Wir haben mit Noah Becker über Rassismus gesprochen
Alle Fotos: Eva L. Hoppe

FYI.

This story is over 5 years old.

Interview

Wir haben mit Noah Becker über Rassismus gesprochen

Ein AfD-Abgeordneter hat ihn wegen seiner Hautfarbe beschimpft. Warum er den Politiker aber nicht hasst und was das alles mit seinem berühmten Vater zu tun hat.

Hinter einer wuchtigen blauen Metalltür in einem Hinterhof in Berlin-Schöneberg versteckt sich Noah Becker vor der Welt. Gemeinsam mit anderen Künstlern hat er die ehemalige Autowerkstatt zu einem Atelier umgebaut. Kalter Rauch hängt in der Luft, auf den Tischen stehen Bierflaschen. Der Sohn von Boris Becker ist fast 24, sieht aber älter aus. Seine dunkle Hose und die weißen Schuhe sind voller Farbe. Mit groben Pinselstrichen versucht er, sich aus dem Schatten seines berühmten Vaters zu malen. Auch mit seiner Band Bakery probt er hier.

Anzeige

Am Eingang, gleich hinter der blauen Tür, liegt die Bild-Zeitung aus dem Kiosk nebenan. Auf der Titelseite: Noah Becker. Nachdem er vor ein paar Tagen in einem Interview gesagt hatte, er sei schon wegen seiner Hautfarbe angegriffen worden, schrieb der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier auf Twitter: "Dem kleinen Halbn**** scheint einfach zu wenig Beachtung geschenkt worden zu sein, anders lässt sich sein Verhalten nicht erklären."

Twitter hat den Kommentar entfernt, Maier hat inzwischen mitgeteilt, dass nicht er, sondern einer seiner Mitarbeiter den Tweet verfasst habe. Er bedauere diese "Panne" und habe "organisatorische Konsequenzen" gezogen. Bei Noah Becker hat er sich bisher nicht entschuldigt.

Im Gespräch mit VICE erzählt Noah Becker, wie er die vergangenen Tage erlebt hat – und warum er keine Lust mehr hat, berühmt zu sein.

VICE: Wie oft bezeichnet dich jemand als N****?
Noah Becker: Auf jeden Fall zu häufig. Gerade viele junge Menschen sagen das auch durch den Einfluss von Rapmusik. Die wissen es nicht besser. Dabei können Worte so viel anrichten.

Was machen Worte wie die von Jens Maier mit dir?
Ich bin aufgestanden, wollte gerade meinen Tag starten, Musik machen und habe seinen Tweet erstmal gar nicht wahrgenommen. Ein Freund hat es mir dann gesagt. Das war eine überraschende erste Woche des Jahres. Aber ich war nicht wirklich verletzt.

Nicht?
Sowas passiert schon öfter – im Club oder auf der Straße. Wenn die Person vor mir steht, dann trifft mich das härter. Trotzdem ist es frustrierend zu sehen, dass Menschen in Machtpositionen heute immer noch andere so beleidigen können. Andere machen es ihnen dann nach und das ist beängstigend.

Anzeige

Was genau erlebst du im Alltag?
Das fängt schon damit an, dass ich in den USA während der Schulzeit standardisierte Tests gemacht habe, wo man seine Ethnizität angeben musste. Aber man konnte nur eine Option auswählen, deshalb habe ich weder weiß noch schwarz angekreuzt, sondern Sonstiges. Es ist halt immer ein Thema und wir können nicht so tun, als sei das nicht so. Über die ganzen kleinen Sachen will ich aber gar nicht reden. Es passiert mir und Freunden von mir andauernd, dass Leute mit dem Finger auf uns zeigen und Witze über unsere Haare machen. Das machen sie, weil sie einfach Angst haben.

Wovor?
Manche Menschen sind frustriert, haben andere Probleme und drücken ihre Wut so aus. Ich will mich da gar nicht gegen verteidigen. Angst zu haben, ist scheiße.

Seit fünf Jahren malt Noah Becker, außerdem tritt er als DJ und mit seiner Band Bakery auf

Also ignorierst du die Beleidigung von Jens Maier?
Was kann man dagegen machen? Der ist nunmal so. Er weiß es halt nicht besser. Vielleicht ist ihm langweilig. Vielleicht bin ich auch naiv. Wie würdest du denn reagieren auf so etwas?

Keine Ahnung. Ich wurde als weißer Mann nie aufgrund meiner Hautfarbe oder meines Geschlechts angegriffen.
Es ist einfach ein bizarres Gefühl, wenn man so behandelt wird, als ob man nicht existieren sollte. Das trifft mich. Wir müssten doch eigentlich viel klüger sein.

Fühlst du dich machtlos?
Es ist schwierig, ich muss das alles noch verarbeiten. Viele Menschen verstecken sich ja auch hinter Twitter und anderen sozialen Medien. Da sagen sie, was sie wollen, ohne richtig darüber nachzudenken.

Anzeige

Wie gehst du normalerweise damit um, wenn dich jemand rassistisch beleidigt?
Oft sind dann Freunde dabei. Und die sind schonmal bereit zu kämpfen. Aber das ist ja keine Lösung, dadurch versteht es der andere nicht. Man muss dem das erklären.

Klingt, als hättest du Verständnis für solche Menschen.
Für deren Verhalten habe ich absolut kein Verständnis. Die sind eben in gewisser Weise ignorant. Wenn man aufwächst, wo nur Weiße sind, wenn man nur eine bestimmte Hautfarbe sieht, dann kennt man nichts anderes. Und hat Angst vor Fremden. Diese Leute muss man mehr lieben.

Glaubst du, das ist die richtige Strategie – mehr Liebe für Rassisten wie Jens Maier?
Es gibt viele Dinge, die man in dieser Welt lieben kann. Du musst nur offen sein, Neues zu sehen.

"Kreativ zu sein, ist für mich das Einzige, was gegen diesen ignoranten Mist hilft."

Habt ihr in der Familie über Rassismus gesprochen?
Meine Oma hat mir gesagt, dass sie ihren ersten schwarzen Menschen erst mit drei Jahren gesehen hat, das war ein ausländischer Soldat. Später hat sie meinen Opa geheiratet, der war Fotograf und schwarz. Sie hat mir erzählt, wie schwer es war, damals zwei schwarze Mädchen in Deutschland aufzuziehen. Auch für meine Mutter war das nicht einfach, wenn Leute auf der Straße über sie geredet haben. Sie war stark, sie ist ein Vorbild für mich.

Beeinflusst Rassismus deine Kunst?
Vorfälle wie der mit der AfD sind Munition, um neue Dinge zu schaffen. Ich bin nicht wütend auf Jens Maier, weiß nicht einmal, wie er aussieht ehrlich gesagt. Ich würde es eher Energie nennen. Das ist die Art, wie ich damit umgehe: dass ich das alles als Inspiration nehme, als eine Art Therapie. Malen ist für mich wie für andere der Sonnengruß beim Yoga. Kreativ zu sein, ist für mich das Einzige, was gegen diesen ignoranten Mist hilft. Mir fällt es oft leichter, keinen fröhlichen, sondern einen traurigen Song zu schreiben. Meine Kunst kann ich besser hier in der Kälte machen, als wenn ich am Strand sitze.

Anzeige

Eigentlich wollte er Wirtschaft in New York studieren, entschied sich dann aber doch für Kunst

Jens Maier hat dich unter anderem wegen deiner Aussage beleidigt, Berlin sei eine "weiße Stadt".
Das meine ich nicht negativ, das ist einfach so. Berlin ist eben anders als Paris oder London.

Fühlst du dich hier deswegen weniger zu Hause?
Nein, gar nicht.

Warum bist du eigentlich ausgerechnet nach Deutschland gezogen, wo dich jeder mit deinem Vater verbindet?
Es ist schon bizarr, ich hätte nie gedacht, dass ich mal wieder in Deutschland leben würde. Aber ich habe mich in Berlin verliebt. Verglichen mit anderen Städten kann man hier noch so frei sein und die Menschen akzeptieren mich, so wie ich bin – abgesehen eben von den rassistischen Vorfällen.

"Lange fand ich es interessant, reich und berühmt zu sein."

Wer du heute bist, liegt auch daran, dass dein Vater einer der bekanntesten Menschen Deutschlands ist.
Ich bin natürlich total privilegiert aufgewachsen, das war ein großer Vorteil. Ich hatte wirklich eine verrückte und gleichzeitig sehr behütete Kindheit. Damals hat mein Vater noch gespielt. Ich hatte viele Bodyguards und Nannys, mein erstes Eis durfte ich erst mit acht Jahren essen. Ich bin Teil beider Welten: Da ist die eine, die ich mir nicht ausgesucht habe. Und die andere, die ich mir selbst geschaffen habe. Lange fand ich es interessant, reich und berühmt zu sein. Aber dann ist mir aufgefallen, dass dieser Lifestyle nichts für mich ist. Menschen sind so vernarrt in Besitz. Ich hatte auch schon viele harte Monate ohne Geld, wo mir Leute was leihen mussten.

Und da hast du nicht deinen Vater angerufen?
Nein. Du musst Verantwortung übernehmen, das habe ich von meinem Vater gelernt. Am Ende des Tages musst du für dich selbst sorgen.

Anzeige

Ist das deine Antwort auf den Vorwurf, du hättest es einfach gehabt?
Ich bin stolz auf meine Eltern, darauf, wer ich bin und wo ich herkomme. Und es war wirklich alles eher verrückt als einfach. Ich bin vor vielen Augen aufgewachsen und froh, dass mich das am Ende nicht kaputt gemacht hat.

Trotzdem wolltest du selbst mal berühmt sein.
Ich versuche mittlerweile, eher davon wegzukommen und mich mit Kunst zu umgeben, mit Klängen und Farben. Ich habe gesehen, wie es ist, berühmt zu sein, und habe selbst Dinge gemacht, über die ich nicht froh bin.

Welche?
Dass ich ein öffentliches Leben geführt habe. Dass ich mit vielen Medien geredet habe und zu Galas und anderen Veranstaltungen gegangen bin.

Er mag die Malerei, weil man die Farben – anders als am Computer – nicht einfach zurücknehmen kann, wenn sie einmal auf der Leinwand sind

Wie war es denn, von Geburt an ein Leben umgeben von Kameras zu führen?
Mir ist das gar nicht so aufgefallen, das war ja alles normal. Rückblickend wirkt es verschwommen und surreal.

Später landeten auch deine Beziehungen in der Presse.
Das war tatsächlich seltsam. Vor allem, wenn man dann die Eltern der Freundin trifft und das steht danach in der Zeitung.

Verhältst du dich deshalb heute anders?
Mittlerweile versuche ich nicht mehr wie früher, an Orte zu gehen, wo sich viele Prominente und Journalisten aufhalten. Ich arbeite lieber im Studio.

"Ich bin stolz auf meine Hautfarbe."

Was sind die Vorteile deines Nachnamens und was die Nachteile?
Menschen haben immer Meinungen über mich, ob gut oder schlecht. Sie stecken mich sofort in eine Schublade und es ist manchmal schwer, da rauszukommen. Aber ich mag meinen Namen. Am Ende ist es so, dass ich während meiner Kindheit viele Vorteile hatte, weil meine Familie Geld hat. Ich will mich nicht beschweren. Es ist ein großes Glück, dass ich meine Kunst machen kann.

Und wenn manche Leute sagen, du seist nur der Sohn von Boris Becker?
Das ist ein großer Antrieb. Ich arbeite hart, auch um es denen zu zeigen. Ich versuche nicht, mit meinem Namen zu punkten. Darum geht es nicht. Ich bin jetzt selten in den Medien. Denn irgendwann magst du zwar viel Geld haben, aber du langweilst dich.

Wie anders wäre deine Erfahrung mit Rassismus, wärst du nicht Noah Becker?
Dann würde es wohl nicht in so vielen Zeitungen stehen. Aber es geht ja nicht nur um mich, sondern um viele andere auch. Es ist gut, dass wir darüber reden, ich will mich nur nicht in den Mittelpunkt stellen. Ich bin stolz auf meine Hautfarbe. Und genauso darauf, deutsch zu sein. Den Menschen mit Hass müssen wir einfach Liebe geben und noch mehr Liebe – bis ihr Gehirn voll damit ist.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.