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Neonazi-Treffen

Warum im österreichischen Bleiburg jedes Jahr das größte Neonazi-Treffen Europas stattfinden kann

Die katholische Kirche übernimmt die Schirmherrschaft. Die Kärntner Bezirkshauptmannschaft sieht tatenlos zu. Und das Innenministerium unter Herbert Kickl schweigt.

Zehntausende Männer und Frauen in jedem Alter, Priester und Nonnen, Hooligans und Kriegsveteranen, Politiker und Fernsehstars, Neonazis und Faschistinnen – das ist das mehrheitlich kroatische Publikum, das sich einmal jährlich unter dem Deckmantel einer katholischen Messe am Loibacher Feld, in der Nähe von Bleiburg in Kärnten zu einer Gedenkveranstaltung versammelt. Vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) wird diese Veranstaltung als das "größte Neonazitreffen Europas" beschrieben. Trotzdem passiert sie; immer wieder und vor den Augen der Öffentlichkeit und der Medien.

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Als wir letztes Jahr die Hintergründe des Treffens recherchierten und von vor Ort berichtet haben, waren wir selbst erstaunt über das Ausmaß der Veranstaltung, von der wir bis dahin nichts gehört hatten. Dutzende Reisebusse reihen sich dort jedes Jahr im Mai am Rande der Bundesstraße auf, ein Meer kroatischer Fahnen und faschistischer Symbole überflutet das Dorf. Österreichische Polizei ist kaum zu sehen. Dafür bedrohen einen kroatische Securities und auftrainierte Burschen mit Runen-Tattoos, während alte Männer in Uniformen der faschistischen Ustaša-Armee des kroatischen NDH-Staates unter den wachsamen Augen Jesu für Erinnerungsfotos posieren – Hitlergruß inklusive.

Doch warum kann diese Veranstaltung trotz ihres klar politischen Charakters und den zahlreichen Verstößen gegen österreichisches Recht – insbesondere gegen das Verbotsgesetz – jedes Jahr erneut und ohne Einschränkungen stattfinden? Die Antwort ist vielschichtig und gleichzeitig ziemlich simpel: Niemand will die Verantwortung übernehmen, keiner fühlt sich zuständig.

"Gedacht wird jenen gefallenen Soldaten der kroatischen Armee, die im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Nazis kämpften"

Am 23. April geisterte eine Presseaussendung durch die heimischen Redaktionen, die den vielschichtigen Unwillen, gegen die Veranstaltung vorzugehen, gut auf den Punkt gebracht hat. Der Titel der Aussendung lautet: "Gemeinsame Stellungnahme von Katholischer Kirche Kärnten, Landespolizeidirektion Kärnten und BH Völkermarkt". Tatsächlich sind es genau diese drei Institutionen – die Kirche, die Polizei und die Bezirkshauptmannschaft –, die dem Treiben am Loibacher Feld seit Jahren mehr oder weniger tatenlos zusehen, gleichzeitig aber die Macht und Befugnisse hätten, gegen das faschistische Event vorzugehen.

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Die Aussendung zeigt unter anderem gut, welches ambivalente Verhältnis Teile der katholischen Kirche noch heute zum Nationalsozialismus haben. So distanziert sich die Katholische Kirche Kärnten zwar "mit Nachdruck und Entschiedenheit von allen rechtsextremen und faschistischen Kundgebungen im Umfeld dieses Totengedenkens", vergisst dabei aber den faschistischen Charakter des "Totengedenkens" selbst.

Gedacht wird nämlich nicht, wie immer wieder behauptet, den zivilen Opfern von Tito-treuen Partisanen und Partisaninnen, sondern jenen gefallenen Soldaten der kroatischen Armee, die im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Nazis gekämpft und das einzige Vernichtungslager auf europäischem Boden betrieben haben, in dem ohne deutsche Beteiligung gemordet wurde.


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Besonders deutlich wird das, wenn man sich die Geschichte des Gedenksteins am Loibacher Feld ansieht, wo das jährliche Gedenken stattfindet. 1987 gab es eine behördliche Auflage an die Veranstalter, wonach der "kroatischen Armee" des faschistischen kroatischen NDH-Vasallenstaates nicht gedacht werden durfte. Die Veranstalter entschieden sich daher für die deutsche Inschrift "Zum Gedenken an die gefallenen Kroaten". Die kroatische Inschrift lautete allerdings: "Ruhm und Ehre der gefallenen kroatischen Armee". 2004 flog der Schwindel auf und die Veranstalter änderten die Inschrift in "unschuldige Opfer". Seit 2008 wird in der kroatischen Version der Inschrift aber erneut der faschistischen kroatischen Armee gedacht. Die österreichischen Behörden ignorieren das konsequent.

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Interessant ist auch, dass die Katholische Kirche Kärntens in der Aussendung eine Reihe von Bedingungen an die Katholische Kirche Kroatiens stellt, um das Treffen weiterhin zu unterstützen. So dürfe es etwa keine politischen Reden oder Symbole auf der Veranstaltung geben und auch der Ausschank von Alkohol und der Verkauf von Souvenirs und Devotionalien sei zu unterbinden. Außerdem gelte es, österreichisches Recht einzuhalten (was keine explizit nennenswerte Bedingung, sondern eine Selbstverständlichkeit bei allen angemeldeten Veranstaltungen in Österreich sein sollte, aber das nur am Rande).

Auch Kanzler Kurz erklärte wiederholt, dass es sich um eine "kirchliche Veranstaltung" handle.

Tatsächlich wurde letztes Jahr von den Veranstaltern – also der Katholischen Kirche Kroatiens und dem Verein Bleiburger Ehrenzug – ein Flugblatt mit einer Art Hausordnung für die Veranstaltung verteilt, das eben diese Regeln aufstellte. Eingehalten oder gar exekutiert wurden sie freilich nicht. Im Gegenteil. Dutzende politische und militärische Symbole wurden gezeigt – darunter zum Beispiel eine Fahne der paramilitärischen HOS, oder der rechtsextremen HSP. Auch der Alkohol floss in den aufgestellten Festzelten in Strömen. Dass das heuer tatsächlich anders wird, darf bezweifelt werden.

Was die Katholische Kirche Kärntens hier vielmehr versucht, ist den Schein einer kirchlichen Veranstaltung aufrecht zu erhalten und den eigentlich politischen Charakter des faschistischen Gedenkens zu verschleiern. Damit eilt sie den österreichischen Behörden zu Hilfe, die mit genau dieser Argumentation – dass es sich dabei also um eine katholische Messe und keine politische Veranstaltung handle – ein Verbot der rechtsextremen Veranstaltung seit Jahren verhindern und eine politische Beurteilung des Gedenkens dem Innenministerium überlassen.

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Auch Kanzler Kurz erklärte am 24. April wiederholt, dass es sich um eine "kirchliche Veranstaltung" handle und bestritt damit jede Verantwortung für die Politik. Mit einer Einschränkung: "Verstöße gegen unsere Gesetze werden Behörden konsequent tätig werden", so Kurz. Dass in den vergangenen Jahren nicht einmal das passierte, bleibt freilich unerwähnt.

Trotz der Bemühungen von allen Seiten, die Politik und den Staat aus der Verantwortung zu nehmen, ist das Innenministerium ein weiterer wichtiger Player im Umgang mit dem Bleiburg-Gedenken. Denn neben dem bereits erwähnten Gedenkstein, dem historischen Hintergrund und den offiziellen politischen Vertretern aus Kroatien, sind es vor allem die Symbole und Lieder auf der Veranstaltung, die ihren politischen Charakter ausmachen und für immer lautere Rufe – zuletzt auch von EU-Abgeordneten – nach einem Verbot des rechtsextremen Gedenkens sorgen.

Knapp die Hälfte der 2017 auf der Veranstaltung gezeigten kroatischen Fahnen begannen nicht, wie das im offiziellen kroatischen Wappen enthaltene Schachbrett, mit einem roten Rechteck in der oberen linken Ecke, sondern mit einem weißen. Ebenso das Wappen am offiziellen Gedenkstein.

Dieses mit weiß beginnende Wappen wurde auch zu Zeiten des faschistischen NDH-Staates verwendet und fand sich außerdem am Ärmel der Uniform der 13. Waffen-Gebirgs-Division der SS Handschar, womit es eigentlich unter das österreichische Verbotsgesetz fallen müsste. Genau das negiert allerdings das Innenministerium. In Kroatien ist das Zeigen dieses Symbols jedenfalls verboten.

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Noch im Vorjahr wurden Hitlergrüße gegenüber Journalisten als "Lapalie" und "Verwaltungsübertretung" bezeichnet.

Ähnlich steht es um den in Kroatien ebenfalls verbotenen faschistischen Gruß "Za Dom – Spremni!", sowie die dazugehörige Armbewegung, die dem Hitlergruß stark ähnelt. Auch hier heißt es bei den Kärntner Behörden, dass man da nichts machen könne, weil der Gruß in Österreich nicht explizit verboten sei. Brisant ist allerdings, dass das die Staatsanwaltschaft in Salzburg ganz anders sieht: Dort läuft derzeit ein Prozess gegen 14 kroatische Hooligans, denen unter anderem das Zeigen eben jenes Grußes vorgeworfen wird.

Die Argumentation der Staatsanwaltschaft lautet dabei, dass es keinen Unterschied mache, ob eine typische Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinne sich direkt auf das Deutsche Reich oder auf einen damaligen Vasallenstaat wie den kroatischen NDH-Staat beziehe. Nach dieser Argumentation müsste das Gedenken am Loibacher Feld sofort verboten und ein großer Teil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Verbotsgesetz angezeigt werden.

Die Landespolizeidirektion Kärnten hat jedenfalls angekündigt, mit der Unterstützung kroatischer Kolleginnen und Kollegen Straftaten – auch nach dem Verbotsgesetz – "rigoros" zu ahnden und zur Anzeige zu bringen. Das habe man auch in den vergangenen Jahren so gehandhabt, heißt es von Seiten der Kärntner Polizei. Noch im Vorjahr wurden Hitlergrüße vor Journalisten gegenüber VICE als "Lapalie" und "Verwaltungsübertretung" bezeichnet.

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" Gerade im Gedenkjahr 80 Jahre nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich ist so eine Veranstaltung auf das Schärfste zu verurteilen."

Während das Innenministerium, die Bezirkshauptmannschaft und die Katholische Kirche also auch heuer ihre schützenden Hände über dem "größten Neonazitreffen Europas" zu falten scheinen, sind anderen eben diese angeblich gebunden. Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) übte zuletzt in einer Presseaussendung scharfe Kritik an der Veranstaltung und brachte das Thema Bleiburg auch in der ersten Landtagssitzung nach den Landtagswahlen in Kärnten zur Sprache.

Kaiser spricht von einer "rechtsextremen Kundgebung im Schoße einer als ’kirchliche Prozession‘ stattfindenden Veranstaltung" und fordert "80 Jahre nach dem Untergang Österreichs durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten" von der Bundesregierung "entsprechend strenge Maßnahmen zu setzen". Ihm selbst seien die Hände gebunden, denn das Land Kärnten habe "nach umfassenden Prüfungen der aktuellen Gesetzeslage durch Juristen keinerlei Möglichkeit, die Veranstaltung zu verhindern".

Ähnlich argumentiert auch der Landtagsabgeordnete Gerhard Köfer vom Team Kärnten gegenüber VICE: "Gerade im Gedenkjahr 80 Jahre nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich ist so eine Veranstaltung auf das Schärfste zu verurteilen." Köfer sieht hier das Innenministerium gefordert: "Es gilt, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um dieses Treffen zu verhindern."

Eine Anfrage von VICE an die Presseabteilung des Innenministeriums und an das Presseteam von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) blieb bisher ebenso unbeantwortet wie jene an die Kärntner Landesorganisationen der Regierungsparteien ÖVP und FPÖ.

Das Zusammentreffen kirchlicher und politischer Offizieller mit Neonazis, Faschisten und Ewiggestrigen am Loibacher Feld bei Bleiburg wird also auch 2018 ungehindert und uneingeschränkt über die Bühne gehen. Grund dafür ist der Unwille der zuständigen Behörden, allen voran des Innenministeriums, das Treffen als das anzuerkennen was es ist: Ein politische Gedenkveranstaltung für Soldaten der faschistischen Ustaša-Armee, der SS und der Wehrmacht.

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