Unsere Empörung ist nicht genug

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Unsere Empörung ist nicht genug

Nach Trumps ersten Tagen im Amt dürfte klar sein: Die Welt steht an einem Wendepunkt. Was tun wir in der Schweiz?

Titelbild von mathiaswasik | Wikimedia | CC BY-SA 2.0 Die Schweizer Kampagnenorganisation Campax lancierte am Montag eine Online-Petition gegen Trumps impulsive Dekret-Politik. Fast 8.000 Menschen haben sie bisher unterschrieben. Ganz bequem, per Knopfdruck vom Schreibtisch aus. Die Petition verlangt vom Bundesrat, eine Einreisesperre gegen den neuen US-Präsidenten zu verhängen, weil dieser eine Einreisesperre für Menschen aus sieben muslimischen Ländern verordnet hat. "Es geht uns mit der Petition in erster Linie darum, ein Zeichen zu setzen und der Empörung der Gesellschaft Ausdruck zu verleihen. Ob der Bundesrat unserem Anliegen dann tatsächlich folgt, ist zweitrangig", erklärt Andreas Freimüller, Kopf der Kampagne, auf Anfrage von VICE. Ich frage mich, wie wirksam homöopathische Online-Petitionen im Kampf gegen den im Westen immer salonfähiger werdenden Faschismus und allgegenwärtigen Populismus tatsächlich sind und ob es nicht an der Zeit wäre, schlagkräftigere Waffen zu entwickeln.

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Dass Online-Petitionen nicht per se zum Scheitern verurteilt sein müssen, zeigt das englische Vorbild der Schweizer Petition: Diese wurde von über 1.5 Millionen Leuten unterzeichnet und am Montag dann auch kurz im britischen Parlament diskutiert, wenn auch nur halbherzig. Zudem gingen zehntausende Briten gegen Trumps Politik auf die Strassen – so was bleibt in Washington nicht unbemerkt. Freimüller hofft auf einen ähnlichen Effekt: "Alle Unterzeichner sind eingeladen, die Petition gemeinsam mit uns persönlich dem Bundesrat zu übergeben." Ich bin allerdings skeptisch, wie viele der Unterzeichner sich dazu bewegen lassen. Es erfordert dann halt doch etwas mehr Engagement, auf die Strasse zu gehen, als von zu Hause aus auf einen Knopf zu drücken.

Es geht mir nicht darum, die wenigen zivilgesellschaftlichen Aktionen aus der Schweiz schlecht zu machen, aber mit einer affektiven Empörungsbewirtschaftung alleine werden die Probleme schlicht nicht zu lösen sein. Aus Empörung kann Aktivismus entstehen, aber dafür braucht es neben einer gefühlten Betroffenheit auch Ausdauer. Zu oft aber versinken die Empörungswellen in der Kurzlebigkeit unseres modernen Zeitgeistes. Früher setzte man sich ein Leben lang für seine Gewerkschaft, den Umweltschutz, oder für Frauenrechte ein. Heute sind wir von allem ein bisschen, aber nichts richtig. Ich habe den Eindruck, als ginge es vielen Leuten eher darum, sich kurz auf der Empörungswelle ablichten zu lassen, das Profilfoto vorübergehend mit der Trikolore zu färben, oder in der Weihnachtszeit den Hashtag westandwithaleppo zu posten. Erst noch hatten wir ein Herz für Flüchtlinge, danach waren wir vorübergehend Charlie, dann Aleppo, dann kurz gegen die Klimaerwärmung und momentan gerade gegen Trump. Doch wie viele von uns haben sich schon nachhaltig und hartnäckig für nur eines dieser Themen eingesetzt?

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Während junge Aktivisten in Griechenland ganze Flüchtlingscamps aus dem Nichts aufbauen, bewegen sich die meisten jungen Schweizer brav auf dem ihnen vorgezeichneten Bildungsweg, um sich auf eine erfolgreiche Karriere in einem immer dominanter werdenden Wirtschaftssystem vorzubereiten. Muss ein Staat erst zusammenbrechen, bevor die Bevölkerung ein aktivistisches Bewusstsein entwickelt?

Nach Trumps erster Woche im Amt hat diese Frage erneut an Dringlichkeit gewonnen. Die westliche Welt steht vor einem kritischen Wendepunkt. Von Amerika bis Osteuropa sacken Rechtspopulisten und Neonazis gerade Stimmenanteile im zweistelligen Bereich ein – mit einer allein auf Ressentiments beruhenden Wahlpropaganda. Die Feindbilder, die in diesem politischen Diskurs karikiert werden, erinnern einen an die Vorkriegszeit.

Die Schweiz stellt da keine Ausnahme dar. Im Gegenteil: Die SVP lieferte mit ihren Volksinitiativen die Blaupause für fremdenfeindlich-populistische Parolen und dominiert heute nicht nur die politische Wahrnehmung im Land, sondern auch unser Zusammenleben. Damir Skenderovic, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Fribourg, bezeichnet die Schweiz deshalb als "Avantgarde des europäischen Rechtspopulismus". Die islamophoben Burkaplakate, die im Vorfeld der Abstimmung zur erleichterten Einbürgerung von Terzos landesweit zu sehen sind, scheinen gar niemanden mehr so richtig zu schockieren, so sehr hat sich die Bevölkerung schon an den hetzerischen Ton der SVP gewöhnt.

Es liegt an uns, die Zivilgesellschaft besser zu organisieren und stärker auf die Politik der alten, weissen Männer Einfluss zu nehmen. Sei es auf der Strasse, an der Urne, oder im Verband. Das Nein zur Durchsetzungsinitiative der SVP hat gezeigt, dass es durchaus möglich ist, die Umsetzung des destruktiven Gedankenguts der Rechtspopulisten zu verhindern, wenn genügend Menschen aktiv werden. Die Stimmbeteiligung lag mit 63.1 Prozent verhältnismässig hoch. Doch es gilt, nicht nur an der Urne Akzente zu setzen. Tragt den Frust auf die Strasse, redet mit Freunden, diskutiert mit Andersdenkenden, helft Schwächeren, begrüsst Fremde, schlagt Brücken, leistet Freiwilligenarbeit, gründet Vereine, spendet, oder schreibt Lieder. Mit Strophen wie sie etwa der Luzerner Rapper Exist vor einigen Tagen an der Virus Bounce Cypher vorgetragen hat:

"Drom glaubsch Burkaplakat, wo Stemme sueched //
well de Tatsache det ned es Gsecht mosch luege //
aber öbis a dem, ged Muet zom hoffe //
wer begränzt esch dä muss sech au ke Muur meh boue"

Auch wenn es schwierig ist, unter all den Negativmeldungen die Übersicht und einen optimistischen Kopf zu bewahren, so ist es heute wichtiger denn je, auf die Gestaltung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen. Jeder einzelne von uns trägt eine Verantwortung. Im Alleingang wird es niemand schaffen, aber das brauchen wir auch gar nicht. Alles was wir brauchen, sind viele kleine individuelle Schritte, die zusammen einen grossen ergeben werden. Wie das humanistische Wertesystem unserer Eltern erodiert, liegt es an uns, radikal gedachte Alternativen zu artikulieren. Am besten mit einer vereinten Stimme. Ansonsten werden wir keine gute Antwort haben, wenn unsere Enkel uns eines Tages fragen: "Wo wart ihr, als die Welt damals in Flammen aufging?"

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