Menschen

Warum Supermarktpersonal spätestens seit der Corona-Krise euren Respekt verdient hat

Wer an der Kasse sitzt, kann nicht ins Home Office. Stattdessen hat man ständig Kontakt zu Kundinnen – und Viren.
Eine Kassiererin an einer Supermarktkasse
Symbolfoto: Verkäuferin: imago images | photothek ||

Kassentrenner: imago images | Manfred Segerer || Collage: VICE

Meine Mutter ist seit 35 Jahren Verkäuferin und hat Spaß an ihrem Job. Zurzeit aber wird er zur Belastung. "Wir können die Regale gar nicht so schnell wieder auffüllen, wie sie leergeräumt werden", sagt sie. Es wird täglich so ziemlich alles leergekauft, was sich lange lagern lässt: Nudeln, Mehl, Tiefkühl-Gemüse, Aufbackbrötchen, Dosengemüse. Manche Kundinnen kaufen vier Packungen Toilettenpapier, andere bis zu zehn Packungen Mehl und Milch. "Wir hatten nicht mal mehr eine Packung Trockenhefe übrig, obwohl wir die sonst nie verkaufen."

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Seit Wochen kommt es in Deutschland zu sogenannten Hamsterkäufen, und das obwohl der Einzelhandel in Deutschland keine Engpässe befürchtet. Die Regale sind leer, die Schlangen vor den Kassen lang. Die Sorge der Menschen vor dem Coronavirus wird deshalb mittlerweile nicht nur zur Belastung für das Gesundheitswesen, sondern auch immer mehr für Verkäuferinnen und Verkäufer im Einzelhandel. Deutsche Supermarktketten suchen derzeit sogar nach Aushilfen, die sich unkompliziert bewerben können. Spätestens seit der Corona-Krise zeigt sich also, wie wichtig der Beruf meiner Mutter ist.

Im Lohn zeigt sich das allerdings so gar nicht. Die Arbeit im Einzelhandel ist schlecht bezahlt. Das Bruttomonatsgehalt von Verkäuferinnen und Verkäufern liegt laut einer Umfrage von Lohnspiegel.de, einem Angebot der Hans-Böckler-Stiftung, bei einer 38-Stunden-Woche bei durchschnittlich 1.890 Euro. Zwei Drittel der Befragten gaben an, mit der Bezahlung nicht zufrieden zu sein. Noch dazu ist der Job gesellschaftlich nicht hoch angesehen. Die typische Arbeitskraft im Einzelhandel ist weiblich: 70 Prozent aller Beschäftigten sind Frauen. Viele von ihnen arbeiten in Teilzeit, einige pflegen nebenher Angehörige oder Kinder. Das war bei meiner Mutter lange Zeit auch so.

"Der Regierung scheint es egal zu sein, dass uns so viele Menschen so nahe kommen", sagt sie.

Meine Mutter leidet unter Typ-1-Diabetes. Sie gehört somit selbst zur Risikogruppe. Doch fünf ihrer Kolleginnen sind ausgefallen, weil Kitas und Schulen geschlossen sind. Das bedeutet: Mehr Stunden für alle anderen. In der letzten Woche musste meine Mutter deshalb zwölf Überstunden machen. Einmal kam sie sogar freiwillig zwei Stunden vor ihrem eigentlichen Schichtbeginn, weil die gelieferte Bestellung riesig war. Sie wusste, dass sie nicht genug Zeit haben wird, alles einzuräumen. Da zurzeit immer alle Kassen geöffnet sind, arbeitet nämlich auch weniger Personal auf der Supermarktfläche.

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Während sich in Ländern wie Italien nur noch kleine Gruppen zur gleichen Zeit in Supermärkten aufhalten dürfen, gibt es in Deutschland keine Regulierungen – zumindest noch nicht. Stattdessen wurde seit Tagen über etwas gesprochen, das nun beschlossen ist: Supermärkte können aufgrund der hohen Nachfrage während der Krise auch an Sonntagen öffnen. Meine Mutter hat dafür zwar Verständnis, aber sie arbeitet aktuell bereits an sechs Tagen in der Woche.

"Der Regierung scheint es egal zu sein, dass uns so viele Menschen so nahe kommen", sagt sie. Während Veranstaltungen abgesagt, Fitnessstudios und Universitäten geschlossen bleiben müssen, denkt niemand über die Verkäuferinnen und Verkäufer nach, zu deren Job der Kontakt zu Menschen gehört. "Am Wochenende waren in einigen Gängen manchmal 50 bis 70 Personen." Rund 1.200 Menschen laufen üblicherweise täglich durch den Laden, am Wochenende etwa 1.500. Aktuell sind es aber weitaus mehr. "Ich bekomme Angst, wenn ich darüber nachdenke", sagt meine Mutter.

Die Stimmung im Geschäft ändere sich außerdem von Tag zu Tag. Mittlerweile warten immer mehr Kundinnen und Kunden eine halbe Stunde, bevor der Laden öffnet, vor der Tür. Sie wollen die Ersten sein, die ihren Einkauf erledigen können. Außerdem beschweren sie sich immer mehr über die leeren Regale, oder über die Schlange an der Kasse. "Ich spüre, dass die Menschen Angst haben", sagt meine Mutter. Andauernd werde sie gefragt, ob noch Ware auf Lager sei, oder wann sie wieder geliefert werde. Meine Mutter nimmt es gelassen. Denn es gebe auch Kundinnen und Kunden, die für ihre Lage Verständnis zeigen. Menschen, die sich bedanken und ihr sagen, dass sie froh über ihre Arbeit sind. "Ich habe das Gefühl, dass uns viele Menschen durch diese Notlage mehr wertschätzen und mit anderen Augen sehen."

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