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Warum das „VIP-Flüchtling“-Statement von Toni Locher totaler Bullshit ist

Der eritreische Honorarkonsul in der Schweiz meint: Alle eritreischen Flüchtlinge sind Betrüger. Das ist Bullshit.
Mann mit Brille
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Screenshot von YouTube

Momentan scheint die ganze Schweiz den einen Teil ihrer Hassliebe gegenüber Flüchtlingen an den Eritreern auszulassen (Spoiler: Die Liebe ist es nicht). Alle Medien vom Hinterpfupfinger Tagblatt bis zum Blick titelten ganz gross, dass nur noch Eritreer in die Schweiz kämen. Die Kommentarspalten fanden das natürlich zum Ausrufezeichen-Schmeissen und fürchteten sich, unter der Welle der „arbeitsscheuen Sozialschmarotzer" zu ersaufen. Und die SVP tanzte vor Freude, weil sie die Wahlen im Oktober auf den Köpfen der Eritreer gewinnen will.

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Gestern erhielten die Ausrufezeichen und die politischen Feuertänzer Unterstützung von ungewohnter Seite: Dem eritreischen Honorarkonsul in der Schweiz. Der heisst Toni Locher, ist Frauenarzt in Wettingen und seit zwölf Jahren eben Honorarkonsul von Eritrea in der Schweiz—ehrenamtlich versteht sich. Er ist sich nach einem Bericht der Schweizer Illustrierten sicher, alle eritreischen Flüchtlinge seien „VIP-Flüchtlinge" und keiner von ihnen werde verfolgt. Alle aber würden Horrorstorys erfinden, um ihr Land zu verraten und in der Schweiz mit Hunderter-Scheinen um sich schmeissen zu können. Die halbe Schweiz glaubte: So einer muss es doch wissen! Und wieder einmal outete sich die halbe Schweiz als verdammt naiv.

Wann merken es unsere blinden Politiker endlich? Kein einziger Eritreer ist zu Recht in der Schweiz! Aufhören sofort! — Rolf Schweizer (@RolfASchweizer)27. Juli 2015

Tippt man nämlich die Buchstaben von Toni Lochers Namen auch nur einmal bei Google ein, stösst man auf ein paar Eckdaten, die die überraschenden Ansichten des Herrn Hobby-Honorakonsuls plausibel erklären: Toni Locher ist seit Jahrzehnten ein riesiger Fan der eritreischen Regierung. Egal, ob diese gerade Lust auf einen unnötigen Grenzkrieg mit dem verhassten Nachbarn Äthiopien hatte oder Oppositionelle verhaftete und die freie Presse verbieten liess—Toni Locher bleibt ihr treu bis zum Ende der Zeit. Ich habe mir ein paar schräge Aussagen des neuen Posterboys der Eritreer-Sozialschmarotzer-Denker angetan und kommentiert.

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Eritreer sind VIP-Flüchtlinge

Toni Locher sagt, alle eritreischen Flüchtlinge in der Schweiz seien „VIP-Flüchtlinge". Was meint Toni Locher mit „VIP-Flüchtlingen"? Flüchtlinge leben am untersten Rand unserer Gesellschaft. Sie erhalten pro Tag so viel Geld wie ich für ein halbes Kino-Ticket bezahle. Sie werden unter anderem in Armee-Zelte oder in abgeschottete Berghütten gesteckt. Müssen teilweise über Jahre ein provisorisches Leben führen, in dem sie sich mit alltäglichem Rassismus und struktureller Diskriminierung rumzuschlagen haben. Wir behandeln Flüchtlinge so, als wären sie unsere gesellschaftliche Kanalisation. Selbst wenn die Eritreer tatsächlich die VIPs unter den Flüchtlingen wären, wären sie also bloss die Könige derer, denen es am schlechtesten geht.

Die Asylpolitik ist zu lasch

Toni Locher findet die Asylpolitik der Schweiz viel zu lasch. Er meint, es kämen so viele Eritreer in die Schweiz, weil die Asylrekurskommission 2005 entschieden habe, Dienstverweigerern und Deserteuren Asyl zu gewähren. Und da hat er Recht! Tatsächlich stieg die Asylquote von Eritreern von 2005 zum Folgejahr von 6 auf 83 Prozent—aber das ist gut so! Oder würde Toni Locher vor Freude jauchzen, wenn er gegen seinen Willen zum Rädchen im Rüstungswettkampf zwischen zwei machtgeilen Regierungen wird? Wenn er dafür keinen Lohn bekommt und der Militärdienst nicht wie angekündigt nach 18 Monaten endet? Wenn er als Soldat für Zwangsarbeit eingesetzt wird? All das natürlich unter Androhung von Folter oder Exekution, für den Fall, dass er diesen spassigen Militär-Trip nicht mehr mitmachen will. Na, Herr Locher, wär das was für Sie?

Facebook ist stärker als das Mittelmeer

Toni Locher sagt, die Anziehungskraft des Konsumparadieses Europa auf die jungen Eritreer sei riesig. Dagegen könne nicht einmal das Risiko im Mittelmeer zu ertrinken etwas ausrichten. Viel wichtiger sei nämlich, was der Freund, der es nach Zürich geschafft hat, auf Facebook postet. Das ist verdammt zynisch. Der Herr Hobby-Honorarkonsul deutet nicht bloss an, dass den meist jungen Männern aus Eritrea ein neues Smartphone wichtiger ist als ihr eigenes Leben—er sagt es genau so. Noch einmal, Herr Locher: Im Mittelmeer ertranken im vergangenen Jahr 3.419 Menschen auf dem Weg nach Europa. Meinen Sie wirklich, diese Menschen nehmen einen der schrecklichsten Tode in Kauf, um an ein neues Smartphone zu gelangen? Weil sie auf Facebook gesehen haben, dass in Zürich alles so schön sauber ist? Oder sind das alles nur VIP-Tote?

Schaut man sich Toni Lochers Leben und Aussagen etwas genauer an, bleibt vor allem eine Frage übrig: Wie kommt eine der leserstärksten Zeitungen der Schweiz auf die Idee, einen Bullshit-verzapfenden Hobby-Honorarkonsul unwidersprochen zu Wort kommen zu lassen? Ausser heisse Luft bleibt nicht mehr viel übrig vom zum Experten aufgebauschten Image des Herr Honorarkonsuls. Ich hoffe für alle Frauen dieser Welt, dass Toni Locher seinen Job als Frauenarzt besser im Griff hat als sein Hobby als Honorarkonsul.

Sebastian auf Twitter: @nitesabes

VICE Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland