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Wahlen 2015

So klein und schon Partei: Die Schweizer Piraten

Zum zweiten Mal nehmen die Piraten Kurs aufs Bundeshaus

Alle Fotos von Sascha Britsko

Noch genau 10 Tage bis zu den Wahlen und irgendwie scheint schon alles entschieden: Die SVP gewinnt mit ihrer „Pop-Songs statt Inhalten"-Strategie massiv, die FDP ohne wirklichen Grund ein wenig und alle anderen Parteien sind froh, wenn sie nicht allzu viele Sitze abgeben müssen. Beziehungsweise fast alle, müsste man schreiben, denn was im lauten Wahlgetöse zwischen den grossen Fischen manchmal untergeht: Es gibt auch Parteien, die haben gar nichts zu verlieren.

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Die Piratenpartei Schweiz wurde 2009 nach schwedischem und deutschem Vorbild gegründet und trat 2011 erstmals zu den eidgenössischen Wahlen an. Das Bundesparlament vermochten sie mit ihren Schwerpunkten Transparenz, Datenschutz und offene Gesellschaft nicht zu entern; zwischen 0.6 und 1.9% betrug ihr Wähleranteil in den sieben Kantonen, in welchen sie antraten. Ob es am Image als Computer-Nerd- und Freak-Partei lag?

Der Proto-Pirat ist männlich, ledig und sitzt lieber vor dem Bildschirm als anderswo, versucht von dort aus die Probleme in der Welt zu lösen. Doch ist das wirklich alles, was die Piraten zu bieten haben? Wir wollten das genauer wissen und haben deshalb einen ihrer Kandidaten, genauer den Zuger National- und Ständeratskandidaten Stefan Thöni (1985), zum Gespräch über seine (hohen und kaum realistischen) politischen Ambitionen, seinen Umgang mit Social Media und andere drängende Fragen wie die Legalisierung von Cannabis, welche die Piraten per Online-Petition (wie sonst?) fordern, getroffen.

VICE: Beschreibe deine Partei bitte in einem Tweet.
Stefan: Da würde ich doch gleich unser Motto nehmen: Humanistisch, liberal, progressiv.

Warum sollten sich junge Menschen überhaupt für Politik interessieren?
Weil es sehr wichtig ist, was da entschieden ist. Politik hat einen grossen Einfluss auf das Hier und Jetzt, aber auch auf die Zukunft. Die Welt, wie sie später sein wird, wird massgeblich von der heutigen Politik beeinflusst.

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Für die Piratenpartei kandidieren dieses Jahr 48 Männer und nur sieben Frauen. Wie erklärst du dir das?
Das lässt sich relativ einfach beantworten: Wir sind eine sehr technik-affine Partei und leider gibt es sehr wenige Frauen, die sich dermassen für Technik begeistern können. Wir hätten liebend gern eine grössere Frauenquote, doch leider ist es relativ schwer, Frauen davon zu überzeugen bei unserer Partei mitzumachen.

Die Chance, dass du wirklich gewählt wirst, ist, optimistisch gesehen, mit einem Wähleranteil von 0.5 Prozent sehr klein. Wieso machst du das überhaupt?
Zum Einen geht es mir darum, den Wählern eine Alternative bieten zu können. Wenn es nämlich keine Alternative gibt, wird sich nie etwas ändern. Zum Anderen brauchen wir einige technik-affine junge Leute im Bundeshaus, die mit der neuesten Technologie vertraut sind.

Was macht für dich einen guten Politiker aus?
Das man Lösungen sucht und nicht Probleme. Probleme gibts es nämlich genug, Lösungen dagegen sind eher Mangelware.

Glaubst du, du bist ein guter Politiker?
Davon bin ich überzeugt.

Hast du einen Lieblingspolitiker/In?
Er gehört schon zur alten Garde: Vischer. Er hat Einiges bewirkt und ist für mich auch ein Vorbild. Er gehörte den Grünen an. Unsere Partei braucht einen wie Vischer.

Die Piraten traten zum ersten Mal 2011 zu den Wahlen an. Wen hast du vorher gewählt?
Ich hab immer sehr gemischt gewählt. Eher links als rechts. Ich habe immer auf Smartvote vertraut, aber jetzt, da ich ein wenig Einblick in die Szene bekommen habe, muss ich sagen: Smartvote ist gut, aber es gibt noch mehr Aspekte als einem dort aufgezeigt werden.

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Wenn es die Piratenpartei nicht gebe, welcher Partei hättest du dich dann angeschlossen?
Das wäre ganz schwierig geworden. Ich wäre wahrscheinlich irgendwo zwischen den Grünen und den Grünliberalen gelandet. Beiden fehlt aber noch viel von dem Verständnis der Piraten.

Mit welcher Partei kannst du gar nichts anfangen?
Mit den ganz Rechten. Die, die nur gegen Ausländer hetzen.

Gibt es auch Dinge, die dir an der Piratenpartei nicht gefallen?
Ja, manchmal sind wir ein wenig kleinlich während unserer Diskussionen. Aber ich glaube, das ist eine Krankheit, unter der jede Partei leidet.

Jeder Partei eilt ein bestimmter Ruf voraus. Die Piratenpartei ist bekannt als die Partei der Nerds. Was meinst du dazu?
Da ist sicher etwas Wahres dran. Früher wahrscheinlich mehr als heute. Mittlerweile haben wir aber gemerkt, dass die Prinzipien, die wir verfolgen und aus dem Internet ableiten, sich genauso gut auf alle anderen Bereiche übertragen lassen.

Natürlich stehst du auch als Person zur Wahl. Mit welchen Forderungen möchtest du punkten?
Die Erste ist ganz klar: Besserer Schutz der Privatsphäre und weniger Überwachung. Ein weiteres Anliegen, das mir am Herzen liegt, ist die Verbesserung der Infrastruktur des ÖV. Vor allem in Agglomerationen und ländlichen Gebieten besteht grosses Potenzial. Mein drittes Anliegen ist die Transparenz in der Politik. Ich möchte, dass man Daten eines politischen Prozess veröffentlichen darf, damit man weiss, was Politiker oder Parteien genau unterstützen.

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Legislativ-Politiker ist in der Schweiz kein offizieller Beruf. Was für eine Rolle spielt die Politik in deinem Leben?
Es ist mehr als ein Hobby aber weniger als ein Beruf. Es ist irgendetwas zwischendrin. Ich arbeite momentan zwar 100 Prozent aber es ist trotzdem ein gewichtiger Teil meines Lebens.

Als was arbeitest du denn?
Ich entwickle Software.

Wer hätte das gedacht! Bist du denn stolz drauf Politiker zu sein?
Ich rede offen mit meinen Freunden über meine Politikerkarriere. Es ist mir wichtig, dass Politiker nicht nur als abgehobene Extrawürste gesehen werden. Ich möchte den Leuten zeigen, dass es auch andere gibt.

Wohin gehst du feiern? Streetparade oder Schützenfest?
Weder noch. Ich besuche lieber kleinere Veranstaltungen. Mit Kollegen was trinken gehen oder etwas gutes essen ist eher mein Ding.

Wie lange, ist die längste Zeit, die du wach warst?
Ähm, das ist eine gute Frage. Ich würde sagen das waren mehrere Tage an einer LAN-Party.

Was trinkst du am liebsten beim feiern?
Nicht-Alkoholisches. Gerne Fruchtsäfte oder auch Ice Tea. In letzter Zeit auch Wasser, weil ich auf meine Figur schauen möchte.

Hast du schonmal gekifft?
Nein habe ich noch nicht. Aber ich rauche auch nicht.

Ihr Piraten fordert die Legalisierung von Cannabis. Findest du das richtig?
Auf jeden Fall. Die Möglichkeit des Konsums gehört für uns zu einer liberalen Gesellschaft. Des Weiteren hilft das Verbot nur Kriminellen und genau weil es verboten ist, ist es schwieriger Jugendliche davor zu schützen. Es ist ein Teufelskreis.

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Glaubst du an Gott?
Nein.

Foto von Karl-Ludwig Poggemann | Flickr | CC BY 2.0

Was haltest du von der Homo-Ehe?
Ich bin dafür, dass alle die es möchten, heiraten dürfen. Ich befürworte auch die Ehe zwischen mehreren Partnern. Ist natürlich optional, aber man sollte einfach die Möglichkeit dazu haben.

Die Flüchtlingsthematik dominiert die Medien. Manche sprechen von „Asyl-Chaos". Wie siehst du das?
Als „Asyl-Chaos" bezeichnen es diejenigen, die nicht verstehen wie es funktioniert. Wir müssen mehr Flüchtlinge aufnehmen. Dass Leute auf dem Mittelmeer und in Lastwagen sterben, sowas geht einfach nicht. Jemand, der um sein Leben fürchtet, der lässt sich von unseren Abgrenzungsmethoden nicht abschrecken. Wir müssen diese Menschen einfach menschenwürdig behandeln und wir müssen gegen die Ursache, also die Kriege, vorgehen.

Neben Flüchtlingen gibt es auch gewöhnliche Einwanderer. Das Komitee der RASA (Raus aus der Sackgasse) hat vor etwa einem Monat um die Aufhebung der Masseneinwanderungsinitiative der SVP gebeten. Ist das eine gute Idee?
Das ist auf jeden Fall eine gute Idee. Ich glaube auch, dass diese Idee angenommen wird. Wir haben ja gesehen das man „s'Füfi und s'Weggli" nicht haben kann. Ich glaube, dass das Volk seine Meinung mittlerweile geändert hat.

Auf deiner Homepage schreibst du, dass du dir wünschst, dass die Menschen nicht nur konsumieren, sondern ihre eigenen Wünsche auch umsetzen. Das tönt danach, als wärst du Fan des bedingungslosen Grundeinkommens?
Ich finde es grundsätzlich eine gute Idee, aber man sollte trotzdem diese negative Einkommenssteuer oder etwas Ähnliches einführen. Wegen der Situation auf dem Arbeitsmarkt würden die Leute momentan zu jedem Preis arbeiten gehen. Ein Mindestlohn löst das Problem aber nur vorläufig. Durch die Automatisierung verschwinden die Arbeitsplätze. Für alle, die das Kapital für eine eigene Firma nicht aufbringen können, wäre das Grundeinkommen eine sehr gute Lösung.

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Braucht die SVP eine zweiten Sitz im Bundesrat?
Ja. Ich bin der Überzeugung, dass man die Sitze im Bundesrat so verteilen sollte, wie das Parlament gewählt ist. Das würde die SVP auch stärker einbinden und sie könnten weniger auf den Anderen rumhacken.

Was jagt dir in der Schweiz die grösste Angst ein? Was läuft schief?
Das grösste Problem in der Schweiz ist die Tatsache, dass wir denken, alles was von Aussen kommt, sei schlecht. Seien es die Flüchtlinge, seien es die EU, sei es die USA. Wir sollten lieber an Lösungen im Land arbeiten, als darüber zu reden, was Schlechtes aus dem Ausland kommt.

Menschen in der Schweiz nutzen das Internet Hauptsächlich für vier Dinge: Social Media, News, Youtube und das googeln von Fremdwörtern. Was würdest du gerne daran ändern?
Ich möchte, dass unsere sozialen Interaktionen nicht aus zwei, drei Seiten beschränkt sind. Ich möchte auch, dass Facebook ein wenig seiner Marktmacht verliert und dass sich Alternativen zu der Suchmaschine Google etablieren.

Auf deiner Homepage steht, dass du dir mehr Mitbestimmungsrecht für die Schweizerische Bevölkerung wünschst. Wo könnten wir noch mehr mitbestimmen?
Das Erste wäre, dass die Punkte, in denen wir bereits mitbestimmen dürfen, auch effektiv so umgesetzt werden. Wir bräuchten auch wieder die Gesetzesinitiative, dass wir nicht jeden Scheiss in die Verfassung schreiben müssen. Auch das Wahlsystem in kleineren Kantonen finde ich unfair. Jede Stimme, die nicht an eine grosse Liste geht, ist eigentlich für die Katz.

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Verglichen mit der Bevölkerungszahl ist die Schweizer Armee die grösste Armee der Welt. Braucht es das?
Nein das braucht es nicht. Eine kleine Armee sollten wir haben und es wird langsam Zeit, dass die Wehrpflicht abgeschafft wird.

Warst du im Militär?
Nein, war ich nicht.

Wer spielte am letzten Konzert, dass du besucht hast?
Huch, da muss ich lange zurück denken. Ich gehe nicht so oft an Konzerte. Ich liebe Filmmusik, vor allem Kompositionen von Hans Zimmer find ich super.

Welche sozialen Medien nutzt du?
Am liebsten mag ich Twitter. Leider muss ich auch Facebook nutzen, weil man die Leute so am besten erreichen kann. Ich habe aber vor, mich noch mit anderen Medien wie Diaspora zu beschäftigen.

Wenn du soziale Medien nutzt, zu welchem Zweck? Politisch oder privat?
Privat sehr selten. Die eine oder andere Twitter-Nachricht vielleicht, aber sonst nicht viel mehr.

Wie glaubst du wird das Ergebnis der Wahlen sein?
Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube es wird sich leider nicht viel verändern. Aus der Sicht der Piraten, wäre es super einen Sitz in Zürich und Bern im Nationalrat zu holen. Die Chancen sind aber eher gering.

Wirst du Passagen aus diesem Interview streichen, auch wenn du sie so gesagt hast?
Nein, werde ich nicht.

Daniel liebt Soziale Netzwerke, zum Beispiel Twitter: @kissi_dk

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