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Meth-Käfer sind selten und nur Einbildung, doch das hilft Leidenden wenig

Anti-Drogen-Kampagnen lassen es wirken, als sei die kribbelnde Halluzination der Maßstab der Sucht—doch viele Meth-User leiden nie daran, während es Andere auch ohne Drogen erwischt.

Foto: Aleksey Gnilenkov | Wikimedia Commons | CC BY 2.0

Ein Typ, den wir Michael nennen werden, bekam vor etwa drei Monaten ein Mittel gegen sein ADHS verschrieben. Er nimmt es drei Mal die Woche, und immer wieder kriegt er die Käfer. Sie erscheinen, wenn er zu lange stillsitzt oder viel Licht und Lärm ausgesetzt ist. Er weiß, dass sie nicht echt sind, doch das einzige, das er tun kann, ist zu versuchen, sie zu ignorieren.

Das Mittel hieß Vyvanse und enthielt Dextroamphetamin, ein Amphetamin, das ursprünglich US-Kampfpiloten im Zweiten Weltkrieg als „Go-Pillen" verabreicht wurde. In der Nacht, als die Käfer zum ersten Mal auftraten, hatte Michael eine 30-Milligramm-Dosis genommen und sich ins Bett gelegt. Nach einer Weile bekam er ein pulsierendes, kribbelndes Gefühl, das sich über seine Haut bewegte.

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Er hatte das Gefühl schon früher gehabt, doch diesmal bekam er Panik. Er riss sich die Decke vom Leib und fing an, nach Käfern zu suchen. Zuerst konnte er nichts finden, doch als er genauer hinsah, entdeckte er einen kleinen, durchscheinenden Käfer, der etwa einen Millimeter lang war. Dann sah er mehr. Dann waren sie überall, manche dunklere als andere, wie Rauschen auf einem Fernsehbildschirm.

„Nach einer Weile gab ich auf", sagte er. „Ich war müde und lag einfach im Bett. Das Krabbeln ging weiter und ich brauchte etwa eine Stunde, um einzuschlafen. Ich wachte in der Nacht mehrmals auf, weil es furchtbar juckte, also wusste ich, dass sie noch da waren. Das ging drei Tage lang so, ohne nachzulassen."

Michael ließ es eine Woche lang auf sich beruhen, bevor er zum Arzt ging, um sicherzugehen, dass er nicht den Verstand verlor. Als nichts gefunden wurde, führte ihn seine Suche ins Internet, wo er von einer Psychose namens Ekbom-Syndrom erfuhr. Dieses Syndrom ist auch als Dermatozoenwahn, also „Haut-Tier-Wahn", bekannt und stellt eine seltene Neurosenform dar, bei der eine Person glaubt, auf ihr würden unzählige Käfer krabbeln. Um dieses Gefühl zu vermeiden, ging Michael erneut zum Arzt, wo ihm ein methamphetaminbasiertes Medikament verschrieben wurde. Die Käfer suchen ihn immer noch heim, doch er versucht, sie zu ignorieren.

Auf der Straße ist das Ekbom-Syndrom eher als „Kokain-Käfer" oder „Meth-Käfer"bekannt und wird mit schwerem Kokain- oder Meth-Konsum in Verbindung gebracht. Doch nicht alle, die Ekbom haben, konsumieren Crystal Meth, und nicht alle, die auf Meth sind, kriegen die Käfer. Bei meinen Recherchen für diesen Artikel versuchte ich drei Tage lang, jemanden in meiner Gegend zu finden, der Drogen konsumiert und der die Käfer erlebt hat, doch am Ende gab ich auf. Schließlich wandte ich mich ans Internet, und dort fand ich auch Michael. Laut Jack Nagle, einem ehemaligen Süchtigen, der bei der auf Meth-Sucht spezialisierten Reha-Klinik Dayhab in der Nähe von Melbourne arbeitet. Er sieht persönlich, wie selten Kokainkäfer sind, und selbst als er noch ein ausgemergelter, langfingriger Meth-Abhängiger war, erlebte er sie nie.

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Heute ist er seit vier Jahren und vier Monaten clean. Sein Job ist es, Süchtige in die Reha zu bewegen, doch jedes Mal, wenn im von Meth geplagten Australien eine große Abschreckungsinitivative gegen „Ice" läuft, wie zum Beispiel die diesjährige Videokampagne der Regierung, bei der eine Frau sich die Fingernägel in die Haut gräbt, wird seine Arbeit ein wenig schwieriger.

„Es hält die Leute davon ab, sich Hilfe zu suchen", sagte er. „Viele kommen hierher und reden mit mir und glauben, sie hätten kein Problem, weil sie die Käfer nicht haben. Sie haben noch einen Job und eine Familie. Sie haben Probleme mit der geistigen Gesundheit, aber sie sind überzeugt, kein Problem zu haben."

Wenn jemand die Käfer kriegt, kann es schwierig sein, die Ursachen zu ermitteln. Dr. Nicole Lee, Dozentin am National Centre for Education and Training on Addiction der Flinders University, sagte VICE gegenüber, das Syndrom stelle nur für Menschen, die mindestens sechs bis acht Wochen lang etwa fünf Mal die Woche Meth nehmen, ein Risiko dar. Doch abgesehen hiervon können die Ärzte nur raten, was im Gehirn vor sich geht.

Dr. Lee erklärte, es habe möglicherweise etwas damit zu tun, wie sich Dopamin auf den präfrontalen Cortex und das limbische System im Gehirn auswirkt. Normalerweise kommunizieren diese zwei Bereiche miteinander bei der Analyse der Umgebung der Person. Sie brauchen auch beide Dopamin, um zu funktionieren, welches bei positiven Erfahrungen ausgeschüttet wird. Was davon nicht gebraucht wird, wird recycelt und bis zum nächsten Mal gespeichert.

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„Von anderen Formen der Psychose wissen wir, dass hohe Dopaminwerte psychotische Symptome verstärken", sagte Dr. Lee.

Dr. Lee sagte, Meth überflute das Gehirn mit Dopamin und blockiere gleichzeitig seine Fähigkeit, die Reste zu recyceln. Es gibt keine genauen Zahlen, doch es wird vermutet, dass Meth die Dopaminwerte um das 1.200-Fache erhöht und dass langfristiger Konsum das System zerstört, wodurch die beiden Gehirnareale aufhören, miteinander zu kommunizieren.

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Es ist nicht bekannt, wie häufig Ekbom-Syndrom bei Meth-Konsumenten vorkommt. Dasselbe gilt für die Frage nach den Risikogruppen, doch basierend auf den Menschen, die durch die Reha-Klinik kommen, meint Nagle, Frauen würden die Käfer mit größerer Wahrscheinlichkeit bekommen. Zumindest, so sagte er, hätten sie ein größeres Risiko, obsessive Störungen im Zusammenhang mit der Haut wie Skin Picking Disorder zu entwickeln, was Nagle wiederum auf den gesellschaftlichen Schönheitsdruck zurückführt.

„Sie sehen einen Pickel oder einen Makel an ihrer Haut und dann knibbeln sie daran herum, ohne zu merken, was sie tun", sagte er. Diese Theorie wird von mindestens einer Studie bestätigt, die in einer medizinischen Literaturübersicht zum Thema Ekbom-Syndrom erwähnt wird. Darin heißt es, Frauen seien mehr gefährdet als Männer.

Ob das nun stimmt oder nicht, sowohl Dr. Lee als auch Nagle betonen, dass sehr wenige Meth-Konsumenten jemals von den Käfern heimgesucht werden, weswegen es dumm und schädlich ist, sie als Maß der Sucht oder als Abschreckungstaktik einzusetzen. Übertreibung lässt Meth-Neulinge einfach die Diskussion um die Gesundheitsrisiken ausblenden, und es ist schwierig genug, Abhängige dazu zu bringen, ihre Sucht einzugestehen, ohne dass ihnen jemand eine Untergruppe von Hardcore-Usern als falsche Messlatte vorhält. Sucht ist, wie Nagle den Patienten der Klinik erklärt, nicht einfach nur die Einnahme von Drogen, sondern eine Lebensweise.