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Linksextremismus

Foto: Will der Innenminister Schüler hier davon abhalten, gegen Neonazis zu demonstrieren?

Das behaupten Linke. Warum die Wahrheit nicht so einfach ist – das Foto aber trotzdem problematisch.
Foto: BMI

Soll man gegen Neonazis demonstrieren oder nicht? Klar, dazu kann man verschiedene Meinungen haben. Was aber nicht geht: sich als deutscher Innenminister hinstellen und einer Gruppe Schülern erklären, warum sie lieber nicht gegen Rechte auf die Straße gehen sollten.

Genau das, verbreiten vor allem Linke gerade im Netz, habe Thomas de Maizière aber am Dienstag in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen getan. Auslöser für den Vorwurf ist dieses Foto, das das Innenministerium selbst auf seiner Webseite verbreitet hat:

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Ausschnitt des Fotos | Quelle: BMI

Für einige Betrachter war sofort klar, was auf dem Bild zu sehen ist: "De Maizière impft Schüler", schreibt der Autor eines Blogs namens "machtelite" auf Twitter, "Bundesinnenminister de Maizière macht nochmal klar: Der Feind steht links und gegen Nazis demonstrieren ist nicht gut", schreibt ein Journalist von der Jungle World. Die Tweets werden Hunderte Male verbreitet, immer mehr Leute regen sich auf. "Ein Innenminister, der Jugendl. rät, nicht gegen Nazis zu demonstrieren, ist fehl am Platz und sollte nachdenken, welche Werte er vermittelt", kommentiert ein anderer das Foto.

Damit hätte er wahrscheinlich recht. Das Problem ist nur: Das ist so nie passiert. Das Foto ist eher ein typisches Beispiel dafür, wie Empörung im Internet funktioniert. Es ist völlig aus dem Kontext gerissen, bestätigt aber Vorurteile, die Linke sowieso gegen den Innenminister hegen.

Dabei hätte man auch von selbst erkennen können, dass das Foto nicht das darstellt, was viele darin sehen wollten: Vor der Überschrift "Ich bleibe zu Hause! Denn Gegendemos bringen nichts" prangt eine fette, eingekringelte "3" – schonmal ein Hinweis, dass es sich dabei wohl eher um eine Art Gedankenspiel gehandelt hat. Auf Nachfrage bestätigt die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen das: "Dieser Teil des Seminars war ein Rollenspiel", sagt Pressesprecher André Kockisch. Die Schüler seien aus Bad Hersfeld, wo gerade eine NPD-Demo stattfinden soll, und deshalb in drei Gruppen mit jeweils anderen Standpunkten aufgeteilt worden: "Ich demonstriere friedlich", "Ich demonstriere gewaltbereit, mit allen Mitteln" und "Ich gehe da nicht hin, das ist mir egal". "Das Plakat auf dem Foto war das Ergebnis dieses letzten Standpunktes."

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Dabei hätten weder die Seminarleiter noch der Innenminister irgendeine Position bezogen. In der anschließenden Diskussion sei es allerdings schon darum gegangen, wie man "besser" mit rechten Demos umgehen könne, "indem man sich eben nicht raushält und nicht sagt, dass es einem egal ist", erklärt Kockisch.

Kurz gesagt: Der Vorwurf ist Unsinn, der Innenminister hat nie irgendwelchen Schülern "eingeimpft", dass sie bei der nächsten Neonazi-Demo lieber zu Hause bleiben sollen. "Zu unterstellen oder auch nur zu vermuten, der Bundesinnenminister vertrete die Auffassung, man solle nicht 'gegen Nazis' demonstrieren, ist abwegig", erklärte eine Ministeriumssprecherin gegenüber VICE.

Linksextremismus-Prävention im Stasi-Gefängnis?

Trotzdem ist das, was das Foto zeigt, nicht ganz unproblematisch: Das ganze Rollenspiel fand nämlich im Kontext eines "Präventions-Seminars gegen Linksextremismus" statt, das die Gedenkstätte Hohenschönhausen veranstaltete. In einem Bericht der B.Z. vom Dienstag klingt das zum Beispiel so:

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (63, CDU) besuchte am Montag das frühere Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen, um sich über ein deutschlandweit einmaliges Projekt zum Linksextremismus zu informieren.

Nach dem Gang in den einstigen Folterkeller "U-Boot" nahm er an einem Seminar von Schülern einer zehnten Klasse aus Hessen teil. Dabei wurden erstmal die 360-Grad-Kino-Brillen eingesetzt. Im darin gezeigten Film war man gefühlt live beim linken Terror auf dem G-20-Gipfel.

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Abgesehen davon, dass das Wort "Terror" im G20-Kontext eine völlig bescheuerte Übertreibung ist, ist die Verbindung von "Stasi-Folterkeller" und "G20-Protesten" schwierig. Kockisch bestätigt, dass auch die Schüler vor den Seminaren eine Führung der Stasi-Folterkerker bekommen. Und auch wenn er erklärt, dass das neue VR-Video vom G20-Gipfel nie in einen Zusammenhang mit den Verbrechen der Stasi gestellt werden sollte – wird dieser Zusammenhang für die Schüler nicht automatisch durch den Ort hergestellt? Kockisch sieht das weniger problematisch: "Es ist gerechtfertigt, dass man das Thema auch in die Gegenwart holt. Es geht immerhin um linke Strömungen, und das ist thematisch mit der Gedenkstätte zu vereinbaren." Nicht alle sehen das so: Schon 2014 kritisierte das Deutsche Jugendinstitut die Präventionsarbeit der Gedenkstätte: Sie sei "stark durch die emotionale Dramaturgie des Ortes gerahmt" und stelle linke Strömungen pauschal unter einen "unausgesprochenen Totalitarismusverdacht". Problematisch sind aber auch die drei "Optionen", die das Seminar den Schülern zu Neonazi-Demos gibt. Auf Twitter ist mittlerweile ein anderes Foto aufgetaucht, in dem sie zu sehen sind:

Die 2. Position suggeriert, dass "Blockaden und Gewalt" im Prinzip dasselbe sind – und dass man nicht "friedlich" demonstriert, wenn man an einer Blockade teilnimmt. Das ist komisch, denn Sitzblockaden gelten eigentlich als ziviler Ungehorsam – nach der Logik des Seminars müsste auch Gandhi auf der Seite der gewaltbereiten, potenziell "linksextremen" Demonstranten stehen.

Der Bundesinnenminister ist mit dem Programm trotzdem äußert zufrieden. "Die Gedenkstätte macht eine verdienstvolle Arbeit – eine der wenigen in Deutschland, die mit Schülern daran arbeitet, gar nicht erst anfällig zu werden für den Linksextremismus", zitiert ihn sein eigenes Ministerium. Laut B.Z. wird das Projekt dieses Jahr mit 270.000 Euro aus dem Bundesjugendministerium finanziert. Zum Abschied soll de Maizière gesagt haben: "In der nächsten Legislaturperiode werden wir mehr Geld für solche Projekte zur Verfügung stellen."

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