Wir haben Demonstranten beim Al-Quds-Tag gefragt, warum sie Israel hassen
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Antisemitismus

Wir haben Demonstranten beim Al-Quds-Tag gefragt, warum sie Israel hassen

"Der IS kriegt Geld von denen und wird von denen unterstützt. Er wurde von Juden gegründet."
Jan Karon
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"Wir protestieren heute gegen den Zionismus", raunt Jürgen Grassmann ins Mikrofon. Es ist 32 Grad heiß und der Veranstalter des Al-Quds-Tags hat Schweißperlen auf der Stirn. Grassmann leitet die Quds-AG, ist konvertierter Moslem und trägt heute eine Kufiya um den Hals, sein Brusthaar lugt aus dem offenen Hemd. Dann sagt er, gegen was sich seine Demo noch so richtet: das israelische "Besatzungsregime", den "Apartheidsstaat", die Massenmedien, das politische Establishment und die kapitalistische Wirtschaftsordnung.

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Der Al-Quds-Tag geht zurück auf den iranischen Revolutionsführer, Ajatollah Chomeini, der 1979 Muslime aufforderte, sich mit dem palästinensischen Volk zu solidarisieren. Außerhalb des Irans und des Nahen Ostens findet die Demonstration seit 22 Jahren auch in Berlin statt. Seitdem versammeln sich an diesem Tag Israelkritiker, aber auch Antisemiten verschiedenster Couleur: krude Verschwörungstheoretiker, die an eine jüdische Weltverschwörung glauben; antikapitalistische Linke, die in Israel die Ausgeburt des ausbeutenden Imperialismus sehen; oder Menschen, die mit Hamas, Fatah und PLO sympathisieren. Darunter nicht Wenige, die Israel gleich ganz das Existenzrecht absprechen.

Dieses Jahr sind 1.600 Menschen an den Berliner Kurfürstendamm gekommen, doppelt so viele wie im letzten Jahr, teils sind sie aus Delmenhorst, Essen oder Frankfurt angereist. Sie schwenken Iran- und Palästinaflaggen, haben Transparente gebastelt, auf denen steht "700 palästinensische Kinder sperrt Israel ins Gefängnis jedes Jahr" oder "Gegen das rassistische Israel". Obwohl das Existenzrecht Israels oft als Teil der "deutschen Staatsräson" beschworen wird und Happenings wie #berlintraegtkippa für Aufsehen sorgen, zählt die Gegendemonstration nur wenige Hundert Teilnehmer.

Der Al-Quds-Tag steht in diesem Jahr unter dem Motto "Nie wieder", und wie Veranstalter Grassmann gleich zu Beginn erklärt, versteckt sich dahinter eine besonders absurde Holocaust-Relativierung: Weil sich ein Verbrechen wie der Holocaust nicht wiederholen dürfe, müsse Israel bekämpft und Palästina befreit werden. Drei Rabbiner der ultraorthodoxen Splittergruppe Neturei Karta sind extra aus Großbritannien eingeflogen. Die Veranstalter setzen die Rabbis, die Israel aus religiösen Gründen das Existenzrecht absprechen, öffentlichkeitswirksam in Szene: Sie führen den Marsch Seite an Seite mit schiitischen Gelehrten an und posieren für Selfies.

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Die erste Reihe des Al-Quds-Marsches: schiitische Gelehrte neben ultraorthodoxen Juden von Neturei Karta

Die Demonstranten rufen "Moslem, Juden, Christen, Hand in Hand gegen Zionisten", später auch "Kindermörder Israel". Auf dem Demonstrationsfahrzeug prangt in großen Lettern: "Nichts ist antisemitischer als der Zionismus". Immer wieder pöbeln einzelne Teilnehmer Gegendemonstranten an, ballen Fäuste und zeigen Mittelfinger. Nachdem ein Demonstrant Steine in Richtung der Gegner schmeißt, führen Polizisten ihn ab.

Wir haben Teilnehmer der Al-Quds-Demo gefragt, warum sie Israel hassen.

Ali, Mohammed, Saddam und Fatima

"Warum greift der IS nicht Israel an?", fragt Ali (links)

VICE: Warum hasst ihr Israel?
Ali: Vor 70 Jahren hat der Westen denen ein Land gegeben. Und was haben die gemacht? Die haben die Palästinenser aus dem eigenen Land vertrieben. Israel existiert eigentlich gar nicht.

Wie meinst du das?
Ali: Stell dir vor, du wohnst in einem Haus, und jemand würde einfach in deine Wohnung kommen, dann wäre der ja nicht der Bewohner. Was würdest du mit dem machen?

Ich glaube, das kann man nicht so einfach vergleichen. Und in der Gegend hat es doch schon immer Juden gegeben, auch vor den Zionisten.
Mohammed: Wir haben ja eigentlich kein Problem mit dem Judentum. In Syrien, im Libanon und im Iran leben Muslime und Christen und Juden seit Jahren zusammen. Deswegen sind wir gegen Zionisten, nicht gegen Juden. Das ist wie beim IS: Nicht alle Muslime sind so, nur weil es eine Terrororganisation gibt.

Warum seid ihr gegen Zionisten?
Ali: Die Zionisten, das ist die Armee und vielleicht auch die Politik. Aber nicht nur das, sie kontrollieren auch Wirtschaft und Medien. Mal eine andere Frage: Warum greift der IS nicht Israel an? Die Golanhöhen trennen beide Länder und werden militärisch überwacht. Und der IS hat genug zu tun im Irak und in Syrien.
Mohammed: Die kriegen Geld von denen und werden von denen unterstützt. Die wurden von Juden gegründet.

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Christoph Hörstel, Parteivorsitzender "Neue Mitte"

In verschiedenen Medien wurde Hörstel wiederholt vorgeworfen, Verschwörungstheorien zu verbreiten. Mit seiner Partei "Neue Mitte" beteiligte er sich am Al-Quds-Tag

Warum sind Sie heute hier?
Ich demonstriere gegen die Unterdrückung des palästinensischen Volkes. Der Staat Israel ist durch den UN-Teilungsbeschluss entstanden, obwohl die UN das gar nicht durfte. Im Prinzip begann danach, was sämtliche Abstimmungsberechtigten wussten: dass die Zionisten begannen, Palästinenser zu massakrieren oder zu vertreiben. Am Ende waren es 800.000.

Wie kommen Sie darauf, dass das von vornherein geplant war?
Daran gibt es absolut keinen Zweifel, und das ist übrigens auch die Meinung der Literatur.

Von wem denn?
Die gesamte Fachliteratur weiß das. Namen kann ich ihnen jetzt nicht sagen, ich bin nicht im Thema.

Die Gewalt geht aber nicht nur von Israel aus, sondern ja auch oft von Palästinensern, etwa wenn sie Terrorattacken verüben, Siedler massakrieren oder Israel mit Raketen beschießen.
Wir sprechen von fünf zu 95 Prozent. Deswegen fällt unser Urteil eindeutig aus: Wer heute in Israel politische Verantwortung trägt, gehört in den Knast.

Und wie sieht die Lösung für den Konflikt aus, wenn die Politiker in den Knast kommen?
Alle Palästinenser kriegen zunächst das Rückkehrrecht. Danach gibt es eine Abstimmung, bei der jeder Mensch einmal abstimmen darf. Dann bestimmt die vermutliche Mehrheit der Palästinenser wo lang es geht, was gleichzeitig das Ende des Staates Israel bedeuten wird. Und jetzt erst wird es interessant: Wer schützt die Juden? Die Hamas hat es mir zugesagt und mit der Hisbollah spreche ich aktuell – aber ich glaube, sie werden das jüdische Volk schützen.

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[Anm. d. Red.: Anführer von Hisbollah und Hamas rufen immer wieder zur Vernichtung Israels auf. Der Gaza-Chef der Hamas, Jihia al-Sinwar, sagte im Oktober 2017: "Es geht nicht darum, ob wir Israel anerkennen oder nicht, sondern um die Frage, wann wir es auslöschen und seine Existenz beenden." Der Anführer der Hisbollah, Hassan Nasrallah, hat Israel in der Vergangenheit als "Bakterie" bezeichnet, für die es "keine andere Wahl als den Tod” gebe. Erst vor wenigen Tagen sagte er: "Der Tag des großen Kriegs wird kommen."]

Hadi

Hadi ist extra aus Delmenhorst angereist. Benjamin Netanjahu hetzt ihm zufolge "Menschen aufeinander" und will "einen großen Krieg" führen

VICE: Was wäre denn für dich gerecht im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt?
Hadi: Dass die Besatzung aufhört, der Siedlungsbau gestoppt wird und Palästinenser wieder ein Recht auf Leben kriegen. Gerade ist es ein Freiluftgefängnis.

Aber dass es Palästina so schlecht geht, liegt doch auch daran, dass sich die politischen Eliten dort auf Kosten der Bevölkerung bereichern und Terrortunnel statt Schulen bauen.
Mit der Zeit hat sich das so entwickelt. Zweifellos sind da auch Konflikte entstanden. Um da aber den Kern zu bearbeiten, muss man zum Ursprung gehen und das ist einfach der Zionismus.

Was wirfst du denn der israelischen Regierung um Benjamin Netanjahu vor?
In meinen Augen ist das Lügenpolitik. Er hetzt Menschen aufeinander und will einen großen Krieg führen.

Was meinst du mit "Lügenpolitik"?
Er behauptet zum Beispiel, dass der Revolutionsführer im Iran, Ajatollah Khamenei, in seiner letzten Rede behauptet hätte, dass er sechs Millionen Juden töten möchte. Das ist eine Lüge.

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Khamenei hat erst vor einer Woche getwittert, dass Israel ein "bösartiges Krebsgeschwür" sei, das "entfernt und ausradiert" werden müsse.
Dass bedeutet ja nicht, dass die Juden ermordet werden sollen.

Usama Zimmermann

Usama Zimmermann demonstriert regelmäßig in Berlin gegen Zionismus. Er sagt, dass der IS-Anführer al-Baghdadi Jude sei

VICE: Was verstehen Sie unter Zionismus?
Das ist eine jüdische Weltorganisation. Es gibt aber auch atheistische, christliche und muslimische Zionisten. Sie arbeiten heimlich alle zusammen und konstruieren die Geschichte. Nazi steht etwa für nationalzionistisch. Die Medien betreiben Gehirnwäsche. Seit dem 11. September gibt es ein neues Feindbild, dabei ist der IS-Anführer al-Baghdadi selbst Jude, der eigentlich Schuhmann Aylod heißt.

[Anm. d. Red.: Der IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi stammt aus einer irakischen Bauernfamilie und hat lange Zeit in Bagdad gelebt. 2014 bezeichnete er Juden in einem Interview mit der taz als "Feinde", die Unschuldige ermorden.]

Wir werden also von dunklen, zionistischen Mächten beherrscht?
Richtig. Wenn Sie die Protokolle der Weisen von Zion lesen, werden Sie sehen: Die regieren die Welt seit der französischen Revolution. Diese Zionisten sind Verräter und Lügner.

[Anm. d. Red.: Die Protokolle der Weisen von Zion sind ein aus mehreren fiktionalen Texten und Fälschungen zusammengestelltes politisches Pamphlet. Es wird seit Jahren für Verschwörungstheorien genutzt. Kürzlich bezeichnete es die Zeit als "die mächtigste aller Lügen".]

Und was ist mit den sechs Millionen Juden, die während des Holocausts ermordet wurden?
Die Zionisten haben selbst den Zweiten Weltkrieg angezettelt. Die haben das inszeniert und insgesamt 60 Millionen ermordet, darunter auch Anhänger anderer Religionen.

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Martin Lejeune

Für den Aktivisten und Erdoğan-Fanboy Martin Lejeune ist die Hamas "eine ganz normale Partei"

VICE: Warum Sind sie heute hier?
Martin Lejeune: Ich demonstriere für gerechten Frieden im Nahen Osten und gegen die Besetzung Palästinas, für die Befreiung von Jerusalem, also Al-Quds.

Warum werfen Sie eigentlich palästinensischen Funktionären von Hamas und PLO nie vor, eskalierend im Konflikt zu wirken?
Ich werfe der PLO-Führung vor, viel zu weich gegen Israel vorzugehen. Sie sollte zu den Waffen greifen und Palästina befreien.

Krieg führen? Aber dann sterben noch mehr Zivilisten.
Ja, Krieg führen, natürlich in erster Linie gegen das Militär. Aber das machen die PLO und die Fatah nicht mehr, die arbeiten eher mit dem Besatzer zusammen.

Die Organisationen kämpfen aber gegen Israel, sie finanzieren Terroristen.
Das sind Widerstandskämpfer, keine Terroristen. Die leisten Widerstand gegen eine Besatzungsmacht, ihr Verhalten ist rechtmäßig. Die Hamas ist übrigens eine ganz normale Partei, die sitzt im Parlament.

Aber die Hamas ist doch keine "ganz normale Partei", wenn sie in ihrer Charta in Artikel 7 fordert, den Staat Israel von der Erdoberfläche zu tilgen. Die Partei benennt öffentliche Plätze nach Terroristen und zahlt Märtyrer-Renten an deren Familien.
Ich bin ja Moslem und als Märtyrer zu sterben ist ja etwas sehr Schönes, etwas Erstrebenswertes. Man kommt direkt ins Paradies. Insofern gibt es nichts dagegen zu sagen, wenn Menschen als Märtyrer sterben.

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Mit Transparenten protestieren Teilnehmer gegen Donald Trump – und werfen Israel vor, Hamas-Anhänger am Grenzzaun zu Gaza abzuschießen

Ideologische Schnittmengen: Der deutsche Al-Quds-Tag solidarisiert sich mit den Forderungen der BDS-Bewegung, das Produkte aus Israel boykottieren will

Immer, wenn Demonstranten auf Gegendemonstranten treffen, wird es hitzig. Die beiden Lager pöbeln sich gegenseitig an

Auf einem T-Shirt huldigt ein Teilnehmer dem iranischen Revolutionsführer Chamenei

Weite Teile des Demonstrationszugs sind nach Geschlechtern getrennt. Frauen marschieren im hinteren Teil der Demonstration

Die Polizei sichert das Geschehen und muss immer dann einschreiten, wenn Demonstration auf Gegendemonstration trifft

Eine Frau in Kopftuch wendet sich an Gegendemonstranten

Ordner versuchen die Gemüter zu beruhigen. Als "Kindermörder Israel" angestimmt wird, bitten sie, die Parole zu unterlassen