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Rechtspopulismus

Der Fall dieses Uni-Professors zeigt, wie sich Menschen auf Twitter radikalisieren

Der Berliner Medientheoretiker Norbert Bolz änderte seine politische Meinung in 1.200 Tweets um 180 Grad. Warum?
Norbert Bolz | Foto: imago | Müller-Stauffenberg

Es ist kein allzu neues Phänomen, dass manche Menschen im fortgeschrittenen Alter konservativer werden. Die eigene Kraft lässt nach und mit ihr das Verständnis für alle, die kraftvoll für Veränderungen einstehen. Der Fall von Norbert Bolz aber ist ein besonderer, denn hier hat sich jemand in herausgehobener gesellschaftlicher Position über Twitter radikalisiert.

Bolz ist 64 und Professor an der TU Berlin. Als Medientheoretiker und Philosoph ist er in seinem Feld eine Größe. Er hält Vorträge, veröffentlicht Aufsätze, viele Studierende geisteswissenschaftlicher Fächer lesen seine Texte. Über die vergangenen drei Jahre aber hat sich Bolz von einem liberalen Vordenker zu jemandem entwickelt, der nicht nur konservativer wird, sondern Rechtspopulisten, AfD und Pegida nahesteht. Seine Radikalisierung lässt sich komplett auf Twitter verfolgen, in etwa 1.200 Tweets.

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Zwei Autoren haben den Account von Bolz eingehend untersucht. Jörg Scheller, selbst Dozent für Kunsttheorie in Zürich, und der freie Autor Wolfgang Ullrich beschreiben in ihrem Text für die Online-Ausgabe der Zeitschrift Pop , wie Zustimmung von rechts Bolz "anspornt, noch polemischer zu formulieren und sich die Reiz- und Kampfvokabeln der rechten Szenen zu eigen zu machen". Dabei outen sich die Autoren als ehemalige Fans von Bolz, die diesen als "freien und gewitzten Denker" geschätzt hätten.

Bolz gehört zu den Twitter-Pionieren unter Uni-Dozenten, früher haben seine Beiträge aber nicht allzu viele Menschen interessiert oder gelikt. Es gibt Tweets von Bolz, in denen er Angela Merkel als "Glücksfall" bezeichnet. Außerdem schrieb er Dinge wie:

Die beiden Analysten seines Accounts stellen heraus, dass Bolz selbst kaum jemandem folgt und Twitter damit "wie ein altes Medium" nutzt, also selbst sendet, und alle anderen zu Empfängern degradiert. Auch seine derzeit knapp 5.700 Follower.

Im Januar 2015, also dem Monat, im dem Islamisten ein Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris verübten, schreibt Bolz:

Erreicht er damit noch 24 Gefällt-mir-Angaben, sind es einige Stufen der Radikalisierung später bis zu 650. "So sieht also die Twitter-Karriere von jemandem aus, der seine liberal-konservative Haltung einem Verfolgungswahn opfert", schreiben die Autoren dazu. Bolz liefert immer extreme Thesen, die aus den Positionen Rechtsradikaler bekannt sind. Der Multikulturalismus wird von ihm beispielsweise als eine Art Waffe gegen die Deutschen dargestellt.

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Hier liegt auch schon der Kern der Analyse von Scheller und Ullrich. Bolz gehe es schlichtweg um Beifall. Mit jedem radikaleren Tweet bekomme Bolz mehr Zuspruch, eine Spirale setzt sich in Gang, die scheinbar nicht mehr aufzuhalten ist. Der Professor wird demnach vom Zuspruch seiner Leser motiviert, immer extremere Ansichten zu vertreten. Natürlich widersprechen einige auch, was aber ebenfalls als Motivationshilfe taugen könnte. "Vielleicht motiviert ihn der Widerstand, den er erfährt, genauso wie der Beifall. Beides zusammen sorgt für den Eindruck, etwas Wichtiges, Umstrittenes, gar Existenzielles zu tun", heißt es in der Analyse.

Die beiden Autoren führen aus, wie sehr Bolz mit seinen Beiträgen immer häufiger sein eigenes Niveau unterbietet. Er giere nach Popularität und Anerkennung und bringt zunehmend allzu einfache Botschaften in seinen Tweets unter: Aufrechte Rechtskonservative wie er sind die letzte Bastion gegen weltfremde Gutmenschen, die Deutschland zu ruinieren drohen.

Wie weit er zunehmend abdriftet, zeigen seine verschwörungstheoretischen Beiträge ab dem Jahr 2015. Nicht vergessen: Der Mann ist ein gut verdienender Beamter. Er ist angestellt beim Staat, um junge Menschen zu unterrichten.

Irgendwann konnte er wohl nicht mehr anders, als immer weiter nach rechts abzudriften. Eine Erklärung dafür liefert Bolz in einem seiner Tweets, er stammt aus dem Juni 2015. Da schreibt er: Wenn man viele Anhänger hat, kann man seine Meinung nicht mehr ändern. Natürlich wissen auch die beiden Autoren der Analyse nicht mit Sicherheit, was Norbert Bolz dazu bewogen hat, seine politischen Ansichten zu ändern.

Und seine endgültige Abrechnung mit Deutschland verfasst er zu Beginn dieses Monats:

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