FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Wie es sich anfühlt, Anfang 20 zu erfahren, dass man eine schwere Krankheit hat

Wenn man in den Zwanzigern plötzlich eine Diagnose bekommt, die viel ändern wird, sollte man nicht am Leben verzweifeln. Ich habe Epilepsie. Aber das Leben geht weiter—wenn auch anders.
Foto: VICE Media

Als ich letzten Herbst einen Artikel darüber geschrieben habe, wie beschissen das Leben Mitte 20 manchmal sein kann, habe ich darauf viele nette und weniger nette Reaktionen bekommen. In einem kurzen Teil des Artikels habe ich über Krankheiten geschrieben, die plötzlich immer mehr Menschen im eigenen Umfeld bekommen—aber auch man selbst. Wochen später bekam ich dann folgende Nachricht von jemandem, der den Text gelesen hatte und mich nicht kannte: „Mit dem Krankheitszeug konnte ich erst nicht so viel anfangen. Klingt auch etwas gewollt."

Anzeige

Diese Nachricht hat mich damals sehr verletzt, weil mir dieser Aspekt ein sehr wichtiger war, den ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht ausführen wollte. Ich habe, wie viele andere Menschen auch, eine Krankheit, die mich in bestimmten Lebensbereichen einschränkt und in schlechten Momenten verzweifeln und sämtlichen Sinn an allem in Frage stellen lässt. Nicht viele wissen davon und deshalb habe ich auch diesen Text bisher nicht geschrieben. Aber als ich vor zwei Jahren die Diagnose bekommen und daraufhin natürlich dummerweise im Internet recherchiert habe, habe ich in viel zu vielen Foren gelesen, dass man über solche (im eigenen Leben doch sehr elementaren) Dinge mit seinem Umfeld nicht sprechen sollte, weil Freunde einen verlassen und Arbeitskollegen anders behandeln würden. Aber dieses Totschweigen schafft Probleme, wo vielleicht keine sein müssten.

Buuuh! Du gehst schon wieder nicht fort? Du bist so eine Langweilerin.

Ich habe Epilepsie und seit ich das weiß, gibt es für mich zwei Gedanken, die an manchen Tagen unerträglich sind: Ewigkeit und Endlichkeit.
Ewigkeit, weil man sich bewusst ist, dass man, egal wie lange man lebt, mit dieser Krankheit leben muss. Eine Unendlichkeit, auch wenn sie nur eine zu sein scheint, die man in diesem kranken Körper fristen muss, der nach und nach dieser Krankheit verfallen wird. Natürlich kann es sein, dass man davor an Krebs stirbt oder von einem Auto überfahren wird, aber auch dieser Gedanke ist nicht sehr aufmunternd und wahrscheinlicher ist, dass die Krankheit einen irgendwann einholt. In meinem Fall von Epilepsie, wodurch das Gehirn nicht mehr so funktioniert, wie es sollte.

Anzeige

Und hier geht die Angst in eine Angst vor Endlichkeit über, weil einem ja völlig bewusst ist, dass man diese Krankheit hat und weiß, dass diese Endlichkeit, die wir sowieso meistens versuchen zu ignorieren, nicht so verbracht werden kann, wie man es gerne tun würde. Natürlich passt man sich an. Aber man ist nie so frei und unbeschwert, wie man es eigentlich gerne wäre.

Vor zwei Jahren habe ich von meiner Krankheit erfahren. Eine meiner besten Freundinnen hat vor ein paar Monaten die Diagnose Multiple Sklerose bekommen. In der Woche, in der sie mir davon erzählt hat, hatte ich meinen letzten Anfall. Weil ich hauptsächlich auf psychischen Stress reagiere und weil Multiple Sklerose schrecklich klingt, wenn man sich noch nie damit auseinandergesetzt hat—und das tut man nunmal erst dann, wenn man selbst oder jemand, der einem nahe steht, betroffen ist.

Umgefallen bin ich das letzte Mal im Loft beim Fortgehen, was ich eigentlich nicht tun sollte, aber wer lässt sich mit 24 schon sagen, dass er nicht mehr fortgehen darf. Die einem meistens vollkommen bewusste Endlichkeit will man ja nicht so verbringen, wie es keinen Spaß macht. Das sieht sogar der Neurologe von meiner Freundin und mir ein, akzeptiert es widerwillig und hofft währenddessen, dass wir schnell zu alt dafür werden. Meine Freundin hat mir viel beigebracht mit der optimistischen Einstellung, wie sie mit ihrer Krankheit umgeht.

Anzeige

Trotzdem klingen diese Krankheiten unheimlich. Man denkt, dass sie einen extrem im Alltag beeinträchtigen und es ist auch völlig legitim, wenn sie das auf eine gewisse Weise tun. Und es ist auch okay, wenn man deswegen ab und zu in Selbstmitleid versinkt. (Als ich von meiner Epilepsie erfahren habe, habe ich ganz filmreif eine Stunde zu „Wicked Game" in der Dusche geheult). Es ist nun einmal so, dass du einige Dinge, die für Mittzwanziger völlig normal sind, jetzt nicht mehr tun sollst.

Nicht die Nacht durchtanzen oder Alkohol trinken. Dafür brauchst du jetzt, zumindest in der Theorie, mindestens sechs Stunden Nachtschlaf (also dann schlafen, wenn es dunkel ist). Man lernt, dass man immer Tabletten mit sich haben sollte, akzeptiert, dass man nicht mehr Auto fahren darf, dass man Leuten, wenn sie fragen, weshalb man nicht fährt, sagt, dass man sich nicht traut oder dass man keinen Führerschein hat, obwohl man eigentlich fahren könnte und will, aber eben nicht darf. Man akzeptiert, dass man nicht mehr in die Badewanne oder alleine Schwimmen gehen darf. Man akzeptiert, dass plötzlich die Mutter wieder anders mit einem umgeht, lernt, damit umzugehen, dass sie sich öfter meldet und nicht mag, wenn du an Weihnachten, wie alle anderen, ein Glas Wein trinkst. Den ersten Abend, an dem ich nach der Diagnose fortgegangen bin, haben vor Mitternacht noch die Freunde mit denen ich unterwegs war und die von der Diagnose wussten, gesagt, ich sollte doch besser heimgehen, mich ausruhen und schlafen. Ich bin heimgegangen und habe stundenlang geweint, weil ich geglaubt habe, nie wieder fortzugehen.

Ab und zu streitest du also mit deinen Freunden oder deiner Familie, weil sie dich ein bisschen mehr bemuttern, seit sie es wissen. Oder du ärgerst dich über Aussagen Fremder, weil sie etwas Unsensibles sagen, obwohl sie ja gar nicht wissen können, was los ist. „Buuuh! Du gehst schon wieder nicht fort? Du bist so eine Langweilerin." zum Beispiel. Danke. Nein ich geh nicht fort. Arschloch. Und dann versinkst du kurz in Selbstmitleid.
Und genau das ist der Punkt: Jeder hat seine Gründe, in Selbstmitleid zu versinken. Ich habe Freunde und Bekannte, die viel zu jung ihre Eltern verloren haben, die Multiple Sklerose, Angststörungen, Depressionen oder Diabetes haben und jeder kämpft damit. Manche mehr und manche weniger, manchmal mehr, manchmal weniger.

Meine Freunde stehen wieder um 4 Uhr morgens mit mir auf der Tanzfläche und meine Mutter geht mit dem Thema so cool um, wie niemand anderes. Irgendwann ist es für alle, vor allem eben auch für mich, Alltag geworden. Alltag, dass ich oft müde bin, obwohl ich viel geschlafen habe. Alltag, dass ich alle paar Monate mit EEG-Gel verklebten Haaren im Bus sitze, Alltag, dass ich eben jemanden fragen muss, ob er mich zu IKEA fahren kann.

Probleme, die uns manchmal am Leben verzweifeln lassen, haben wir so ziemlich alle und wir müssen sie akzeptieren, als das, was sie sind: unsere Lebensrealität. Wir können sie weder ignorieren, noch an ihnen völlig zerbrechen. Man wird mit einer neuen Schwierigkeit konfrontiert und überlegt dann, Schritt für Schritt, wie man damit umgeht. Wichtig ist, Dinge auszusprechen und zu benennen. Ja, man hat eine Krankheit und sie verändert Dinge. Aber niemandem von ihr zu erzählen oder erst dann, wenn man mit verdrehten Augen vor der Person auf dem Boden gelegen ist und komische Geräusche von sich gegeben hat oder die Treppe runtergefallen ist, ist auch falsch. Wir wären gerne unfehlbar, aber wir sind es nicht. Schön wäre, wenn irgendwann der Moment kommt, in dem wir das akzeptieren können. Für unser Umfeld, aber vor allem auch für uns selbst.

Hanna ist auch auf Twitter: @hhumorlos.