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Die längste Wahl der Welt

​Ist es kontraproduktiv, gegen Norbert Hofer zu demonstrieren?

Würde keine Kritik von außen kommen—die FPÖ würde sie wohl erfinden.
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Am 19. Mai, drei Tage bevor sich entscheidet, ob Norbert Hofer oder Alexander Van der Bellen in die Hofburg einziehen, ruft das Bündnis „Offensive gegen Rechts" zu einer antifaschistischen Kundgebung am Heldenplatz auf. „Kein rechtsextremer Burschenschafter als Bundespräsident – Für Solidarität und soziale Gerechtigkeit", lautet das Motto. Auch die ÖH der Uni Wien unterstützt den Protest gegen Hofer. Die üblichen Verdächtigen also.

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Schon kurz nach Bekanntgabe der Kundgebung melden sich die ersten kritischen Stimmen zu Wort. Und der Tenor ist einhellig: Von einer "kontraproduktiven Demo gegen Hofer" redet Rainer Schüller, stellvertretender Chefredakteur vom Standard. "Warum es kontraproduktiv ist, wenn Linke gegen die FPÖ demonstrieren", erklärt Christoph Schattleitner, Redakteur bei VICE. Florian Klenk, Chefredakteur vom Falter, hält sich vornehm zurück und retweetet einfach den Planungssprecher der Wiener Grünen Christoph Chorherr: "Das ist, mit Verlaub, kontraproduktiv und hilft nur Hofer". Er ist damit auf Parteilinie mit seiner Parteichefin Eva Glawischnig, die sich ebenfalls gegen "Anti-Hofer-Demonstrationen" ausspricht.

Diese Reaktionen fallen auf fruchtbaren Boden; sie scheinen sich mit der Meinung vieler SympathisantInnen von Van der Bellen zu decken: Sollte die Demo stattfinden, dann "kann man sich bei den Linken für Hofer bedanken" und "es braucht nur eine Scheibe zu Bruch gehen und Hofer hat die Bilder, die er will". An dieser Stelle sei angemerkt, dass Militanz in der österreichischen Demonstrationskultur im internationalen Vergleich eine wahrlich untergeordnete Rolle spielt (Prädikat sehenswert: Belgische Milchbauern vs. Riot Police).

Legitime Demo-Kritik?

Nun kann man über Sinn und Unsinn von Demonstrationen ausführlich diskutieren. Wem sie jetzt tatsächlich nützen oder schaden gleicht jedenfalls eher der Kaffeesudleserei. Selbst ein Team aus PsychologInnen, SoziologInnen, Politik- und MedienwissenschaftlerInnen würde wohl nicht auf einen grünen Zweig kommen. Klar ist, dass Demonstrationen immer auch eine identitätsstiftende Funktion haben; eine Selbstverortung auf Seiten "der Guten"; ein Ritual, des Ritual willens. Und sollte es auch keine realpolitischen Auswirkungen haben, so kann man sich zumindest gegenseitig auf die Schulter klopfen und sagen, man hätte zumindest irgendetwas dagegen gemacht.

Das ist ein legitimer Grund, Demonstrationen zu veranstalten und sie zu besuchen: Sich zu vergewissern, dass man nicht alleine dasteht, in einer Gesellschaft, in der man sich immer öfter fragt: "Sind die den alle irgendwo ang'rennt?" Eine Demonstration ist immer auch eine Meinungsäußerung, die im Gegensatz zu den Wahlurnen nicht nach der StaatsbürgerInnenschaft fragt. In Wien sind über 20 Prozent der hier lebenden Menschen vom Wahlrecht bei den Bundespräsidentschaftswahlen ausgeschlossen. Im wunderschönen Rudolfsheim-Fünfhaus, der Heimat des noch tolleren Bezirkowitsch, sind es gar 37 Prozent. Diese, immer aktueller werdende, demokratiepolitische Frage, wurde im Gegensatz zur Wien-Wahl im aktuellen Wahlkampf (wohl auch aus wahltaktischen Motiven) gänzlich ausgespart.

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Gleichzeitig wird, meiner Meinung nach, der Einfluss von Demonstrationen auf die öffentliche Meinung oft überschätzt. Wenn etwa nach Demonstration gegen eine FPÖ-Kundgebung in Liesing damit geprahlt wird, dass „wir es der FPÖ heute wieder gezeigt haben. 1:0 für uns" oder in der Ankündigung der aktuellen Kundgebung davon die Rede ist, dass „wir Hofer als Bundespräsidenten verhindern können, wenn wir durch unseren Protest einen Keil zwischen FPÖ-WählerInnen und der FPÖ-Führung treiben", so scheint eine Romantisierung des eigenen Einflusses vorzuherrschen. Rassistische Weltbilder und autoritärer Charakter lassen sich (leider) nicht wegdemonstrieren.

Antifaschismus als Provokation?

Doch an diesem Punkt setzt die Kritik an der aktuellen Kundgebung auch gar nicht an. Allen Kommentaren aus dem linksliberalen Milieu ist gemein, dass sie annehmen, eine Demonstration gegen Hofer und die FPÖ würde den Rechten nur in die Hände spielen. Dies passe perfekt in ihre Strategie der Freund-Feind-Zuschreibung, des "sie sind gegen ihn, weil er für uns ist" (Haider 1994, Strache 2008) und der "jetzt erst recht"-Mentalität (Waldheim 1986).

Und ja, diesem Argument will ich gar nicht widersprechen. Nur hat die Einordnung einen ziemlichen Knick in der Optik: Das Problem ist nämlich, dass die Rechten das Spiel auf der Opfer-Klaviatur beherrschen wie niemand anderer—ob die Kundgebung gegen Hofer nun stattfindet oder nicht, ändert wenig bis gar nichts an der Konstruktion eines Freund-Feind-Bildes. Fällt nämlich ein „Feind" weg, so ist der nächste schnell gefunden: Sei es ein satirischer Beitrag des ZDF oder eine queer-feministische Kaffeehausbetreiberin, die als Privatunternehmerin auf rechte Kundschaft lieber verzichtet.

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So etwas hatten wir schon einmal, das brauchen wir nicht.

Der Wiener FPÖ-Landesparteisekretär Toni Mahdalik spricht dabei von einer "Verletzung der Menschenwürde", weil er in einem (!) Wiener Lokal keinen Kuchen bekommen würde. Auf die Spitze treibt es jedoch Norbert Hofer himself, der diesen Kaffeehaus-Aktivismus tatsächlich auf eine Ebene mit der Shoah stellt. In einem Interview mit dem ORF meint er, "so etwas hatten wir schon einmal, das brauchen wir nicht." Eine pointierte Analyse dazu liefert Bernhard Torsch.

Fehlen konkrete Anlässe wie die oben genannten, so halten Flüchtlinge, MigrantInnen, die „Homo-Lobby" oder die „Systemmedien" als willkommene und dynamische Projektionsflächen zur Abgrenzung zwischen Freund und Feind her. Im weitesten Sinne ist für die FPÖ alles „provokant", was irgendwie als links und emanzipatorisch phantasiert wird; schlussendlich alles, das ihrer völkischen Ideologie widerspricht. Die Konstruktion von Feindbildern und Reibflächen nach außen ist ein zentrales Momentum rechter und rechtsextremer (Identitäts)Politik.

Feindbilder ohne Feinde?

Im Kontext des Antisemitismus beschrieb dieses Phänomen Jean-Paul Sartre sehr zutreffend: "Der Antisemitismus gibt nicht Auskunft über sein Objekt, die Juden, sondern über sein Subjekt, den Antisemiten. Nicht die Erfahrung schafft den Begriff des Juden, sondern das Vorurteil fälscht die Erfahrung. Wenn es keinen Juden gäbe—der Antisemit würde ihn erfinden."

Ähnlich verhält es sich mit der FPÖ. Würde keine Kritik von außen kommen—die FPÖ würde sie wohl erfinden. Vorgeschobene Gründe lassen sich immer finden, seien sie noch so banal oder absurd.

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Medien ("Lügenpresse") und andere politische Parteien ("Systemparteien") sind selbst eine Projektionsfläche rechtsextremer Identitätspolitik.

Die gegenwärtige Kritik von JournalistInnen und PolitikerInnen an der Kundgebung nimmt genau das Objekt (die "provokanten Linken", die "gewalttätigen Antifas", …) ins Visier und unterlässt die Analyse des Subjekts. Der FPÖ und ihren SympathisantInnen erweist man mit dem Einstimmen auf ihre Logik, eine antifaschistische Demonstration sei jedenfalls eine Provokation, einen Bärendienst.

Gleichzeitig wird verkannt, dass die Objekte von der FPÖ beliebig austauschbar sind. Medien ("Lügenpresse") und andere politische Parteien ("Systemparteien") sind selbst, wenn auch in einer wesentlich privilegierten Position als beispielsweise MigrantInnen, BettlerInnen, Arbeitlose oder DrogenkonsumentInnen eine Projektionsfläche rechtsextremer Identitätspolitik.

Zu Ende gedacht …

Kritik mag angebracht sein, soll geäußert werden und soll Teil eines lebendigen, demokratischen Diskurses sein. Denkt man jedoch die gegenwärtige Kritik an der antifaschistischen Kundgebung gegen Norbert Hofer konsequent zu Ende, so wäre das Ergebnis jedenfalls eine komplette Apathie, eine Selbstzensur des eigenen Denkens und Handelns, schlussendlich das Verzichten auf jeglichen Widerspruch, weil der ja wieder nur der FPÖ nutzen könnte. Und das nützt der FPÖ ganz bestimmt.

Klemens auf Twitter: @blaumilch_kanal