Darf dich ein Taxifahrer heimlich zur Polizei fahren, weil er Gras bei dir riecht?
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Drogen

Darf dich ein Taxifahrer heimlich zur Polizei fahren, weil er Gras bei dir riecht?

Ein Salzburger steigt Abends in ein Taxi. Der Fahrer riecht Gras und fährt ihn direkt zur Polizei, wo bereits fünf Beamte warten.

Dieser Artikel ist Teil unseres Schwerpunkts zum Thema Cannabis in Österreich, den Dossier und VICE zusammen gestartet haben, um einen sachlichen Beitrag zu einer Debatte zu leisten, die in Österreich meist sehr emotional geführt wird.

David, ein 37-jähriger Salzburger, der als selbstständiger Event-Manager arbeitet, ist an einem warmen Juni-Abend mit Freunden in der Salzburger Altstadt unterwegs. Gegen 22:30 Uhr beschließt er, nach Hause zu fahren und steigt am Makartplatz in ein Taxi.

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Er nimmt auf der Rückbank Platz, ohne dem Fahrer zu viel Beachtung zu schenken oder sich länger mit ihm zu unterhalten. "Mit dem Fahrer hab ich mich nur kurz über das Radioprogramm gesprochen und gefragt, ob er FM4 reingeben kann", erinnert er sich. "Kurz darauf hat er ein Telefongespräch begonnen, in einer Sprache, die ich nicht erkannt habe." So weit, so gewöhnlich.

Nach einigen Minuten Fahrt meint der Taxifahrer plötzlich zu David, dass er am Weg einen Halt einlegen müsse. Es ginge um eine Handy-Übergabe. "Ich habe OK gesagt – ich hatte ja keinen Stress –, aber den Fahrer gebeten, das Taximeter auszuschalten." Der Taxifahrer biegt daraufhin in der Alpenstraße ab und hält auf einem angrenzenden Supermarktparkplatz, unmittelbar neben der Salzburger Polizeidirektion.

"Ich bin aus dem Taxi gestiegen und habe gefragt, worum es hier bitte geht. Der Polizist antwortete mir: 'Das werden Sie uns wohl sagen! Haben Sie Rauschgift dabei?'"

"Eigentlich hatte ich ja schon beim Einsteigen ein ungutes Gefühl", erzählt der Salzburger. Dass er selbst in Probleme geraten könnte, vermutet er aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht – auch nicht, als zwei Polizeiautos auf den Parkplatz gefahren kommen und neben dem Taxi stehenbleiben, während der Taxifahrer aussteigt. "Ich dachte mir nur kurz: Puh, der Kerl muss irgendwas ausgefressen haben. Mir war bis zum Schluss nicht klar, dass es hier um mich geht."

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Diese Erkenntnis kommt erst, als fünf Polizisten aus den Dienstwägen steigen und das Taxi umstellen – mit David als einzigen Insassen.

Einer der Polizisten legt die Hand an den Holster seiner Dienstwaffe und deutet David, dass er aussteigen soll. Der ist völlig vor den Kopf gestoßen, folgt aber den Anweisung des Beamten. "Ich bin aus dem Taxi gestiegen und habe gefragt, worum es hier bitte geht. Der Polizist antwortete mir: 'Das werden Sie uns wohl sagen! Haben Sie Rauschgift dabei?'"

Erst jetzt wird dem Salzburger mit einem Schlag bewusst, was vor sich geht: David raucht seiner eigenen Aussage nach Cannabis, um die Rückenschmerzen zu lindern, unter denen er seit einer Operation an seiner Wirbelsäule leitet. Auch an diesem Abend hatte er aus diesem Grund eine kleinere Menge Gras in seinem Rucksack.

Offensichtlich war diese Menge aber riechbar – auch für den Taxifahrer, der ihn deshalb unter dem Vorwand, ein Handy zu übergeben, direkt bei der Polizei ablieferte. Und die war augenscheinlich schon informiert. "Dass die Polizei schon Bescheid wusste, kann mir nur so erklären: Der Fahrer muss seinem Gesprächspartner bei dem Telefonat – das ich ja nicht mitverfolgen konnte, weil es in einer anderen Sprache war – gesagt haben, dass er der Polizei Bescheid geben soll."

"Der Fahrer muss seinem Gesprächspartner bei dem Telefonat gesagt haben, dass er der Polizei Bescheid geben soll."

David beschließt in Folge, das Kennzeichen des Taxis zu fotografieren – das passt einem der Beamten gar nicht. "Ein Polizist ist völlig ausgerastet, als ich ein Foto von dem Kennzeichen machte, und begann, mich anzuschreien. Ich hab ihm gesagt, er soll bitte damit aufhören; ich kooperiere ja eh."

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Der Polizist hört David zufolge aber nicht auf. "Erst als ich einen Schritt zurück machte, um die Situation zu beruhigen, konnte ich die 2,1 Gramm Cannabis, die ich im Rucksack hatte, an die Polizisten übergeben. Die vier anderen Polizisten waren übrigens sehr souverän – sie hatten offensichtlich schon gemerkt, dass es hier eigentlich um nichts geht." Die Konsequenzen muss der 37-Jährige trotzdem tragen: Er wird wegen Suchtmittelbesitzes angezeigt.

Davids Taxi-Geschichte klingt nach dem wahr gewordenen Worst-Case-Szenario eines jeden Kiffers. Sie wirft aber gleichzeitig auch viele Fragen auf. Klar ist, dass der Besitz von Cannabis in Österreich nach wie vor eine Straftat ist. Aber darf dich ein Taxifahrer wirklich ohne dein Wissen zur Polizei bringen, nur weil seine Nase ihn vermuten lässt, dass du Gras eingesteckt hast?


Auch auf VICE: Cannabis als Droge und Medizin in Österreich


Dazu erklärt uns der Rechtsanwalt Martin Feigl am Telefon: "Eigentlich ist es aus der Sicht von jemandem, der Drogen dabei hat, ja wirklich sinnvoll, ein Taxi zu wählen und nach Möglichkeit nicht mit dem eigenen Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren." Feigl ist Leiter von Take Your Rights – einem Verein, der sich auf die rechtliche Beratung und Vertretung von Leuten spezialisiert hat, die wegen Drogendelikten in Konflikt mit dem Gesetz geraten sind. Obwohl er bereits unzählige Klienten vertreten hat, ist ihm ein solcher Fall, bei dem ein Taxifahrer einen Fahrgast heimlich zur Polizei chauffiert, noch nie untergekommen. "Das ist schon ein sehr beeindruckender Vorfall", ergänzt er.

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Was laut dem Anwalt aber sehr häufig vorkommt, sind Anzeigen von Nachbarn: Ein Anrainer nimmt zum Beispiel wahr, dass es in der Nebenwohnung nach Cannabis riecht oder sichtet Pflanzen und ruft in Folge die Polizei. "Wenn man etwas Verdächtiges wahrnimmt, gibt es in Österreich keine Anzeigepflicht, aber eben sehr wohl ein Anzeigerecht", so Feigl. "Der Nachbar – oder in unserem Fall der Taxifahrer — muss die Polizei zwar nicht informieren, aber er darf."

Und von diesem Recht wird reichlich Gebrauch gemacht: Über 30.000 Anzeigen wegen Drogendelikten gab es vergangenes Jahr bundesweit – so viele wie noch nie. "Auch die polizeilichen Aktivitäten sind gestiegen, und damit auch der Kontrolldruck. Es ist definitiv nicht zu erkennen, dass es da eine Liberalisierung geben würde. Auch nicht, was Cannabis betrifft."

"Natürlich ist der Besitz von Cannabis in Österreich nicht erlaubt – aber die Besonderheit liegt im Fall von Cannabis darin, dass das Verfahren zwingend einzustellen ist."

Jemanden, der in eine vergleichbare Lage wie David kommt, rät der Rechtsexperte, als allererstes von seinem Recht zu schweigen Gebrauch zu machen. "Wenn es einem möglich ist, sollte man Rechtsbeistand in Anspruch zu nehmen und erst dann eine Aussage machen. Das ist in solchen Situation immer das Ratsamste."

Eine endgültige Antwort auf die Frage, ob dem Fahrgast hier juristisch gesehen Unrecht getan wurde, gestaltet sich auch für den Experten schwierig. "Was er aber auf jeden Fall machen kann, ist den Taxifahrer wegen Freiheitsentziehung anzeigen. Der hat ihn nämlich nicht dort hingefahren, wo er hinfahren sollte." Die Polizei dürfe jemanden auch nur dann durchsuchen, wenn ein begründeter Verdacht vorliege. "Auch das ist eine wesentliche Frage, die zu klären sein wird. Ich persönlich würde jetzt mal meinen: So, wie das hier gehandhabt wurde, geht das zu weit."

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Eine andere Auslegung wäre aber durchaus denkbar: Der Taxifahrer könnte in einem Verfahren argumentieren, dass er von einer größeren Menge ausgegangen war (wie auch immer er das so professionell beurteilen können will) – und er könnte sich laut Feigl auf das sogenannte "Anhalterecht von Privatpersonen" berufen. Dieses erlaubt es, eine Person unter gewissen Umstände so lange anzuhalten, bis die Polizei eintrifft, wenn man eine strafbare Handlung wahrnimmt. Wer in diesem Fall im Recht ist, müsste letztendlich also ein Gericht klären. "Das ist eben die Schwierigkeit bei der Juristerei: Es gibt immer mehrere Meinungen und Auslegungen."

Der Faktor, der bei diesem Fall wirklich entscheidend werden dürfte, ist dabei die sogenannte Verhältnismäßigkeit: "Natürlich ist der Besitz von Cannabis in Österreich nicht erlaubt – aber die Besonderheit liegt im Fall von Cannabis darin, dass das Verfahren zwingend einzustellen ist", erklärt Feigl. "Sollte der Fahrgast rechtlich gegen den Taxifahrer vorgehen, wird die entscheidende Frage vor Gericht also sein sein: Ist das Vorgehen bei einem Delikt wie Cannabisbesitz, der letztlich ohnehin nur von der Gesundheitsbehörde erledigt wird, wirklich verhältnismäßig?"

„Tatsächlich wird man zwar angezeigt, wenn man in Österreich als Konsument erwischt wird. Danach muss die Staatsanwaltschaft aber von der Strafverfolgung vorläufig zurückzutreten. Das Verfahren wird danach an die Gesundheitsbehörde übertragen. Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2011 muss man nicht einmal mehr Pinkeln gehen, wenn man das erste Mal mit Cannabis erwischt wird, wie das etwa früher der Fall war. Das Verfahren muss auch ohne Untersuchung beim Amtsarzt zwingend eingestellt werden. "Das ist ja eigentlich auch das Absurde daran", meint Feigl zu dem Ablauf. "All das ist mit einem riesigen Verwaltungsaufwand verbunden, nur damit das Verfahren mit praktisch hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit eingestellt wird."

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Auch Erwin Leitner, der Bundesobmann der Taxis und Mietwägen in der Wirtschaftskammer, hatte es in seiner langjährigen Karriere noch nicht mit einem vergleichbaren Fall zu tun. "Grundsätzlich arbeiten wir als Taxi-Innung ja sehr gut und regelmäßig mit der Polizei zusammen. Wir stellen für sie einen wichtigen Faktor dar – einfach, weil wir viel sehen und viel unterwegs sind. Taxilenker sind wie andere Bürger auch berechtigt, beim Verdacht auf Straftaten Anzeige zu erstatten – was in vielen Fällen gut ist, in diesem Fall aber vielleicht überzogen."

Von Seiten der Taxi-Innung hat der Lenker laut Leitner aber keine Konsequenzen zu befürchten – in seiner Einschätzung hat er an dem Abend gegen keine ihrer Vorschriften verstoßen. Der Obmann, der selbst ein Taxiunternehmen in der Stadt Salzburg leitet, macht dabei darauf aufmerksam, dass der Halt bei der Polizeidirektion ja praktisch auf der Route nach Hause passiert ist. "Hätte der Fahrer gegen die Betriebsordnung oder gegen das Gelegenheitsverkehrsgesetz verstoßen – etwa, indem er den Fahrgast gegen seinen Willen festgehalten hätte –, würde es von unserer Seite eine Anzeige geben." So ein Verstoß sei hier aber nicht zu erkennen.

Durch den Vorfall hat David zwar eine interne Vormerkung bei den Behörden. Aber auch das sollte ihm keinen weiteren Schaden bereiten, wenn er nicht gerade einen Job im öffentlichen Dienst anstrebt.

Das Salzburger Taxiunternehmen, in dessen Dienst der Fahrer unterwegs war, hat sich mittlerweile trotzdem bei David gemeldet und sich für das Verhalten des Fahrers entschuldigt. Und wie erwartet erhielt er vor einigen Tagen auch ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft, das bestätigt, dass von einer weiteren Strafverfolgung abgesehen wird.

Ganz aus dem Schneider ist David laut Martin Feigl aber noch nicht: Obwohl er nicht vor Gericht muss und in keinem Strafregister aufscheint, hat er durch den Vorfall eine interne Vormerkung bei den Behörden. "Auch das sollte ihm eigentlich keinen weiteren Schaden bereiten, wenn er nicht gerade einen Job im öffentlichen Dienst anstrebt. Was durch die Vormerkung aber sein kann, ist, dass die Führerscheinbehörde sich meldet und eine amtsärztliche Untersuchung anordnet." Diese Untersuchung könne man zwar bekämpfen, indem man einfach angibt, dass man nicht regelmäßig konsumiert – David hat in seiner Aussage aber bereits angegeben, wegen seiner Rückenschmerzen Cannabis zu rauchen.

Für David ist die Sache jedenfalls auch persönlich noch nicht abgeschlossen. "Ich habe zusammen mit meinem Anwalt beschlossen, in die Offensive zu gehen, falls mein Eintrag im Register bestehen bleibt", sagt er gegenüber VICE. "Einfach, damit so etwas nie wieder passiert." Über den Polizisten, der ihn angeschrien hat, will er bei seiner Dienststelle beschweren. Ein Schritt, den man laut Verteidiger Martin Feigl durchaus machen kann – wenn auch mit sehr geringen Erfolgschancen.

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