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Freunderlwirtschaft ist eine der schlimmsten Eigenheiten in Österreich

Man kann den normalen Weg nehmen, hart arbeiten und eventuell seine Ziele erreichen. Oder man hat Glück und wird in die richtige Familie geboren.
Foto von der Autorin

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Ich war 19 Jahre alt, als ich das erste Mal verstanden habe, dass es Menschen in meinem Alter gibt, die weniger tun müssen, um an ein Praktikum oder einen Arbeitsplatz zu kommen. Ein Freund von mir hat plötzlich zu einer Feier eingeladen, weil er ein Praktikum in einer angesehenen Firma bekommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er gerade mal das erste Semester abgeschlossen; aber noch viel bezeichnender war, dass das Praktikum in Richtung Marketing ging und er eigentlich Biologie studierte.

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Das hat mich stutzig gemacht. Immerhin habe ich damals auch selbst nach Praktika gesucht und eine Absage war da schon das Höchste der Gefühle. Meistens wurde ich einfach ignoriert—zurecht, wie ich damals dachte. Eine Studienanfängerin im Fach Soziologie ist für die meisten Firmen eben nicht interessant, sagte ich mir. Deshalb war es mir am Anfang sehr wichtig, sehr schnell zu studieren, nebenbei Ausbildungen zu machen und sehr gute Noten zu haben, um beim Vorstellungsgespräch belegen zu können, dass ich etwas drauf habe, die Aufgaben meistern kann und motiviert bin.

Auf seiner Party erzählte mir der besagte Freund dann locker, dass er das Praktikum über einen Freund seines Vaters bekommen hatte und es wahrscheinlich sehr langweilig werden würde. Genauso wie das Praktikum letzten Sommer, das er von einem anderen Bekannten in einem anderen renommierten Haus organisiert bekommen hatte.

Seit damals fällt mir dieses Phänomen, von dem ich bis dahin nicht wusste, dass es eines ist, ständig auf. In fast jeder Arbeitsstelle traf ich auf Menschen, die unqualifiziert oder schlicht und ergreifend nicht so motiviert waren wie der Rest. In fast jeder Arbeitsstelle saß jemand, der seinen Arbeitgeber ein wenig herzlicher und vertrauter gegrüßt hat, als die anderen. Dass öffentliche Posten nicht mit Menschen, sondern mit Kontakten besetzt sind, wundert außer mir vermutlich niemanden in Wien.

Dabei handeln Menschen, die ihren Freunden, Bekannten und Verwandten mit Praktika oder Jobs helfen, nicht illegal. Das bestätigt mir auch der Anwalt Mag. Wolfgang Renzl. Es gäbe ein paar Ausnahmefälle, die unter das Strafgesetz der Veruntreuung oder Amtsmissbrauch fallen würden—das Schaffen von neuen Posten, zum Beispiel. Oder wenn man sich absichtlich gegen den qualifizierteren Bewerber entscheidet, um dem Betrieb zu schaden. So ein Fall ist aber nicht ganz so einfach nachweisbar.

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Menschen, die durch Freunderlwirtschaft oder Nepotismus begünstigt werden, nehmen die Chancen, die sich daraus ergeben, natürlich wahr. Mir kommt vor, dass sie weniger Angst haben und die Welt naiver betrachten. Ihnen wird kaum etwas passieren, sie werden im Studium selten bis nie mit Zukunftsängsten konfrontiert sein und ihre Praktika werden wie von selbst auf sie zufliegen, bis sie irgendwann in einem netten Arbeitsplatz münden. Es ist unfair und es macht mich wütend.

Aber um mich geht es noch nicht einmal: Diese Art von Protektionismus kann sogar für die gesamte Gesellschaft toxisch sein—immerhin werden echte Genies durch Kinder von Freunden ersetzt. Das ist wohl nur selten die beste Lösung für Unternehmen. "Wenn diesen Vorgehensweisen nicht durch rechtliche Verordnungen Einhalt geboten wird, verfestigen sie sich zu einer starren Freunderlwirtschaft, die sich nachteilig auf Wirtschaft und sozialen Fortschritt einer Nation auswirken kann", meint auch Soziologin Viktoria Holzmann.

Dabei ist das Prinzip gar nicht neu. Nepotismus—also die Begünstigung durch Familienangehörigkeit—gibt es schon seit der Antike. Und wahrscheinlich gab es ihn auch schon davor. Schon im 17. Jahrhundert hat Papst Urban VIII. zweifelhaften Ruhm erlangt, weil er fast alle Posten mit seiner Familie und seinem Gefolge besetzen ließ und auf die Räte der Kardinale geschissen hat. Er ging als klassisches Beispiel eines nepotistischen Papstes in die Geschichte ein; und in dieser Liste steht er nicht als einziger.

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Es ist menschlich, der eigenen Familie helfen zu wollen und weniger kaltblütig, als ich es am Anfang wahrgenommen habe. Jedoch scheint diese Art von Beschützerinstinkt in Österreich über die Familie hinauszugehen—oft ist es ja nicht die Mama, sondern es sind Freunde, Bekannte und Kollegen der Mama. Vereine, Parteien und Netzwerke sind wahre Petrischalen des Nepotismus. Ein ehemaliges Burschenschafts-Mitglied hat mir einmal gesagt: "Ich war dabei, weil dann ein Arbeitsplatz kein Problem war."

In vielen anderen Ländern gibt es Freunderlwirtschaft nicht in diesem Ausmaß. Wie direkt das mit den hier üblichen Vereinen und Netzwerken zusammenhängt, kann ich dabei nur mutmaßen. Was ich aber weiß, ist, dass Nepotismus in meinem Herkunftsland, der Slowakei, eher wirkliche Familiensache ist und man sich auch dafür schämt, andere nach einem Job für sein Kind zu fragen. Es bedeutet eben auch immer bis zu einem gewissen Grad—zumindest in meiner Familie und ihrem Umfeld—, dass es dein Kind nicht alleine schafft. Kontakte ja, aber bitte selber knüpfen. Dafür ist die Slowakei aber äußerst korrupt.

In Österreich ist Korruption vergleichsmäßig wenig vorhanden. 2015 haben wir den 16. Platz im Korruptions-Ranking belegt—von 176 Staaten. Ich erwähne hier Korruption, weil sie genauso eine unfaire Taktik der Begünstigung ist. Beide schaffen ein Ungleichgewicht und beide sorgen dafür, dass gewisse Stellen einem bestimmten Teil der Bevölkerung verschlossen bleiben.

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Dänemark ist übrigens auf Platz 1 der korruptionsfreien Staaten. In Dänemark haben aber auch 28 Prozent der Söhne noch vor dem 30. Lebensjahr eine Arbeitsstelle, die auch der Vater im Lebenslauf hat oder hatte. Wie es mit den Freunden vom Vater aussieht, kann nur schwer erhoben werden.

Aktuelle Vergleichszahlen für Österreich gibt es nicht. 2013 erreichte Österreich aber den ersten Platz des "Global Right To Information"-Ratings—wenn auch den ersten Platz von hinten. Bei uns wird demnach mehr vertuscht und geschoben als zum Beispiel in den europäischen Oststaaten, in Italien oder im Sudan.

Der Soziologe Jörg Flecker sagt zum Thema Nepotismus: "Wir haben in unserer Gesellschaft verschiedene Formen sozialer Ordnungen, die einander überlagern. Neben Markt, Bürokratie, Leistungsprinzip und noch ein paar anderen Faktoren, die offiziell bestimmend dafür sind, wer in welche Position gelangt und welche Belohnungen bekommt, wirken auch Muster der Gegenseitigkeit sowie soziale Schließung, Patriarchat und so weiter. Mit Gegenseitigkeit ist gemeint, dass man sich für einen erwiesenen Dienst erkenntlich zeigen und etwas zurückgeben muss. Das kann dann eine ansonsten ungerechtfertigte Bevorzugung sein. Eine etwas stabilere Form sind Seilschaften, die einander beim beruflichen Fortkommen helfen."

Broadly: Haben nur dumme Leute viele Freunde?

Laut Flecker kennen wir das Prinzip der Freunderlwirtschaft in vielen verschiedenen Formen—sei es ein Kartellverband oder in der Vorherrschaft der Männer gegenüber von Frauen, die sich in der "gläsernen Decke" und dem Einkommensunterschied ausdrückt—Männer seien auf eine gewisse Art auch Freunderl. Wahrscheinlich ist es nur menschlich, für diverse Posten Menschen zu suchen, die mir in der Einstellung gleichen. Es ist nur unfair und wird meiner Meinung nach schwierig, wenn es um die politische Einstellung geht.

"Die Bedeutung der einzelnen Vergesellschaftungsformen variiert nach 'Kulturen' und ist innerhalb dieser immer umkämpft. Das ist die gute Nachricht: Es bleibt nicht so, wie es ist. Die schlechte: Es kann immer auch schlimmer werden" sagt Jörg Flecker abschließend—beruhigt bin ich nicht.

Da könnte nämlich durchaus etwas dran sein. Das größte Problem ist in meinen Augen, wie sehr Nepotismus als Bonus empfunden wird, wenn man es endlich auf die andere Seite geschafft hat. Damit meine ich: Sobald man im System der Freunderlwirtschaft drinnen ist, arbeitet man nicht mehr an der Beseitigung des Problems, sondern nützt es für sich—egal, wie sehr man zuvor als Außenstehender noch dagegen war. So betreiben es irgendwann alle und machen Nepotismus bis in die surrealsten Verwandtschafts- und Bekanntheitsgrade salonfähig.

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie wir da rauskommen und ob Österreich da überhaupt raus möchte. Denn, so die Soziologin Viktoria Holzmann: "Ein soziales Klima, in dem Schiebung ohne Protest aus der gesellschaftlichen Mitte heraus hingenommen wird, begünstigt Freunderlwirtschaft." Ein abfälliger Blick geht sich bei der nächsten Praktikum-Party also aus. Und sich in Zukunft ins Bewusstsein zu rufen, dass man eine gute Gesellschaft für alle Kinder schaffen möchte—nicht nur für seines. Das könnte es doch sowieso alleine schaffen. Man muss es nur lassen.

Folgt Fredi auf Twitter, ohne ein Familienmitglied zu sein: @schla_wienerin