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Terrorismus

Weil er dieses Foto gepostet hat, durchsuchte die Polizei die Wohnung dieses Münchners

"Die bayerische Polizei macht sich zum Handlanger von Erdoğans Diktatur", sagt Kerem Schamberger.
Montage: VICE (Foto Kerem Schamberger: Privat; Screenshot: Facebook)

Als er am Montagmorgen um sechs Uhr von seiner Klingel aus dem Schlaf gerissen wurde, wusste Kerem Schamberger sofort, was los war: "Mir war klar, dass es die Polizei ist", sagt der 31-jährige Doktorand an der Ludwig-Maximilians-Universität und Aktivist. "Niemand sonst klingelt um sechs Uhr früh so Sturm."

Als er erfuhr, warum fünf bewaffnete Polizisten in seine Wohnung wollten, sei er trotzdem überrascht gewesen: weil er insgesamt vier Fotos auf Facebook gepostet hatte, auf denen Symbole der kurdischen Milizen YPG und YPJ zu sehen waren – also der "Volksverteidigungseinheiten" im Norden Syriens, die schon seit Jahren erfolgreich gegen Terrororganisationen wie den Islamischen Staat kämpfen. Das von der YPG angeführte Militärbündnis "Demokratische Kräfte Syriens" hat zum Beispiel Ende Oktober die Stadt Raqqa erobert – die ehemalige Hauptstadt des IS.

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Weil die kurdischen Milizen so viel Erfolg im Kampf gegen den Terror haben, haben sie auch in Deutschland viele begeisterte Unterstützer, die in den sozialen Medien tausendfach ihre Bilder und Symbole posten und teilen. Ihr bekanntester Unterstützer im deutschen Facebook ist der ehemalige FDP-Politiker Tobias Huch, der auch Videos postet, in denen die Symbole der Milizen zu sehen sind. Wenn er in München leben würde, müsste Huch wohl ebenfalls mit Strafverfolgung rechnen.


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Denn seit März fallen die Symbole der YPG und der YPJ in Deutschland auch offiziell unter das PKK-Verbot. Das geht aus einem Rundschreiben des Innenministeriums hervor. Richtig klar ist die Rechtslage aber immer noch nicht: Im August entschied zum Beispiel das Frankfurter Verwaltungsgericht, dass das Zeigen der Symbole von YPG, YPJ und der PYD (der "Partei der Demokratischen Union", der kurdischen Partei in Syrien) auf einer Demonstration nicht verboten werden dürfe. Das Gericht argumentierte, dass es immer auf den Kontext ankomme, ob die Symbole die verbotene PKK verherrlichen oder nicht. Weil die YPG in Deutschland vor allem wegen ihres Kampfes gegen den IS und nicht wegen ihrer Nähe zur PKK bekannt sei, sei es auch keine "unmittelbare Gefahr”, deren Flaggen auf einer Demonstration zu verwenden.

So nuanciert sieht man das in München offenbar nicht: "Das ist eine bayerische Spezialität, besonders hart durchzugreifen", sagt Schamberger. Er sagt, er habe Informationen, laut denen die Münchner Staatsanwaltschaft wegen YPG-Symbolen aktuell gegen 190 Personen ermittelt. Die Staatsanwaltschaft selbst will auf Anfrage von VICE keine Angaben dazu machen.

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"Interessant ist, wen sie sich raussuchen", sagt Kerem Schamberger. "Diese YPG-Fotos werden ja von Tausenden Menschen geteilt. Aber durchsucht werden immer nur besonders aktive Leute wie ich." Schamberger postet nicht nur regelmäßig zum Kampf der Kurden in Nordsyrien, er betreibt auch einen Blog zum Thema. Er glaubt, die Verfolgung sei vor allem politisch motiviert – die deutsche Regierung wolle dem Bündnispartner Türkei signalisieren, dass sie deren Sichtweise der kurdischen Milizen teile. Denn für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist die YPG nichts anderes als der bewaffnete Arm der PKK in Nordsyrien.

"Es ist auffällig, dass die Verfolgung von Öcalan- und YPG-Fahnen zugenommen hat, nachdem die Türkei Kritik daran geäußert hat", sagt Schamberger. "Die bayerische Justiz und die Polizei machen sich zum Handlanger von Erdoğans Diktatur in der Türkei. Das ist der eigentlich Skandal."

Tatsächlich hat die deutsche Regierung eine ziemlich verworrene Haltung zu den kurdischen Milizen in Syrien. Offiziell hat die deutsche Regierung die YPG nie zu einer Terrororganisation erklärt. Und in Syrien kooperiert die Bundeswehr indirekt mit YPG und YPJ. Da die Milizen sich schon lange als die effektivsten Bodentruppen im Kampf gegen den islamistischen Terror in Syrien bewährt haben, arbeitet die von den USA angeführte Anti-IS-Koalition eng mit ihnen zusammen. Auch Deutschland beteiligt sich mit Aufklärungs-Tornados an dieser Koalition. "Wenn die YPG einen Luftschlag gegen den IS anfordert, werden auch die deutschen Aufnahmen verwendet," sagt Schamberger.

Das Verbot der Symbole der syrisch-kurdischen Milizen im März ist also möglicherweise selbst Symbolpolitik: Die deutsche Regierung will der Türkei signalisieren, dass sie ihre Sichtweise ernst nimmt – auch wenn das fast niemand sonst auf der Welt tut. Diese Symbolpolitik könnte jetzt allerdings dazu geführt haben, dass die Münchner Staatsanwaltschaft Leute wie Schamberger von bewaffneten Polizisten wecken lässt.

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