Warum wir den Weltfrauentag leider immer noch verdammt nötig haben

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Warum wir den Weltfrauentag leider immer noch verdammt nötig haben

Immer noch erfahren Frauen österreich- und weltweit Diskriminierung in verschiedensten Formen. Darum solidarisieren wir uns heute mit allen Streikenden und die Frauen aus der VICE-Redaktion erscheinen nicht zur Arbeit.

Titelbild: VICE Media

Heute ist Weltfrauentag. Für die einen bedeutet das, öffentlichkeitswirksame Postings zu verfassen, in denen Schlagworte wie "Ladys", "Powerfrauen" und "Heldinnen des Alltags" vorkommen, für uns bedeutet das, dass wir darauf aufmerksam wollen, warum wir diesen Tag überhaupt immer noch dringend brauchen – im Jahr 2017. Gründe dafür gibt es jedenfalls mehr als genug.

Jede fünfte Österreicherin wird in ihrem Leben mindestens einmal Opfer von häuslicher Gewalt. 93 Prozent aller österreichischen Alleinerziehenden-Haushalte werden von Frauen geführt. Drei Viertel der pflegenden Angehörigen in Österreich sind weiblich. Nur eine von 9 Landeshauptleuten ist derzeit eine Frau (und das auch erst seit diesem Jahr).

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Bisher gab es in Österreich keine Bundespräsidentin. Nur 10,7 Prozent der europäischen Regierungschefs sind weiblich. Jede dritte Frau muss in Österreich ohne männliche Hilfe für die Ernährung und Erziehung ihrer Kinder aufkommen. Frauen verdienen immer noch weniger als Männer – und Österreich liegt in dieser Hinsicht europaweit auf dem vorletzten Platz.

Im Jahr 2016 fand der Equal Pay Day österreichweit am 11. Oktober statt, was bedeutet, dass Frauen in Österreich ab diesem Tag quasi umsonst arbeiten. Sieht man sich die Bundesländer an, schwanken die Daten: In Vorarlberg passierte der Equal Pay Day im Jahr 2016 beispielsweise bereits am 14. September. Auch zeigt die Tatsache, dass Österreich nicht an der "Shedecides"-Konferenz beteiligt war, im deren Rahmen Fördergelder für Entwicklungsprojekte aufgestellt wurden, nachdem Trump eben diesen Projekten die Gelder strich, zeigt, welche Priorität Frauenrechten hierzulande immer noch beigemessen wird.

Obwohl die Liste so lang ist, dass es wütend macht, und diese Fakten nur ein kleiner Ausschnitt von unzähligen, leider zur Normalität gewordenen Ungerechtigkeiten ist, scheinen viele den Weltfrauentag für nichts als einen Marketing-Gag oder Anlass zur Selbstinszenierung zu sehen, wie einige Reaktionen aus dem vergangenen Jahr zeigen. So nutzte das Team Stronach den Tag 2016 beispielsweise für eine Pfefferspray-Verteilaktion. Auch 2017 wird es eine solche Aktion geben, wie am Montag per Presseaussendung bekanntgegeben wurde.

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So manche sehen den Weltfrauentag als Maßnahme zur Männerdiskriminierung und verschiedene Firmen nutzen den Tag, um Faltencreme und andere ihrer Meinung nach frauenspezifische Produkte mit einem Extra-Boost zu vermarkten. Dass sich dieser Tag nicht um die Bedürfnisse unserer trockenen Haut, sondern die von Frauen generell und insbesondere um die Erlangung gleicher Rechte für Frauen weltweit dreht, scheinen dabei viele für nebensächlich zu halten.

Trotzdem: Seit Wochen beschäftigt man sich in Österreich mit dem heutigen Frauentag. Auf Twitter riefen einige Männer unter dem Hashtag #followwomen dazu auf, im März nur Frauen zu folgen, um den Fokus auf weibliche Sichtweisen zu verstärken, was von manchen angenommen, von anderen kritisiert und lächerlich gemacht wurde.

In der Wiener Zeitung erschien am 3. März der erste Leitartikel einer Frau – nach 314 Jahren. "Es ist 2017, und die Welt besteht aus viel mehr als weißen Männern in Anzügen", heißt es in dem Artikel von Solmaz Khorsand. Es tut sich was. Und noch scheint es dazu einen Frauentag zu brauchen. Denn gleichzeitig mit dem ersten Leitartikel einer Autorin verteidigt die Staatszeitung auch das bisherige Fehlen weiblicher Perspektiven in diesem Format damit, dass erstens bisher keine Frau den Chefredakteursposten innehatte (als wäre das eine Rechtfertigung) und zweitens keine gefragt hätte.

Trotz aller Argumente, die dafür sprechen, denken viele Menschen, dass man den Weltfrauentag nicht brauche; schließlich sollte jeden Tag Weltfrauentag und es immer unser aller Ziel sein, für Gleichberechtigung einzutreten. Auch Alice Schwarzer forderte beispielsweise im Jahr 2010, dass dieser "gönnerhafte 8. März abgeschafft werden solle". Stattdessen soll es 365 Tage im Jahr einen Tag für alle Menschen geben, sowohl Männer als auch Frauen.

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Natürlich ist dagegen nichts einzuwenden und es wäre schön, wenn jeden Tag Weltfrauentag wäre, ohne dass er jährlich unter großem Medienrummel ausgerufen werden und die Welt Pfefferspray-Verteilaktionen des Team Stronach ertragen muss. Leider sind wir aber meilenweit von diesem so leicht geäußerten Anspruch entfernt. Wie so oft gibt es einen ziemlichen Unterschied zwischen dem, wie die Welt ist, und dem, wie sie sein sollte.

Die Diskriminierung von Frauen ist tief in unserer Gesellschaft verankert. Sie äußert sich in der Sprache, die wir alle täglich verwenden, in unseren Vorstellungen von Geschlechterrollen, wenn man an einem schlechten Tag von einem Arbeitskollegen gefragt wird, ob man denn seine Tage habe, oder wenn einem im Vorbeigehen Männer nachpfeifen und einem nachschreien, dass man doch wenigstens dankbar für das Kompliment sein solle.

Viel zu viele Frauen bekommen diese Diskriminierung auch in Form von physischer und psychischer Gewalt zu spüren – mit unserem Schwerpunkt #nichtmehrwegschauen haben wir versucht, einigen dieser Frauen eine Stimme zu geben. Noch Monate später bekommen wir Zuschriften von Betroffenen.

Auch wenn ihr selbst gleich viel wie eure männlichen Kollegen verdient, betrifft euch dieser Tag.

Wenn es des Weltfrauentags bedarf, um Menschen auf die weltweit und auch in Österreich immer noch herrschenden Missstände aufmerksam zu machen, dann soll und muss es ihn geben. Vielleicht wird es irgendwann zwei Weltfrauentage im Jahr geben. Und irgendwann zwölf. Bis es irgendwann 365 sind – und die Sonderbehandlung oder Extraaufmerksamkeit tatsächlich überflüssig ist. Dazu ist nur eine Sache notwendig: Wir alle, sowohl Männer als auch Frauen, müssen uns angesprochen fühlen und aktiv an einer Veränderung mitwirken.

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Auch wenn ihr selbst gleich viel wie eure männlichen Kollegen verdient oder noch nie mit Diskriminierung wegen eures Geschlechts konfrontiert wart, euch noch nie einen sexistischen Witz anhören musstet oder als Schlampe bezeichnet wurdet, während euer Kumpel für seine häufig wechselnden Sexualpartner gelobt und bewundert wird, betrifft euch dieser Tag.

An diesem Tag soll es nicht nur um unser eigenes Wohl gehen, sondern um das Wohl aller, um Solidarität mit benachteiligten Frauen, die im Alltag viel zu kurz kommt, für die man vielleicht manchmal zu bequem ist und von der man oftmals denkt, dass sie mit einem Klick oder einem Facebook-Posting erledigt ist.

Aus genau diesem Grund, nämlich weil die Solidarität so oft fehlt und es immer noch genug zu tun gibt, rufen zahlreiche Organisationen – unter anderem auch die Organisatorinnen des großen Women's March und die österreichische Initiative "Frauen wollen mehr" – auf, den 8. März zu nutzen, um auf die Straße zu gehen, die Arbeit niederzulegen und deutlich zu machen, wie viel Frauen tagtäglich leisten.

Der Weltfrauentag ist kein Marketing-Gag für Frauen-Specials in Thermenhotels.

Was so ein Streik bewirken kann, haben beispielsweise die Isländerinnen im Jahr 1975 gezeigt, als 90 Prozent der Frauen ihre Erwerbs- und Hausarbeit niederlegten und das Land stillstand. Schulen und Läden mussten schließen. Auch als im Oktober des vergangenen Jahres unzählige Polinnen auf die Straße gingen, um gegen ein geplantes Abtreibungsgesetz zu demonstrieren, zeigte sich, dass derartige Proteste etwas bewirken können – nämlich Veränderung und Bewusstsein.

Wie viele Frauen heute in Österreich tatsächlich streiken gehen werden, wird sich erst zeigen. Ob der Weltfrauentag für Österreicherinnen und Frauen weltweit notwendig ist, hat sich bereits gezeigt – und es zeigt sich jeden Tag aufs Neue. Der Weltfrauentag ist kein Marketing-Gag für Frauen-Specials in Thermenhotels. Der Weltfrauentag soll alle Menschen, sowohl Frauen als auch Männer, darauf aufmerksam machen, wo es auch heute noch hakt. Anknüpfungspunkte gibt es genügend. Wichtig ist nur, dass sich alle betroffen fühlen.

Auch wir bei VICE in Österreich folgen dem Aufruf zum Streik und zur Solidarität. Die Frauen aus der Redaktion werden am heutigen Weltfrauentag nicht in der Arbeit erscheinen, an Protestkundgebungen teilnehmen und so zeigen, was ohne sie fehlt und welch wichtigen Teil der Redaktion sie ausmachen.

Verena auf Twitter: @verenabgnr

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