Wie SexarbeiterInnen weltweit über eine österreichische Website den Twitter-Ausstieg vorbereiten
Das ist Lola | Foto: Elle Thorn

FYI.

This story is over 5 years old.

Sexarbeit

Wie SexarbeiterInnen weltweit über eine österreichische Website den Twitter-Ausstieg vorbereiten

Durch ein neues US-Gesetz droht Sexarbeiterinnen und Sexarbeit weltweit die Verbannung aus sozialen Netzwerken. Nun haben sie ihr eigenes entwickelt.

Lola Hunt ist ein australisches Escort-Girl. Davor arbeitete die Melbournerin jahrelang in einem technischen Beruf. Gemeinsam mit ein paar Freunden – dem Programmierer "J" und der Programmiererin "E", die beide anonym bleiben möchten – gründete sie letztes Jahr das Start-Up Assembly Four. Sie kümmern sich gemeinsam um technische Lösungen für die Probleme von SexarbeiterInnen.

Vor wenigen Tagen haben sie das auf dem Mikrobloggingdienst Mastodon basierende Soziale Netzwerk Switter ins Leben gerufen, das SexarbeiterInnen eine Alternative zu Twitter und Co. bieten soll. Der Start verlief fast schon zu erfolgreich: Nachdem ein Tweet von Lola, der das Projekt ankündigt, über 1700 mal geteilt wurde, hat das gesamte Team in den letzten Tagen kaum geschlafen. Es mussten bereits mehrere Server hinzugekauft werden, um mit den vielen Zugriffen umgehen zu können. In der ersten Woche registrierten sich über 13.000 Menschen auf Switter.

Anzeige

Der Grund, warum es Switter überhaupt braucht – und wohl auch der Grund für die hohe Nachfrage – liegt in einem neuen US-Gesetz: FOSTA und SESTA heißen die Anträge, die es US-Ermittlern erleichtern sollen, sogenanntes "Sex Trafficking" zu verfolgen, indem Betreiber von Webseiten in Zukunft leichter für den von ihren Usern geposteten Content zur Rechenschaft gezogen werden können.

Viele SexarbeiterInnen, die einvernehmliche Dienstleistungen zwischen Erwachsenen anbieten, befürchten aber, nun auch von den Social-Media-Plattformen verbannt zu werden. Außerdem könnten diese auch den Ermittlern zuvorkommen und im Zweifel Schritte gegen UserInnen setzen, die Sexarbeit anbieten.

Solche Plattformen sind ungemein wichtig für SexarbeiterInnen.

Solche Plattformen sind aber ungemein wichtig für die SexarbeiterInnen. Nicht nur, weil sie dort um Kunden werben, was ihnen hilft, die gefährliche Arbeit auf der Straße zu vermeiden. Sie ermöglichen auch zum Beispiel sogenannte "Screening Listen", die SexarbeiterInnen vor lästigen oder gefährlichen Kunden warnen.

Wie es zu der Entwicklung von Switter kam, wie der Launch so verlaufen ist und warum das ausgerechnet – wie es auch der selbsternannte "Islamische Staat" oft macht – über eine österreichische Domain passiert ist, darüber haben wir mit Lola Hunt gesprochen.

VICE: Hi Lola, der Tweet, in dem du dieses Projekt vorgestellt hast, ist ziemlich viral gegangen. Hat dich der Umfang der Reaktionen überrascht?
Lola Hunt: Absolut! Wir wussten zwar von den Auswirkungen, die FOSTA/SESTA haben würde, speziell für US-SexarbeiterInnen. Wir wussten auch, dass sie förmlich nach einer Lösung schrien. Aber es war schon eine ziemliche Überraschung, wie schnell das angenommen wurde.

Anzeige

Für wen ist Switter eigentlich gedacht? Nur ArbeiterInnen oder auch Klienten?
Beide. Wir wollen die ganze Community hier haben, Klienten und alles. Wir wollen, dass das für alle ein sicherer Ort ist.

Aber wie könnt ihr sichergehen, dass es für alle ein sicherer Ort ist? Gibt es Regeln, was man posten darf und was nicht?
Naja, wir wollen die Community eigentlich unzensiert lassen. Aber wir akzeptieren keinen Content oder User, die Rassismus, Sexismus oder Diskriminierung gegen geschlechtliche und sexuelle Minderheiten propagieren. Xenophobie und gewalttätigen Nationalismus auch nicht. Alle SexarbeiterInnen sollten sich auf Switter wohlfühlen.

Du kommst eigentlich aus dem Online-Marketing-Bereich und bist seit vier Jahren in Melbourne als Escort unterwegs. Wie bist du überhaupt zu diesem Projekt gekommen? Warst du ein Teil des Gründungsteams?
Assembly Four hat damit angefangen, dass mich ein Freund, "J", der Software programmiert, seitdem er ein Kind ist, angesprochen hat. Nachdem wir beide einen technischen Background haben, sind wir meine Arbeitsabläufe als Escort durchgegangen und haben Bereiche identifiziert, die man verbessern könnte. Wir hatten ein paar Produktideen, dann haben wir realisiert, dass wir mehr Leute im Team gebrauchen könnten. Wir sprachen also mit ein paar anderen Freunden. Unser Ziel ist es, SexarbeiterInnen zu stärken und aus der Branche einen besseren Ort zu machen.

Anzeige

Wieso wurde euer Produkt, Switter, überhaupt notwendig? Wie wirken sich FOSTA und SESTA auf SexarbeiterInnen genau aus?
FOSTA und SESTA sind ein großes Problem für SexarbeiterInnen und ein ziemlicher Anschlag auf das Internet im Allgemeinen. Es ermächtigt die US-Regierung, jede Online-Plattform zu verfolgen, von der sie glaubt, dass sie Menschenhandel ermögliche. Oberflächlich betrachtet klingt das ja gut, aber das Gesetz ist so vage formuliert, dass es die Websites durch die hohe Gefahr der Haftung an den Punkt bringt, dass sie auch SexarbeiterInnen, die einvernehmlich arbeiten, von ihren Plattformen verbannen. Genauso wie jeden anderen Content, der auch nur halbwegs fragwürdig erscheint.

Wir haben bereits gesehen, dass Seiten wie Reddit, Craigslist und Skype beginnen, ihre Nutzungsbedingungen zu ändern, und uns von ihren Plattformen ausschließen. Speziell in den USA sind diese Seiten aber absolut überlebensnotwendig für SexarbeiterInnen. Das wird alles nur viele weitere SexarbeiterInnen in die Ausbeutung und die Arbeit direkt auf der Straße drängen, weil ihnen viele wichtige Ressourcen fehlen werden.

"Das wird viele weitere SexarbeiterInnen in die Ausbeutung und die Arbeit direkt auf der Straße drängen, weil ihnen viele wichtige Ressourcen fehlen."

Und ohne die Möglichkeit, Klienten zu "screenen", gibt es zum Beispiel ein viel höheres Risiko, in einer möglicherweise lebensbedrohlichen Situation zu landen. Das klingt vielleicht extrem, aber es ist in der Vergangenheit bereits unzählige Male vorgekommen.

Anzeige

Das Thema geht auch weit über uns SexarbeiterInnen hinaus. Vielleicht interessiert es die allgemeine Öffentlichkeit ja nicht, ob SexarbeiterInnen zum Schweigen gebracht werden oder nicht, aber man muss das ganze als einen Fuß in der Tür zu einem möglicherweise völlig zensierten und manipulierten Internet der Zukunft sehen.

Dieses Gesetz wird US-SexarbeiterInnen mehr betreffen als andere. Ist Switter dadurch dort wichtiger als anderswo?
Auf eine gewisse Weise, ja. Aber viele Dienstleister, die wir verwenden, haben ihren Hauptsitz in den USA, wie zum Beispiel Twitter und Instagram. Und sie werden ziemlich sicher von diesen Gesetzen beeinträchtigt werden. Also im Moment kann man sagen, egal in welchem Land du dich aufhältst: Solange du einen amerikanischen Dienstleister verwendest, bist du nicht sicher.

Warum habt ihr eine österreichische Domain für eure Seite verwendet?
Das ist Teil unserer Strategie, nicht von FOSTA/SESTA beeinträchtigt werden zu können. So, wie das Gesetz im Moment aussieht, könnte jede ".com"-Domain betroffen sein. In Österreich ist außerdem Prostitution legal und reguliert, was das Ganze für uns zu einer großartigen Alternative für eine ".com"-Domain macht.

Aber in Australien ist Prostitution doch auch legal. Warum habt ihr nicht einfach eine australische Domain genommen?
Das stimmt. Aber da australische Domains in ".com.au" enden, gibt es immer noch die Möglichkeit, dass sie von SESTA/FOSTA betroffen sein könnten. Das Hauptproblem ist, dass das Gesetz so vage formuliert ist, dass wir nicht genau wissen, wie wir uns am besten vorbereiten sollen. Als wir unsere Domain gekauft haben, dachten wir, es wäre das Beste, sich auf das Schlimmste vorzubereiten.

In einem Post vor ein paar Tagen habt ihr gescherzt, dass ihr nie wieder vor einem verlängerten Wochenende eine Social-Media-Seite eröffnen werdet. Wie viel Schlaf habt ihr in den letzten paar Tagen bekommen und was ist eure Überlebensstrategie für die kommenden Tage?
Schlafen war unglücklicherweise ganz unten auf unserer Prioritätenliste! Im Moment haben wir noch einige – ganz normale – Anlaufschwierigkeiten zu überwinden. Also sagen wir mal so: Es wird noch sehr viele durchgemachte Nächte geben und sehr viel mehr bestelltes Essen.

Folgt VICE auf Facebook, Instagram und Twitter.