas, ein Hüne mit leicht reizbarem Gemüt, fängt plötzlich an, die Brüder aufs Übelste zu beleidigen – der Deal platzt, die Hamadys sitzen erstmal auf dem Trockenen.

Von der Jury gibt es dafür null Punkte. "Unmöglich", ein Treffen mit Großhändlern würde so auf gar keinen Fall ablaufen – alleine schon deswegen nicht, weil der El-Safi-Boss die Hurensohn-Tirade von Abbas nur milde weglächelt. "Wenn bei sowas deine Mutter beleidigt wird, musst du ihn auch angreifen", sagt Sharif, "notfalls mit Waffen."

Schon mal vorgekommen, dass bei so einem Treffen jemand ausfällig wurde? "Bist du verrückt?", sagt Sharif. Niemand würde sich das trauen. "Da treffen sich die Familienoberhäupter, völlig ausgeschlossen."

"Da wurde Mohammed erschossen."

Wir glotzen weiter. Tonis Bruder Abbas ist auf seinem Rachefeldzug gegen einen Berliner Polizisten. Mit Skimaske und Pistole stattet der Stiernacken mit schwacher Impulskontrolle dem Ermittler einen nächtlichen Hausbesuch ab, klingelt – und feuert. Der Polizist ist sofort tot. "Brauchen wir gar nicht drüber reden über diese Szene. Totaler Schwachsinn", murmelt Sharif. Niemals würde einer aus der Familie zu einem Polizisten nach Hause gehen, um ihn zu ermorden. "Nicht, weil sie es nicht könnten, sondern weil sie es nicht wollen. Schade, hat so gut angefangen." Bilal stimmt zu: "Unnötige Szene."

Der Empörungspegel auf der Couch steigt weiter, als in der zweiten Episode Tonis alter Jugendfreund Vince, gespielt von Frederick Lau, Tonis Schwester in ihrem Café eindeutige Blicke zuwirft. Der Konsens im Raum: "Hurensohn!" Im realen Leben, so die einhellige Meinung, wäre es nicht vorstellbar, dass eine Kartoffel sich so etwas traut.

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Langsam manövrieren wir uns mit dem Experiment in eine überkritische Ecke. Eigentlich gefällt ihnen die Serie, und viele Szenen scheinen tatsächlich wie aus dem Leben der drei gegriffen. Da ist das Pornokino in Episode 2: "Da haben wir früher DVDs geklaut." Das Stammcafé der Hamadys: "Da wurde Mohammed (Name geändert) erschossen, ich war mit seiner Schwester zusammen." Oder Szenen von der Sonnenallee: "Da ist mein Geschäft!" Die Schauplätze gehören zu ihrer Biographie.

"Ich will gar nicht so negativ sein", sagt Sharif. "Es ist ja auch ein Film, keine Doku." Dass nicht alle Szenen die Wirklichkeit auf den Straßen von Neukölln abbilden, kann eben auch daran liegen, dass die Darsteller zwar teils aus Neukölln stammen, aber nicht alle über Street-Credibility im engeren Sinne verfügen. Meint zumindest der Sofa-Kritiker zu meiner Linken. "Ich kenne ein Paar von den Schauspielern ganz gut, aber Straßenerfahrung hat von denen nur Gringo."

Wir vereinbaren, für den Rest der Serie das Kritiker-Gehabe sein zu lassen und die Show zu genießen. Und ich begnüge mich mit dem abschließenden Urteil, dass 4 Blocks wohl wie keine andere Serie an die Neuköllner Wirklichkeit heranreicht, aber die Macher zugunsten der Spannungskurve eben noch einiges hinzugedichtet haben.

"Soll ich doch noch eine Line legen fürs Foto?", grinst Bilal – danke, nein, ist gut so. Soll ja authentisch sein.

Mitarbeit: Thomas Kieschnick

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