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Populismus

Wenn du gegen die AfD bist, solltest du Seehofer als "Heimatminister" feiern

Ernsthaft. Hör’ mir mal kurz zu.
Foto: imago | Ralph Peters

Was für eine Nachricht: Horst Seehofer soll deutscher Innenminister werden. Und nicht nur das: Das Ministerium soll für zwei neue Bereiche zuständig sein, für Bau – und für "Heimat".

Als das bekannt wurde, wüteten Linke direkt los – vor allem auf Twitter. "Um Himmels Willen NEIN!", schrieb zum Beispiel die Grünen-Politikerin Simone Peter. "Wir sind doch nicht in Bayern oder bei Trump!" Es dauerte nicht lang und der Hashtag #heimatministerium wurde zu einem Trend auf Twitter, es folgte ein Buzzfeed-Artikel, der die besten Reaktionen sammelte.

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Was die smarten Leute auf Twitter nicht verstanden haben: Dass Seehofer Innenminister wird, ist eine gute Nachricht für alle, die keinen Bock haben, dass die AfD noch mächtiger wird. Ich weiß, dass das erstmal verrückt klingt, aber hört mir zu:

Horst Seehofer ist ein unangenehmer Typ. Seine vergangenen Jahre hat der Noch-CSU-Chef vor allem damit verbracht, Angela Merkel beim Thema Flüchtlingspolitik das Leben schwer zu machen. Er und seine Partei forderten immer wieder eine Obergrenze für Flüchtlinge, die von Menschenrechtlern scharf kritisiert wird und gegen das Grundgesetz, Flüchtlings- und EU-Menschenrechtskonvention verstößt. Und er hat mal gesagt, dass er sich "bis zur letzten Patrone" dagegen wehren wird, dass es zu einer "Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme" kommt. Wie gesagt: Horst Seehofer ist ein unangenehmer Typ. Und er sagt gern Dinge, von denen er denkt, dass die Leute sie hören wollen.

Und genau das wird der AfD schaden. Denn Seehofer wird alles versuchen, um sich bei den rechten Wählern anzudienen: Er wird harte Maßnahmen gegen kriminelle Ausländer und massenweise Abschiebungen versprechen. Er wird mit seiner dickbräsigen Arroganz dafür einstehen, dass keiner "von denen" sich hier ungestraft daneben benimmt. Und die Leute, die Angst vor Flüchtlingen haben, werden ihn dafür lieben.

Der Rechtsruck ist längst passiert

Eine bei Linken beliebte Idee ist, dass es sich für etablierte Parteien nie lohnt, die Themen von Rechtspopulisten zu übernehmen. Immer wenn sie es versuchen, so die Theorie, werden die Populisten sie noch weiter rechts überholen, und die Wähler werden sich im Zweifel immer "für das Original" entscheiden. Wirklich bewiesen ist diese These aber nicht. Es stimmt zwar, dass die CSU trotz ihrer immer schärferen Rhetorik gegen Flüchtlinge bei der Bundestagswahl viele Wähler an die AfD verloren hat. Das hat zum Teil aber auch daran gelegen, dass viele Landkreise in Bayern, die überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aufgenommen haben, sich am Ende mit der Herausforderung allein gelassen fühlten.


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Ein Gegenbeispiel ist die Geschichte von Boris Palmer, dem grünen Oberbürgermeister von Tübingen. Palmer war immer wieder mit populistischen Forderungen und scharfen Äußerungen über Flüchtlinge aufgefallen, die so auch von der AfD hätten kommen können. In der Partei bekam er dafür massiven Ärger. Aber bei der Bundestagswahl fuhren die Grünen in Baden-Württemberg ihr bestes Ergebnis in ganz Deutschland ein.

Im Prinzip ist es ganz einfach: Wenn man wirklich glaubt, dass die AfD das Gefährlichste ist, was der deutschen Politik seit 1945 passiert ist, dann sollte man für alles dankbar sein, was sie verhindert. Und wenn dafür ein polarisierender, polternder Bayer an die Macht muss, der massiv rechte Wähler bedient, dann muss man das vielleicht in Kauf nehmen. Bis jetzt hat keine der anderen Strategien funktioniert.

Seehofer wird uns genug beschäftigen

Natürlich ist das zynisch. Aber: Der harte Kurs, den Seehofer rhetorisch gegen Zuwanderung führen wird, ist schon lange Bestandteil deutscher Innen- wie Außenpolitk. Seit ihrem "Wir schaffen das" hat Angela Merkel einen schmutzigen Deal mit der Türkei gemacht und die deutsche Flüchtlingspolitik immer weiter verschärft. Der einzige Unterschied wird sein, dass Seehofer – anders als Merkel, die solche Details gerne unter den Teppich fallen lässt – keine Scheu haben wird, sich mit dieser Politik zu schmücken. Und das wird der AfD am Ende doch gefährlich werden.

So albern ein "Heimatministerium" für die coolen Großstadt-Kids auch klingt: Schon wenn es ein paar Hundert Konservativen irgendwo auf dem Land ein besseres Gefühl gibt, gehört zu werden und sie deswegen nicht die AfD wählen – Why the hell not? Wenn Seehofer mit dem neuen Bereich mehr hinbekommt als mit dem bayerischen Vorbild (das bis jetzt vor allem durch ein bisschen Breitbandausbau aufgefallen ist), zum Beispiel eine echte Förderung strukturschwacher Kommunen auch in Ostdeutschland – wer sollte sich darüber beschweren?

Tatsächlich ist aber die Tagespolitik gar nicht so entscheidend für den Erfolg der AfD. Die wichtigste Ressource der Rechtspopulisten ist Aufmerksamkeit. Ein Seehofer an der Spitze des Innenministeriums wird gerade durch den Konflikt mit Merkel sehr viel dieser Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die nächsten vier Jahre werden wir Medien uns über Seehofer aufregen können, und wir werden das ausgiebig tun. Und jedes Mal, wenn wir über die neueste Dummheit von Seehofer schreiben, werden wir nicht über die AfD schreiben. Und das ist das Schlimmste, was einer solchen Troll-Partei passieren kann. Denn wenn sich niemand über sie aufregt, wie soll sie dann Wähler gewinnen? Gar nicht, inch’allah.

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