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Popkultur

„Nutten kommen und gehen“ – Der Jubiläums-'Tatort' wird uns auch nicht in Erinnerung bleiben

Prostitution auf Bestellungen und legales Ficken im Amazon-Zeitalter: Thematisch hätte die Jubiläumsfolge eine Menge hergegeben, stattdessen gab es kalten Kaffee im Pappbecher.

Foto: BR | Roxy Film GmbH | Regina Recht

Achtung, kann Spoiler enthalten.

Während Til Schweiger alias Nick Tschiller aus dem Hamburger Tatort eine Panzerfaust schwingende Hollywood-Travestie veranstaltet, haben seine Münchner Kollegen derlei Effekthascherei nicht nötig. „Mia san mia", seit 25 Jahren schon sind Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl die Kommissare Batic und Leitmayr; gestern hatten sie Dienstjubiläum, Silberhochzeit sozusagen.

25 Jahre, Jubiläumsfolge—das weckt bei den Zuschauern natürlich Erwartungen und bei den Machern den Druck, mit etwas Besonderem aufwarten zu müssen. Da ist die Verlockung gegeben, mit der ein oder anderen Handgranate die Handlung aufzupeppen, Verfolgungsjagden sind auch immer gut. Wenn nun Autor und Regisseur Max Färberböck Brandbeschleuniger als Mittel dramaturgischer Handlungsbeschleunigung gewählt hätte, verstünden wir das; umso erfreulicher ist es, dass er es nicht tat und stattdessen auch in seinem zweiten Tatort Mia san jetz da wo's weh tut die stillen Töne anschlug.

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Die ersten Bilder werden von The National im Hintergrund bespielt: I saw my love with pretty boy, murder me Rachael, I made a mistake. Zeitraffer, ein heruntergekommnes Dorf—in Rumänien, wie sich später herausstellt—, dann eine billig aufgedonnerte Frau auf steinernem Boden, tot, eine Prostituierte vermutlich. Im Off die Stimme von Kommissar Batic: „Zwei-, dreitausend von denen kommen jedes Jahr nach München. Direkt vom Bahnhof ins Puff. Da bleiben sie ein paar Wochen und dann geht es auf Europatournee. (…) Zehn Jahre lang, jeden Tag ficken." Zur Jubiläumsfolge hat man ein brisantes und hochaktuelles Thema gewählt: Das Rotlichtmilieu, das Leben und die Rechte der Frauen darin. Gerade hat sich die große Koalition in Deutschland nach langem Tauziehen auf einen weiteren Gesetzesentwurf für das Prostitutionsschutzgesetz geeinigt.

Seit Jahren schon wird darüber gestritten, und das nicht nur innerhalb der großen Koalition in Deutschland, sondern auch zwischen der Politik und den schutzbedürftigen Frauen. Hilfe ja, nur wie genau? Was für die Einen Schutz bedeutet, können für die Anderen Repression sein. Die Meldepflicht für Prostituierte zum Beispiel: Sie soll für mehr Transparenz im Gewerbe sorgen und Menschenhandel vorbeugen, doch für einige der Frauen ist der „Hurenausweis" ein weiterer Schritt zur Stigmatisierung ihres Standes. Auch die Kondompflicht ist schön und gut, nur wie wollen die Beamten das kontrollieren? Sollen Mann und Frau während des Aktes auseinandergerissen und beleuchtet werden?

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Das alles sind natürlich sehr technische und theoretische Fragen, selbst die zentralen Akteure tun sich schwer, Lösungen für alle Probleme zu finden; Dutzende Artikel wurden hierzu geschrieben, niemand verlangt von einem Tatort, der Komplexität dieses Themas im Zeitfenster von 20:15 Uhr bis 21:45 Uhr gerecht zu werden. Und doch: Ob Crystal Meth, Flüchtlinge oder terroristische Bedrohungendie Tatorte wollen mehr als nur bloße Unterhaltung sein. Im jüngsten Interview mit der FAZ bringt Udo Wachtveitl die Absichten seiner Serie schlicht aber gut auf den Punkt: „Das Versprechen lautet: Du kriegst eine gute Krimigeschichte, und am Ende wird der Mörder überführt, und dazwischen kriegst du was über die Bundesrepublik mit."

Über die Bundesrepublik und ihre Umwälzungen: „Es ist nicht mehr wie früher. (…) Nutten kommen und Nutten gehen. Was haben wir? Wir haben 7 Häuser, da gehen pro Jahr zwischen 350 bis 400 Frauen durch. Da kann ich unmöglich jede mit Namen kennen." Der Lude Harry Schneider erklärt Batic und Leitmayr erstmal, wie das Geschäft mit den Frauen heutzutage abläuft, und überhaupt, mit seinen modernen Laufhäusern ist er bestenfalls ein Immobilienanbieter: „Das sind Freie Unternehmerinnen. Wir vermitteln nur, das ist alles." Die „Manager" der ausländischen Frauen sitzen in ihren Heimatländern und regeln vom Computer aus die gesamte Logistik. Prostitution im Amazon-Zeitalter, Ficken 2.0, schmuddeliges Image ade und wenn doch etwas passiert, Schuld sind immer die Anderen.

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Es passiert immer etwas, sonst würden Batic und Leitmayr den Ex-Luden Harry auch nicht in die Zange nehmen. Es wird nach dem wahren Mörder der toten Prostituierten gesucht und wie sich rausstellt, war sie kurz vor ihrem Tod mit einem weiteren Mädchen unterwegs; nach dieser zweiten Jungprostituierten wird nun gefahndet. Batic will wissen, wohin es die zwei Rumäninnen verschlagen hat, nachdem sie gemeinsam mit dem Zug aus Bukarest in München angekommen waren: „Das Übliche—Mietvertrag, Sonnenbank, AIDS-Test, dann ein Beratungsgespräch und Anmeldung bei deinen Kollegen; weißt ja, wie das läuft, Münchner Verhältnisse halt." Eine top eingeölte Maschinerie, alles legal und behördlich abgesegnet.

Das alles passiert in den ersten Minuten des Tatort und macht Geschmack auf mehr. Die Zutaten für eine gute Krimi-Folge sind alle gegeben: Ein harmonierendes und über Jahrzehnte gut gereiftes Kommissaren-Duo, talentierte Jung- und Nebendarsteller wie der grandios spielende Till Wonka, der als drogenabhängiger Auftragskiller in seinen besten Szenen an den Pillen fressenden Gary Oldman in Leon - Der Profi erinnert, und ein Thema, das den Zeitgeist trifft. Alle Zutaten sind da, nur geht dieser Kuchen nicht auf. Die Handlung verflacht, anstatt tiefer in die Abgründe der Charaktere hineinzugehen und die Mühlen der aufgesetzten, aber nicht wirklich greifenden Bürokratie offenzulegen, verkommt der Tatort zu einer Schnitzeljagd. Die Polizei liefert sich mit den Killern von Ex-Lude Harry ein Rennen um die hilflose Mia Petrescu (Mercedes Müller) und natürlich hat sich in das schöne, hilflose Mädchen ein armer Teufel verliebt, der sie vor einer brenzligen Situation nach der anderen rettet—junge Liebe gegen den erst der Welt, der Sound dazu darf selbstverständlich nicht fehlen. Zu The National gesellen sich im weiteren Verlauf noch Daniel Hart und Rodriguez, bis irgendwann fast nur noch gesucht und verfolgt oder eben sich versteckt und weggerannt wird.

Den Wunsch, vielleicht noch etwas mehr über die Mechanismen moderner Prostitution zu erfahren, hat man als Zuschauer schließlich völlig vergessen, fast genauso, wie die zu Beginn auf den Steinen liegende Frauenleiche. Stimmt, da war ja noch was; wer ist eigentlich der Mörder? Gut, bereits im ersten Drittel der Handlung wird ein derart glatt geleckter Jung-BWLer-Studentenschnösel in seinem postmodernen Loft vorgestellt, dass man sich denkt: „Ach komm, bitte nicht der. Der ist doch offensichtlich zu unoffensichtlich." Doch wie erwartet verbirgt sich hinter dem weißen Zahnpasta-Lächeln, dem Kaschmirpullunder und Hemdkragen ein vor lauter Geld am Überdruss leidendes Arschloch, das nichts Besseres mit seiner Langeweile anzufangen weiß, als auf seiner Party vor versammelter Mannschaft eine rumänische Prostituierte zu erwürgen. Alles auf Video. Mia filmte den Exzess mit ihrem Handy und wirklich niemand aus der Menge kam auf die Idee, ihr das Ding aus der Hand zu nehmen. Eher unrealistisch.

2014 wurde Max Färberböck zu Recht von der Presse für seinen ersten Tatort Am Ende des Flurs abgefeiert; das wird ihm mit seinem zweiten Anlauf leider nicht mehr passieren, denn wie gesagt: Die Jubiläumsfolge hatte das Zeug dazu, ein ähnlich vielschichtiges Werk zu werden, nur ist der Kuchen nicht aufgegangen, obwohl er dennoch weitaus bekömmlich ist als die hormonbehandelte Instant-Hollywoodmischung eines Nick Tschiller.

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