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One of Many Possible Art Issues

Raymond Pettibon

Wenn man auf Punk steht, kommt man nicht an Pettibon vorbei.

Ich habe mir so viel von dem, was ich übers Zeichnen weiß, beim Anstarren von Raymond Pettibons Bildern angeeignet, dass sein Einfluss aus meinen Arbeiten fast nicht mehr wegzudenken ist. Manchmal arbeite ich monatelang und denke, dass ich ein neues kreatives Niveau erreicht habe. Dann trete ich einen Schritt zurück, sehe mir die Sachen genauer an und merke, dass ich das meiste einfach bei ihm abgekupfert habe.

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Wie die meisten stieß ich auf Pettibons Bilder, als ich anfing Punk zu hören. Ich merkte, dass er die Cover von vielen meiner Lieblingsplatten, vor allem denen von Black Flag, gestaltet hatte und dass die meisten davon auch ziemlich gut als T-Shirts funktionierten. Ankündigungen seiner Ausstellungen tauchten bald in allen möglichen Zeitschriften und Büchern auf, die ich mochte. Vor Kurzem hat er das Cover für das Debütalbum von OFF! gestaltet, einer Supergroup, deren Frontmann Keith Morris von Black Flag ist und das bei Vice Records erschienen ist. Wenn du auf so was stehst, ist es fast unmöglich, nicht auf Pettibon zu stoßen.

Ich traf Pettibon über die Band Cerebral Ballzy. Er hing eines Abends mit ihnen ab und sah zufällig ein T-Shirt, das ich für sie gezeichnet hatte. Laut dem Sänger der Band, Honor, bestand er sofort darauf, auch eins zu bekommen. Ich starb fast vor Freude, als Honor mir von dieser Unterhaltung erzählte. Ein paar Wochen später traf ich bei einem der Gigs von Ballzy auf Pettibon und seine Freundin, die Videokünstlerin Aïda Ruilova. Raymond wirkte zurückhaltend, aber freundlich. Seine Freundin war eine enthusiastische Lady, die ebenso beeindruckt von ihm zu sein schien wie ich. Nachdem wir uns eine Weile unterhalten hatten, fragte ich ihn, ob ich ihn während meiner geplanten Reise nach L.A. interviewen dürfte, und ein paar Monate später saß ich in einem Auto und wartete in freudiger Erregung darauf, seine Arbeitsräume zu sehen zu kriegen. Raymonds Atelier liegt versteckt in einem Gebäude, das einmal ein Möbelgeschäft war. An der Fassade hängt immer noch das alte Ladenschild und ein hässliches Wandbild und die großen Schaufenster sind mit weißen Papierbahnen verhängt. Drinnen hat Raymond eine ganze Wand für noch unfertige Arbeiten reserviert, sodass er an mehreren davon gleichzeitig arbeiten kann. Hinten im Raum sind Regale, in denen er seine riesige Papiersammlung aufbewahrt. Dahinter führt eine Treppe zu einem Miniapartment hinauf. Wir redeten ca. zwei Stunden lang. Raymond wirkte abgelenkt, aber es machte trotzdem Spaß, sich mit ihm zu unterhalten. Er lud mich zu einer Ausstellungseröffnung ein und dann aßen wir im In-N-Out. Während wir aßen, blätterte er durch Bücher, vermutlich um nach Referenzen und Inspiration zu suchen. Ich zeichnete seine Freundin. Danach folgte ich ihm zu Mike Watts Geburtstagsfeier in einer Cowboy-Bar in Long Beach. Es war einer der besten Abende meines Lebens.

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Vice: Ich hatte eine Reihe Fragen vorbereitet, aber ich bin jetzt etwas abgelenkt. Warum fangen wir nicht mit ein paar Fragen zu den Sachen in deinem Atelier an. 
Raymond Pettibon: Oh, klar. Sicher.  Z. B. dieses Bild von dem Typen, der auf der riesigen Welle surft? Warum hast du dich entschieden, das zu zeichnen?
Ich bin in der Nähe vom Strand aufgewachsen. Die Gewalt am Strand kann manchmal schlimmer sein als die Gewalt auf der Straße. Locals werden von den meisten Surfern auf der Welt verachtet und gehasst. Es gibt gute Tage, aber wenn es lange keine Wellen gibt, sitzt du das ganze Jahr am Strand und betest, dass endlich welche kommen. Dann ziehst du los und versuchst anderen Leuten ihre Wellen streitig zu machen.  Ich liebe die konzentrischen Farblinien. Mir wird manchmal vorgeworfen, dass ich diese Art Struktur von dir geklaut hätte. 
Es gibt ja eigentlich gar keine Originale. Es gibt den originalen Stil oder Fingerabdruck von jemandem, der das erste Mal eine Linie in seinem eigenen speziellen Stil zeichnet, aber das war’s auch schon.

Kannst du mir etwas zu dieser Zeichnung mit den Skinheads sagen?
Es gibt nicht allzu viel dazu zu sagen, bis ich eine Vorstellung davon habe, wohin es sich entwickeln wird und was es bedeutet.  Im Moment sind es einfach nur ein paar Typen, die einen menschlichen Körper tragen? 
Ja, er könnte verletzt sein, oder sogar tot.  Entstehen diese Sachen einfach in deinem Kopf oder basieren sie auf fotografischen Vorlagen? 
Das hier ist auf jeden Fall von einem Foto, das ich projiziert habe.  Das mit der großen, in Tinte gemalten Form und den leichten Pinselstrichen ist interessant. Was ist da los?
Das kam aus einem Werbeprospekt für einen Zahnarzt oder vielleicht auch für Rachenoperationen. Ich habe es einfach so zusammengefügt. Dann kann es immer sein, dass es funktioniert oder auch nicht. Ich habe viele Zeichnungen, die halbfertig sind und noch eine Menge Arbeit brauchen oder neu überdacht werden müssen. Die hier ist noch nicht fertig. Ein Künstler, den ich bewundere, und der mich beeinflusst, ist Milton Caniff. Von ihm sindTerry und die Piraten und Steve Canyon. Er war ein Meister, der einen sehr kräftigen Pin­selstrich hatte.

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Die Frage, die jetzt kommt, ist vielleicht ein bisschen kitschig, aber egal: Was zeichnest du am liebsten?
Wellen. Das ist für mich ganz normal. Ich bin mit Blick aufs Meer aufgewachsen—ich meine nicht mit einem echten vom Strand aus, sondern mit Bildern in Surfmagazinen. Das ist die Art Bilder, die für viele Leute, zumindest hier in der Gegend, wie Pornografie ist. Obwohl es sicher ein paar Jahre her ist, seit ich eine gezeichnet habe, gibt es immer noch Leute, die sie sehen wollen. Ich mag Wellen in Bildern, aber in letzter Zeit zeichne ich sie nicht mehr so gerne. Jedes Mal, wenn ich nicht weiß, wie sie aussehen werden, ist das eine Qual oder eine Herausforderung.  Hast du jemals Secret Identity gesehen, diese Sammlung von Schwarz-Weiß-Illustrationen, die Joe Shuster für Pornohefte machte, nachdem er bei Superman rausgeflogen und sich mit DC Comics verstritten hatte? Viele deiner Zeichnungen erinnern mich an die Art, wie er schwarze Tusche gebraucht. 
Nein.  Die Figuren sehen alle ziemlich wie Superman oder Lois Lane und Jimmy Olsen und Perry White aus, aber sie erniedrigen sich gegenseitig sexuell. Es gibt Maschinen, um Leuten den Hintern zu verhauen, Männer in Kapuzen, gefesselte Menschen und eine Menge Peitschen. Es ist alles sehr seltsam und verstörend. 
Wow. Das klingt wie die Tijuana Bibles. Man kann Shuster kaum einen Vorwurf daraus machen, denn sowohl er als auch Jerry Siegel wurden von der Comicindustrie ziemlich übel behandelt und sie waren damals ja fast noch Kinder. So etwas erleben zu müssen, nachdem man etwas wie Superman geschaffen hat—das eine solche Resonanz erzeugt hat und so einflussreich und wichtig für die Kultur war … das ist schon etwas anderes, als einfach nur sauer auf seinen Boss zu sein. Ich bin sicher, dass das einer der Gründe für Shusters Frustration war, und die Sexsachen sind wahrscheinlich sowieso viel näher an Supermans wahrem Charakter und seiner Persönlichkeit dran.  Kannst du dich noch erinnern, wie es war, als du das erste Mal ein Comic gelesen hast?
Mein Vater hatte eine Handvoll Comics aus der Zeit vor der Einführung der Zensur und er holte sie ein- oder zweimal im Jahr heraus. Das war immer ein cooles Ereignis.  Waren es Sachen von EC Comics?
Nicht von EC, aber in einem ähnlichen Stil—Horror- und Detektivsachen. Es war auch nur eine Handvoll. Davon abgesehen, las ich nicht viele Comics. Ich habe vielleicht ein paar wenige Male welche gekauft oder gelesen, aber als Kind war ich kein großer Comicleser oder Teil der Comicfangemeinde. Natürlich ist meine Kunst stark an Comics angelehnt. Ich mag viele Comickünstler und ­Autoren, usw., aber es ist auch irgendwie eine universelle Sprache. Sie lässt sich leicht reproduzieren, passt sich auch gut an die praktischen Aspekte des Kunstmachens an und eignet sich gut zum Schreiben und Geschichtenerzählen. Comics sind ein guter Ort, um sich Dinge abzuschauen, wenn man zu zeichnen anfängt, besonders wenn man keine formelle Kunstausbildung hinter sich hat. Aber meine Arbeit beruht natürlich auch auf anderen Dingen—wie die von jedem anderen auch.

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Wann hast du angefangen, regelmäßig ernsthaft zu zeichnen?
Sagen wir mal mit zwölf. Ich habe recht viel gezeichnet. Es wurde schnell ein täglicher Teil meines Lebens. Am Anfang zeichnete ich politische Karikaturen für Zeitungen.  Hat dir dein Vater das Zeichnen beigebracht? Ich weiß, dass er Maler war. 
Oh nein. Er war ein Autor und er unterrichtete Englisch. Viele seiner Bilder waren sehr gut, finde ich. In meinem Fall sind das sicher Einflüsse, derer ich mir nicht mal richtig bewusst bin.  Und wie ist es mit deiner Mutter? Hat sie dich bei deiner Kunst unterstützt? 
Eine direkte Unterstützung meiner Kunst, im Sinne eines Mentoring, gab es bei mir nicht. Ich weiß auch nicht, ob man das wirklich versuchen sollte, denn was können Eltern schon tun? Es ist leicht, einem Kind beizubringen, wie man Fahrrad fährt, aber Zeichnen oder andere Kunstformen sind Sachen, die in die Hose gehen müssen, bis ein Kind seine eigene Art Linien und Figuren zu zeichnen gefunden hat. Wenn die Eltern sich da einmischen, ist es für beide Seiten frustrierend. Ich habe mich nie neben die Kinder gesetzt, mit denen ich arbeite, und ihnen gesagt, was sie tun sollen. Ich gebe ihnen lediglich ein Thema vor.  Gab es für dich als Kind besondere visuelle Bezugspunkte? 
Ich bin nicht sicher, ob es die gab. Ich kann mich an keine Schlüsselmomente in meiner Kindheit erinnern, wo sich der Schleier von meinen Augen hob und ich die Welt sah, oder mir die Dinge auf eine neue Art und Weise vorstellte, die ich direkt als Kunst umsetzen konnte. Ich war eher an Sprache und Literatur interessiert und bin das in vieler Hinsicht immer noch.  Wann hast du deinen Namen von Ginn zu Pettibon geändert?
Mein Vater gab immer allen komische Spitznamen, also wurde ich immer Pettibon genannt. Mein Bruder war Tiger—du weißt schon, diese Art Namen. Er nannte mich Pettibon nach diesem Football-Spieler John Petitbon.

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Wann hast du angefangen, Musik zu machen?
Nie. Und ich würde jetzt auch nicht mehr damit anfangen.  Aber warst du nicht mit deinem Bruder Greg in einer Band, bevor Black Flag gegründet wurden?
Das hat wohl mal jemand irgendwann behauptet, ja. Und wie alles, was jemand über jemand anderen behauptet, wurde es endlos wiederholt und nachgeplappert und in der ganzen Welt herumerzählt. Ich habe die Basslinien für ein paar der frühen Songs gelernt, das stimmt, aber das war’s auch schon. Ich hatte weder das Interesse noch die Zeit noch die Fähigkeit oder das Talent, irgendetwas aus der Musik zu machen. Wenn ich es richtig verstehe, ist Musik machen auch nur ein winziger Teil dessen, was das Dasein als Rockstar ausmacht. Ich vermute mal, ich hatte genug Respekt vor der Musik und wahrscheinlich auch den Fans, um das Ganze Musikern zu überlassen. Ich bin über die Jahre in verschiedenen Bands gewesen und hatte Bandprojekte und ich singe manchmal. Ich bin in der unglücklichen Lage, eine wunderschöne lyrische Tenorstimme zu haben, aber es gibt da draußen einfach nicht genug spontane Chöre oder Orchester. Gitarristen, Drummer oder Bassisten, mit denen du jammen kannst, findest du dagegen an jeder Ecke, also merkt man bei meinen musikalischen Arbeiten und meinen Auftritten kaum was von meinem Talent als Sänger. Ich habe auch ein paar Aufnahmen gemacht, aber hauptsächlich, weil ich mich dazu überreden lassen habe. Heute gibt es wohl kaum mehr als eine Handvoll Leute, die nicht irgendwas aufgenommen oder eine eigene Platte oder Kassette rausgebracht haben. Es gibt heutzutage einfach keinen Grund mehr, nicht irgendwann mal eine eigene CD aufzunehmen.  Hattest du, als sich Black Flag gründeten, schon begonnen, diese aggressiven und provokanten Bilder zu zeichnen? Wie z. B. das mit dem riesigen Teufel, der einen Bullen durch die Luft wirft?
Die Zeichnung handelt davon, wie es ist, im gottverdammten Los Angeles aufzuwachsen. NWA und Black Flag waren sich da in ihrer Botschaft und ihrer realistischen Ästhetik sehr ähnlich. Black Flag entstand in einer Zeit, als in L.A. unbewaffnete Schwarze erschossen wurden. Jede Woche gab es ein oder zwei Schießereien, mal mit Jüngeren, mal mit Älteren. Alles, was wir machten, war, die Realität zu beschreiben, ohne uns selbst zu zensieren. Die Einstellung der Leute zielte damals darauf ab, alles durch die rosarote Brille zu sehen, was auch nicht allzu schwer ist, wenn man die L.A. Times und die anderen Zeitungen hinter sich hat. Sie waren der Meinung, dass man, wenn man Angel Dust raucht, übermenschliche Kräfte hat und eine echte Gefahr ist. Ich habe also keine Karikaturen oder zugespitzten Cartoons gemalt. Ich habe es einfach so abgebildet, wie es die Polizei darstellte—als ob irgendein Typ mithilfe der Kraft von etwas Phencyclidin zu einer Naturgewalt werden könnte und so in der Lage wäre, einen Polizeiwagen durch die Luft zu schleudern.  Ich frage mich, ob es OK ist, wenn eine Zeitung mir sagt, dass jemand dazu fähig ist, ein Polizeiauto anzuheben und durch die Luft zu schleudern. Dass jemanden zu würgen, nichts anderes ist als eine Umarmung am Flughafen, um seine Frau oder seine Eltern zu verabschieden. Und so was steht im Nachrichtenteil der New York Times? Alle Nachrichten, die sich halt drucken lassen. 
Das ist echt widerwärtig und rhetorisch. Sie stellen diese absurden Behauptungen über Menschen und Rassen auf, reine Fantasie­konstrukte, die den Gesetzen der Physik widersprechen und zur Rechtfertigung von Kriegen dienen. Sie führen diese Sachen nicht nur ein, sondern pushen sie dann auch noch und schaffen so die Basis für militärische Aktionen. Meine Art, mich gegen diese Dinge zu wehren, ist das Medium, in dem ich arbeite, und zu dem Cartoons und Comics gehören. Egal ob es gerahmt in einem Museum oder einer Galerie hängt, oder an einem Telefonmast oder an der Wand eines 15-Jährigen, der noch nicht mal sein erstes Black Flag-Tattoo hat, oder wo auch immer.

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Ich würde auch gerne hören, wie es dazukam, dass du so viele der Grafiken von Black Flag gemacht hast. 
Mein Bruder war in der Band und leitete die Plattenfirma. Die Grafiken für die 45er-Platten und die Flyer und solche Sachen waren meist erstmal zweitrangig, und ich war dann derjenige, der das übernahm. Ich konnte halt zeichnen und das war auch schon alles.  Und was war mit dem Logo von Black Flag? Für mich ist es im Kopf fast so präsent wie das McDonald’s-Logo … 
Wenn du hundert Illustratoren beauftragen würdest, ein Logo für eine Band namens Black Flag zu machen, würde die Hälfte von ihnen genau dasselbe machen, nur besser. Ich bin als Werbegrafiker überhaupt nicht geeignet. Die Höhe der Balken war nie ebenmäßig. Die meisten Illustrationen von Flaggen sind geschwungene Linien.  Deine hat etwas Starres und Einschüchterndes. 
Und es suggeriert Bewegung und Macht, wie Kolben, zum Beispiel. Der Name kam auch von mir. Ich bin politisch ziemlich links und ich bin kein Mensch, der mit Farben arbeitet, oder war es zumindest damals nicht. Wenn ich’s gewesen wäre, hätte ich vielleicht Red Flag vorgeschlagen, aus ästhetischen Gründen und wegen dem, wofür es steht. Impliziert es auch etwas wie die Anbetung des Bösen, oder etwas in der Richtung? Nicht, dass ich damit sagen will, dass du diese Idee gutheißt, aber vielleicht ist es eine Art Kommentar zu der Seltsamkeit von Flaggen und der Idee, ihnen die Treue zu schwören?
Nein. Eine schwarze Flagge ist das Symbol des Anarchismus und das allein ist genug, um dem Durchschnittsbürger Angst einzujagen und Visionen des Chaos und Aufruhrs heraufzubeschwören. Beim Anarchismus geht es darum, Bomben zu legen, und das ist nichts, was ich gutheiße. Ich will keine neue Welt auf der Asche der alten errichten. Meine Politik kommt eher aus der extremen Ökonomie des freien Marktes, wie sie von der UCLA propagiert wird. Frieden und Gewaltlosigkeit. Ich bin für die friedliche Koexistenz und dafür, sich nicht in die Angelegenheiten anderer einzumischen. Es ist wie mit Hunden. Wenn du ihnen eine längere Leine gibst, werden sie ihr Verhalten anpassen, und genauso kommt die Gesellschaft besser zurecht, wenn man sich nicht einmischt. Ich könnte anfangen zu randalieren, aber die Gefahr in den Knast zu kommen ist es nicht, die mich von irgendwas abhält. Es interessiert mich ganz einfach nicht.

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Also sagst du, dass der Mensch von Natur aus nicht böse oder gewalttätig ist?

Die Welt ist nicht perfekt. Das wird sie nie sein und ich selbst bin es auch nicht. Wenn ich mir sicher wäre, dass ich eine utopische Welt schaffen könnte, würde ich wahrscheinlich hier damit anfangen [zeigt auf seine Bilder]. Und bis jetzt ist mir das offensichtlich noch nicht einmal annähernd gelungen. Bei Black Flag war es ihr Tanzstil und ihr Aussehen, die Lautstärke und die primitiven Schwüre und die Härte ihrer Musik. Gewalt kam dabei nicht so sehr vor. Das kam erst später, von den Medien, nach den entsetzten Reaktionen der Väter und Mütter—als ihre Kinder mit pink gefärbte

n Haaren nach Hause kamen usw. Diese Dinge sind für diese Kids sehr wichtig. Sie spielen oft mit dem Überschreiten von Grenzen und rebellieren gegen die Autoritäten oder ihre Eltern oder Lehrer. Wenn man es ignoriert oder dem mit freundlichem Desinteresse oder Distanz begegnet, finden sie irgendeinen Weg, da wieder rauszukommen. Also wurde es nur deshalb gewalttätig, weil die Polizei immer brutaler wurde. Wenn du eine Gruppe von Leuten zum Sündenbock machst, wirst du irgendeine Reaktion auslösen. Es war ein so unfaires Kräfteverhältnis, dass man sich nur noch ducken und gegen die Schläge verteidigen konnte. Ich bin nicht komplett gegen Gewalt. Ich denke, dass es den Leuten zustehen muss, sich zu verteidigen, aber selbst dann sollte man zweimal nachdenken, bevor man körperlich zurückschlägt. Man sollte den Medien nicht das liefern, was sie wollen. Sie sind in der Regel diejenigen, die das Ganze zum Eskalieren bringen, und die Soldaten und die Bullen müssen es nachher ausbaden. Eigentlich geht es darum, sich nicht provozieren zu lassen, keinen Ständer zu kriegen.

Du redest von Impotenz? 

Wenn Symbole in dem Sinne impotent sind, dass sie keine echte Macht haben und rein symbolisch mit Rebellion usw. spielen, sind es nur leere Logos. Und sogar, wenn ein Symbol echte Macht verkörpert, ist es dennoch nur eine Art Ansteckzeichen der jugendlichen Revolte gegen Baseballshirts und Bügelhemden und graue Anzüge. Es ist irgendwie cool, der Gucci meiner Art von Arbeiten zu sein. Ich meine damit die Art, wie Gucci und diese ganzen anderen Modemarken billig nachgemacht werden und wie Comics oder Flyer reproduziert werden können. Ich bekomme ja keinerlei Prozente von diesen Sachen. Ich habe von SST nie einen Cent bekommen und an den Tattoos verdiene ich natürlich auch nichts. Die Tattoos sind die Stelle, wo es zu einem echten Markenzeichen wird, weil es die Leute dann permanent am Körper tragen.

Hast du irgendwelche Tattoos?

Ich habe ein riesiges Hakenkreuz auf dem Rücken. Ich habe drei Jahre im Pelican Bay eingesessen. Mein Zellennachbar machte Tattoos und ich zeigte ihm ein Bild von meiner Freundin. Ich dachte, er würde sie als so eine Art engelsgleicher Maria mit geöffneten Schenkeln machen, aber du musst dich schon glücklich schätzen, wenn jemand es schafft, eine Tätowiernadel da reinzuschmuggeln, also machte er, worauf er Bock hatte.

Du warst im Pelican Bay? 

Wegen Urheberrechtsverletzung. Als ich das Tattoo schließlich irgendwann in dem Gesichtsschutz eines der Wärter dort sah—als Reflektion—war ich tierisch sauer auf meinen Zellennachbarn. Aber inzwischen bin ich fast froh, dass ich ein Hakenkreuz habe, egal wie widerwärtig alles, das mit Hitler oder den Nazis zu tun hat, ist. Es ist eine Tatsache, dass ich mein Geld damit verdiene, Symbole und Repräsentationen und Dinge auf dem Papier zu schaffen. Ideen und Zeichnungen und Illustrationen haben Konsequenzen. So sehr ich das Tattoo hasse und so sehr meine damalige Freundin das Tattoo dann ebenfalls hasste—am Ende stellte sie sich selbst als ein fleischgewordener Hitler heraus, also bin ich froh, dass ich sie nicht auf meinem Rücken habe.