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Die Studiengebühren sind gekommen, um erwerbstätige Studis fertig zu machen

Eine Studentin erklärt, warum die schwarz-blaue Bildungspolitik Kinder aus ärmeren Familien von den Unis drängen könnte.

Dieser Artikel ist Teil unserer laufenden Berichterstattung über die schwarz-blaue Regierung, die wir hier unter dem Namen "Schwarz-blaue Geschichten" gesammelt haben.

Wenn man nicht auf dem sprichwörtlichen Ponyhof aufgewachsen ist, weiß man, dass es als Studi nicht nur viel Zeit, sondern mitunter auch Würde kostet, irgendwelche Drecksjobs zu machen, um sich finanziell über Wasser zu halten.

Wenn man zum Beispiel als Osterhase im Ganzkörperkostüm Flyer verteilt, als Ultraschallmodell auf einem Radiologie-Kongress anheuert oder als Zeremonienmeisterin, in einem riesigen Talar verkleidet, auf Sponsionsfeiern akademische Schwüre abnimmt – alles Jobs, die mit der Autorin natürlich absolut gar nichts zu tun haben –, dann ist es manchmal schwer, an eine bessere Zukunft zu glauben. Und leider wird es in Zukunft auch nicht besser.

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Erwerbstätige Studierende in Österreich, die länger als die Mindeststudienzeit plus zwei Toleranzsemester studieren, müssen ab Herbst 2018 wieder Gebühren bezahlen. Die schwarz-blaue Regierung möchte ein vom Verfassungsgericht aufgehobenes Gesetz, das diese Gruppe von Gebühren befreit hatte, nicht reparieren. Rund 23.000 Studierende werden davon betroffen sein. Die allgemeinen Studiengebühren sollen laut Bildungsminister Heinz Fassmann im Laufe der nächsten Jahre wieder eingeführt werden.

Bei der ÖH trifft diese Entscheidung auf Protest und Unverständnis: Betroffen wären einerseits gerade jene Studierenden, die sowieso zu wenig hätten und eben deswegen arbeiten müssten. Andererseits seien viele sogenannte "Leistungsträger" betroffen, die schon länger arbeiten und das Studium vor allem zu Fortbildungszwecken praktizieren.

Eine, die selbst von den Studiengebühren betroffen sein wird, ist Viktoria Spielmann.
Sie hat sich in ihrer Zeit als ÖH-Vorsitzende aus der Fraktion Grüne Alternative Studierende politisch mit dem Thema auseinandergesetzt und dabei immer gegen Studiengebühren agitiert. Jetzt muss sie selbst zahlen.

Wer nicht nur fachliche Expertise hat, sondern auch noch sauer ist, macht meistens eine gute Gesprächspartnerin aus. Darum haben wir mit ihr geredet und sie unter anderem gefragt, warum Arme besonders betroffen sein werden, was die schwarz-blaue Regierung mit alldem zu tun hat und was betroffene Studis jetzt tun können.

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VICE: Was hältst du davon, dass du ab Herbst Studiengebühren zahlen musst?
Viktoria Spielmann: Es macht mich einfach wütend! Statt Studierende endlich sozial abzusichern, wird ihnen das Leben von der schwarz-blauen Regierung noch schwerer gemacht. Gerade als erwerbstätige Studentin ärgere ich mich besonders darüber, weil ich durch meine Einkommenssteuer die Hochschulen ja jetzt schon mitfinanziere.

Müssten erwerbstätige Studierende durch ihre Arbeit nicht eigentlich das Geld haben, um die 356 Euro Studiengebühren pro Semester zu bezahlen?
Die meisten Studierenden verdienen gerade mal so viel, dass sie sich das Nötigste zum Leben finanzieren können. Eine Studie des Instituts für Höhere Studien aus dem Jahr 2015 zeigt, dass erwerbstätige Studierende im Durchschnitt 20 Stunden die Woche arbeiten und dabei 780 Euro im Monat verdienen. Laut Armutskonferenz liegt die aktuelle Armutsgefährdungsschwelle bei 1.185 Euro monatlich für einen Einpersonen-Haushalt. Die Mehrheit der Studierenden lebt also unter der Armutsschwelle – trotz Arbeit. Von Leistbarkeit der Studiengebühren kann da keine Rede sein.

Warum können erwerbstätige Studierende nicht einfach ein Selbsterhalter- Stipendium in Anspruch nehmen? Auch die Studienbeihilfe wurde vor ja vor Kurzem merklich angehoben, um Studierende vom Erwerbsdruck zu entlasten.
Wie bei allen Stipendien gelten für das Selbsterhalter_innenstipendium gewisse Voraussetzungen: Es richtet sich an Studierende, die sich vor dem erstmaligen Bezug einer Studienbeihilfe durch wenigstens vier Jahre mit einem Einkommen von mindestens 8.580 Euro jährlich "selbst erhalten" haben. Nicht alle Studierenden erfüllen diese Kriterien. Aus der Praxis wissen wir außerdem: Viele Studierende kennen diese Form des Stipendiums nicht und erfahren davon erst, wenn sie schon eine oder mehrere Voraussetzungen nicht mehr erfüllen.

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Wer ist deiner Ansicht nach am meisten betroffen?
Die neue Regelung diskriminiert vor allem Studierende, die arbeiten müssen, um sich das Studium und das Leben leisten zu können. Das ist eine unglaubliche Ungerechtigkeit! Außerdem bin ich der Meinung, dass Bildung – und dazu zähle ich auch das Hochschulstudium ­– gratis zur Verfügung stehen muss. Ansonsten reproduziert sich die finanzielle Elite in diesem Land immer weiter. Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.

Mittlerweile arbeitet zwar der Großteil der Studierenden nebenbei, aber unterschiedliche soziale Gruppen sind mehr oder weniger stark abhängig von ihren Einkommen aus Erwerbsarbeit. Kinder aus einkommensschwachen Familien treffen die Gebühren deshalb verstärkt. Die vorher erwähnte Studie zeigt, dass 18 Prozent aller Studierenden aus armen Haushalten über 35 Stunden die Woche arbeiten. Aus reichen Familien sind es nur 7 Prozent. Die neue Regierung gibt damit eine klare Richtung vor: Arbeiter_innenkinder raus aus der Uni.

Warum sollte die Regierung Kindern aus Arbeiter_innenfamilien den Zugang zu Universitäten erschweren wollen?
Ganz einfach: Weil die finanzielle Elite Österreichs unter sich bleiben will. Die Universität war schon immer ein elitärer Ort. Progressive Bestrebungen, die Uni für andere Gruppen als jene aus den einkommensstarken Familien zu öffnen, hat der ÖVP mit ihrem Cartellverband und der FPÖ mit ihren Burschenschaften noch nie geschmeckt.

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Du bist als Akademikerin jetzt Teil dieser Elite. War für dich immer klar, dass du an die Uni gehen wirst?
Ich bin die erste in der Familie, die studiert. Meine Schwester war die erste, die maturiert hat. Ich komme also aus einem Elternhaus, das nicht akademisch ist. Bildung wird in Österreich bekanntlich vererbt, daher war das mit meinem familiären Background nie klar, dass ich studieren werde – ganz im Gegenteil. Mittlerweile weiß ich, dass ich damit nicht alleine bin. Zu erkennen, dass gewisse Dinge Struktur haben und nicht nur dein individuelles Problem sind, hilft meiner Meinung nach sehr.

Wie war es aus einer nichtakademischen Familie auf die Uni zu kommen?
Es war für mich immer ein Gleiten zwischen zwei Welten: auf der einen Seite die universitäre Welt, die extrem elitär ist – und darauf auch noch stolz –, und auf der anderen Seite die Arbeitswelt mit Kolleg_innen aus einer völlig anderen sozioökonomischen Schicht. Auch die Unterschiede zwischen den arbeitenden und nichtarbeitenden Studierenden an der Uni habe ich immer gespürt, auch wenn man versucht hat, es sich nicht anmerken zu lassen.

Welche Jobs hast du während deines Studiums gemacht?
Wie viele Studierende habe ich als Hilfskraft im Einzelhandel beziehungsweise in der Gastro gearbeitet und war über 7 Jahre hinweg abwechselnd geringfügig, Teilzeit und Vollzeit angestellt. Bei Vollzeit bin ich auf einen Verdienst von knapp 1.000 Euro netto gekommen. Man kann sich vorstellen, dass das nicht die besten Arbeitsbedingungen waren, vor allem was die Arbeitszeit und damit die Vereinbarkeit mit dem Studium angeht. Ab 2013 war ich dann im Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung.

Du hast lang politisch gegen Gebühren gekämpft, jetzt kommen sie erst recht. Was wirst du jetzt tun?
Dagegen aufstehen und aufbegehren. Wie wir bei der letzten Einführung der Studiengebühren unter der ersten schwarz-blauen Regierung gesehen haben, werden vermutlich viele Studierende ihr Studium abbrechen müssen, denn wenn man die Wahl zwischen Existenzsicherung und Studium hat, dann hat man in Wirklichkeit keine Wahl. Ich werde mich auf jeden Fall den Protesten von Studis anschließen und ich hoffe, mit mir viele andere.

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