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Dieser Professor ist der Meinung, dass wir ohne Zeitzonen besser dran wären

Wir haben uns mit Steve Hanke darüber unterhalten, inwiefern wir von der weltweiten Einführung der koordinierten Weltzeit profitieren würden und was Swatch damals alles falsch gemacht hat.
Wenn es nach Steve Hanke gehen würde, dann wäre das hier schon bald Vergangenheit | Foto: Jarmoluk | Pixabay | Public Domain

Wenn es nach Steve Hanke gehen würde, dann wäre das hier schon bald Vergangenheit | Foto: Jarmoluk | Pixabay | Public Domain

Beschwerden darüber, dass ein Kilometer zu lang oder ein Dezibel zu laut ist, kommen eher selten vor. Deshalb kann man sich auch nur schwer vorstellen, dass unser Konzept der Zeit aufhören kann zu funktionieren. Die Zeit ist halt einfach da und trotz aller kultureller Unterschiede findet man in jedem Land die gleiche 24-Stunden-Uhr. Wer sollte dieses System also überhaupt in Frage stellen?

Nun, sogar ziemlich viele Menschen. So befindet sich Spanien zum Beispiel in der gleichen Zeitzone wie die osteuropäischen Länder Polen und Ungarn—und das, obwohl das Land auf den gleichen Längengraden wie Marokko, Portugal oder Großbritannien liegt. Die Folge: Spanier schlafen im Durchschnitt 53 Minuten länger als andere Europäer und sehen nicht so viel Tageslicht. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Nuria Chinchilla meinte gegenüber dem Radiosender NPR, dass die derzeitige Zeitzone Spaniens das Leben der dort lebenden Menschen sogar richtig zerstören würde: „Fürs Privat- und Familienleben bleibt keine Zeit. Deshalb gibts es hier in Spanien auch so viele Selbstmorde und Frauen haben im Durchschnitt nur 1,3 Kinder. Und das alles nur wegen der nicht vorhandenen Zeit."

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Spaniens Zeitzone ist für manche Leute doppelt schlimm, wenn man bedenkt, wie es zu der Einführung kam: 1942 passte General Franco die Zeitzone des Landes an Nazi-Deutschland an, um seine Treue zu Hitler zu beweisen. Politische Loyalität wird überraschend häufig als Grund für eine Änderung der Zeitzone angegeben. So sprangen zum Beispiel die Uhren auf der Halbinsel Krim nach der russischen Besetzung im Jahr 2014 eine Stunde nach vorne, um im Takt mit Russland zu laufen. Eine solche Umstellung kann sich aber auch auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten auswirken. Ein Beispiel für einen solchen Fall wäre der Sprung von Amerikanisch-Samoa über die westliche Datumsgrenze, um besser mit den beiden nächstgelegenen Handelspartnern Australien und Neuseeland zusammenarbeiten zu können.

Gelegentliche Vorstöße zur Lösung von nationalen Problemen wie etwa dem nächtlichen Leben in Spanien oder den Arbeitszeiten indischer Teepflücker gewinnen immer mal wieder an Fahrt. Nicht jeder Versuch, die Zeitzone zu ändern, ist jedoch von Erfolg gekrönt. 2010 unterstütze UK-Premierminister David Cameron zum Beispiel einen Antrag, die Zeit im Vereinigten Königreich um eine Stunde nach vorne zu verschieben, aber dieser Vorschlag wurde so lange hinausgezögert und verspottet, bis man ihn irgendwann wieder zurücknahm.

Aber gibt es überhaupt eine allgemeine Lösung für die zeitlichen Probleme unserer Welt? Genau hier kommen Steve Hanke und Richard Conn Henry in Spiel. Dabei handelt es sich um zwei Professoren der Johns Hopkins University in Baltimore, die den Hanke-Henry Permanent Calendar mit 364 Tagen sowie einer Extrawoche alle fünf oder sechs Jahre entwickelt haben. Die Idee dabei ist, den Kalender immerwährend zu gestalten, so dass jedes Datum immer auf den gleichen Tag fällt und man es sich so besser merken kann. Gleichzeitig soll auf der ganzen Welt die koordinierte Weltzeit (UTC) eingeführt werden, wodurch jede Uhr auf diesem Planeten die exakt gleiche Zeit anzeigen würde.

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Das alles klingt jetzt vielleicht wie ein utopisches Szenario im Kopf eines Mathematikers, aber die beiden Professoren meinen es wirklich ernst, wenn sie darüber reden, dass jede Regierung dieser Welt einen Änderung des vorherrschenden Zeitsystems durchführen sollte. Dazu wollen sie ihren Kalender und die koordinierte Weltzeit mithilfe von viralen Kampagnen in allen sozialen Netzwerken bekannt machen. Das haben wir zum Anlass genommen, um uns mit Professor Hanke genauer über diese Pläne zu unterhalten.

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VICE: Wie willkürlich sind die derzeitigen Zeitzonen eigentlich?
Steve Hanke: 1870 gab es in den USA 75 unterschiedliche Eisenbahnzeiten. Der Koordinierung von Terminen und Aufträgen war dementsprechend natürlich ein einziges Chaos. 1883 wurden dann quasi auf Anweisung der Schienenunternehmen einheitliche Eisenbahnzeiten eingeführt und so kamen die noch heute existenten vier Zeitzonen der USA zustande. Ähnliches ist auch in Deutschland passiert: Bis zum Jahr 1891 gab es dort fünf große Zeitzonen, aber dann hielt der preußische Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke seine letzte große Rede vor dem Parlament. Darin beschrieb er, dass der einzige Grund für seinen Gewinn zweier Kriege der Einsatz eines einheitlichen Zeitsystems bei der Logistik des Truppennachschubs gewesen sei. Anfang der 1970er Jahre stellten dann alle Piloten und Flughäfen aus Sicherheitsgründen auf die Weltzeit um. Heutzutage befinden wir uns jedoch wieder in einer neuen Ära, in der Kommunikationswege durch das Internet immer weiter verkürzt werden. Die Weltzeit kommt deswegen auch immer häufiger zum Tragen und wir kriegen das nicht mal wirklich mit.

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Wenn man wegen des Internets ein neues Zeitsystem einführt, dann denkt man dabei aber doch nicht wirklich an Sicherheit, oder?
Nein, dem würde kein Sicherheits-, sondern eher ein Koordinationsproblem zugrunde liegen. Die Weltzeit wird dazu an immer mehr Orten aus ganz praktischen Gründen eingeführt. Als die Eisenbahnunternehmen und Piloten damals neue Zeitzonen forderten, haben sie ja auch niemanden gefragt. Das Ganze war für sie einfach eine Notwendigkeit.

Wo liegt der Fehler bei den derzeitigen Zeitzonen?
Es ist zum Beispiel schwierig, eine internationale Telefonkonferenz zu organisieren. Durch diese logistischen Hürden wird wirtschaftlich gesehen viel Zeit und Geld verschwendet.

Das klingt jetzt aber schon wie ziemliches Luxusproblem.
Meiner Meinung nach erleichtert die koordinierte Weltzeit den Handel sowie geschäftliche Aktivitäten. Dabei ist jede Maßnahme, die solch positive Folgen hat, eine gute Sache, weil es so letztendlich auch mehr Frieden und Wohlstand gibt. Trotzdem hat es auch schon immer heftige Diskussionen darüber gegeben, wo die Zeit überhaupt festgelegt wird—Paris gefiel es damals zum Beispiel gar nicht, dass Greenwich die mittlere Zeit zugesprochen wurde, und auch diverse ehemalige Kolonien wollten ihre Zeitzone nicht ändern.

Die aktuellen Zeitzonen | Illustration: Wikimedia Commons | CC BY-SA 4.0

Manche Leute sagen, dass die koordinierte Weltzeit den Leuten aus der technologischen Industrie weiterhilft, Bauern und normalen Arbeitern jedoch nicht.
Hier muss man zwei Aspekte bedenken. Zum einen besteht unser Hauptziel darin, dass überhaupt über die Zeit diskutiert wird, weil sich die Leute so mit Sicherheit Gedanken darüber machen, ob wir derzeit das richtige System haben oder nicht. Zum anderen brauchen wir letztendlich zwei Systeme: Die UTC für alle Menschen als Grundlage und dazu dann noch eine Arbeitszeit. Wenn die Sonne am höchsten steht, macht man Mittagspause. Dieser Zeitpunkt ist auf der ganzen Welt natürlich nicht einheitlich.

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Wie einfach würde sich die weltweite Einführung der UTC gestalten?
Wenn man sich erstmal damit auseinandersetzt, dann ist das ganze System recht schnell zu begreifen. Bei einer Einführung der koordinierten Weltzeit könnte man auch die Arbeitszonenzeit etwas bereinigen. Vielleicht gäbe es auf der ganzen Welt dann 24 Arbeitszonenzeiten. Der Übergang wäre tatsächlich relativ einfach—ich meine, viele Länder haben damals ja auch das metrische System eingeführt und das ist eine viel größere Umstellung als ein Wechsel zur UTC.

Es hat jedoch den Anschein, als würden wir jetzt viel mehr an unserem Zeitsystem festhängen als damals an den Maßeinheiten.
Nehmen wir mal an, dass das der Wahrheit entspricht. Ich würde dann dennoch behaupten, dass der Übergang leichter wäre—gerade eben weil sich so viele Leute mit dem Thema Zeit beschäftigen.

Wenn die Leute erstmal über unser Zeitsystem diskutieren, gibt es doch aber bestimmt noch andere Probleme?
Ich empfinde die zu überwindenden Hürden als nicht wirklich hoch. Da ich ein klassischer Wirtschaftsliberaler bin, der den freien Handel befürwortet, finde ich es gut, wenn Dinge und Systeme spontan sowie freiwillig angenommen und eingeführt werden. Wenn mir etwas logisch erscheint, dann hat das Ganze für mich auch viele Vorteile. Schon bald werden wir über dieses Thema reden und du wirst mich fragen: „Wie hast du das geschafft? Musstest du dafür nach Washington gehen oder vor die Vereinten Nationen treten?"

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Es gab schon mal einen Versuch, ein einheitliches Zeitsystem einzuführen: 1998 stellte der Uhrenhersteller Swatch die Internetzeit vor, bei der ein Tag in 1000 sogenannte „Beats" eingeteilt wurde. Zu diesem Zeitpunkt verkaufte Swatch-Uhren zeigten immer zwei Zeiten an, nämlich zum einen die „normale" Zeit und zum anderen einen Zähler, der jeden Tag bis 1000 ging. 2001 wurde dieses System jedoch wieder abgeschafft. Warum wird sich die koordinierte Weltzeit deiner Meinung nach besser bewähren?
Meiner Meinung nach hat Swatch das ganze Konzept nicht gut vermarktet. Es wurde jedoch eine Diskussion über unser Zeitsystem in Gang gebracht. Bei der UTC werden viele Unternehmen auf den Zug aufspringen, wenn sie sehen, dass die Leute zur koordinierten Weltzeit übergehen. Außerdem werden Uhrenhersteller mit 24-Stunden-Ziffernblättern ein Vermögen machen.

Sind sich große Unternehmen wie etwa Apple oder Google überhaupt bewusst, dass ihnen die koordinierte Weltzeit viele Vorteile bringt?
Das weiß ich nicht, weil ich mit diesen Firmen noch nicht geredet habe. Vielleicht sollte ich das tatsächlich mal machen. Wenn aber allgemein sowieso mehr über unser Zeitsystem diskutiert wird, dann werden die dort arbeitenden schlauen Köpfe wohl eher mich anrufen!

Wahrscheinlich sollte man solche einflussreichen Firmen tatsächlich mit ins Boot holen, denn irgendwie erscheint es mir nicht so, als ob ein Staatsoberhaupt einen solchen Wechsel durchbringen könnte.
Es gibt jedoch auch immer irgendwelche Regierungschefs, die gerne große und Aufsehen erregende Taten vollbringen. Wenn also einer dieser Regierungschefs Wind von der Sache bekommt, dann könnte auch eine Einführung der koordinierten Weltzeit drin sein. Ich glaube, dass China, Indien oder Russland dazu in der Lage wären.

Wie steht es um den kulturellen Status der Zeit? Kanye West hat zum Beispiel mal bei Twitter geschrieben, dass er nicht mit Leuten zusammenarbeiten wird, die er nicht auch um drei Uhr nachts anrufen kann. Solche Aussagen haben nach Einführung der UTC keinen Wert mehr.
Viele Leute beäugen die koordinierte Weltzeit erstmal skeptisch, weil sie nicht in der Nacht arbeiten oder am Tag schlafen wollen. Aber wer will das schon? Das hat außerdem gar nichts mit der UTC zu tun, denn selbst nach deren Einführung muss man immer noch schauen, ob der jeweilige Kommunikationspartner gerade schläft oder nicht.

In deiner perfekten Welt existieren die koordinierte Weltzeit und die Sonnenzeit also nebeneinander?
Ja, das ist ja auch ganz natürlich. Von einem astronomischen Standpunkt aus betrachtet herrscht überall auf der ganzen Welt gerade sowieso die gleiche Zeit.