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Arbeitslos und trotzdem glücklich: Wenn man seinen Job kündigt und dem Geld abschwört

Wir haben mit jungen Führungskräften darüber gesprochen, warum sie ihre Arbeit aufgegeben haben, um von der staatlichen Hilfe zu leben.

Foto: Kate Haskell | Flickr | CC BY 2.0

„Ich bin meinen letzten Job jetzt nicht mit dem Gedanken angegangen, dass ich unbedingt wieder gefeuert werden will. Ich habe Maschinenbau studiert und war nach meinem Abschluss auch wirklich motiviert. Ich wollte arbeiten", erzählt mir Benjamin bei einer Tasse Kaffee.

Benjamin ist nun 31 und lebt in Frankreich. Im Jahr 2013 rief er die Website sortirdutravail.org ins Leben—eine Plattform für Menschen, die ihren Job hinschmeißen wollen und auch nicht den Wunsch haben, einen neuen zu finden. Diesen Menschen gibt Benjamin wertvolle Tipps, wie man ohne Arbeit in einer Gesellschaft zurechtkommt, in der quasi erwartet wird, dass man arbeitet.

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Benjamin war zweieinhalb Jahre lang in einem Start-up-Unternehmen angestellt und musste am Anfang noch richtig hart schuften, bekam später jedoch eine Teilzeitstelle zugesprochen. „Wir hatten dort auch einen Lehrling, der von den Chefs wie Dreck behandelt wurde. Als ich mich dann auf seine Seite schlug, ging das ziemlich nach hinten los", meint er. Benjamins Arbeitsbedingungen verschlechterten sich zunehmend und deswegen kam er zu dem Schluss, dass sein einziger Ausweg darin bestand, gefeuert zu werden. „Als Erstes musste ich sicherstellen, dass meine Motivation für alle sichtbar flöten ging. Dann fing ich an, absichtlich schwere Fehler zu machen. So schrieb ich zum Beispiel einem Teilhaber eine Mail, in der ich ihn zum Essen einlud, um über meine Sorgen bezüglich der Firma zu reden—meine Chefs habe ich dabei auf cc gesetzt. Mein Account war dann nach nicht mal einer Stunde geblockt." Im November 2014 wurde Benjamin dann aufgrund von schwerwiegendem Fehlverhalten gefeuert und hat seitdem nicht mehr gearbeitet—aber nicht, weil er keinen Job mehr findet, sondern weil er sich gar nicht mehr auf die Suche macht.

Bei einer aktuellen Arbeitslosenquote von 9,4 Prozent (in Österreich) mutet es für viele Leute doch recht rabiat an, seinen Job hinzuschmeißen, weil man keinen Bock mehr darauf hat. Andere empfinden das Ganze vielleicht auch als Arschloch-Aktion. So wurde Benjamin auch schon oft als Sozialschmarotzer bezeichnet, aber das juckt ihn nicht: „Jetzt habe ich Zeit, immer allen Menschen zu helfen—egal ob sie nun krank sind, sich traurig fühlen oder irgendwie anderweitig Unterstützung brauchen. Langweilig wird mir dabei nie und ich bin wirklich glücklich mit meinem eingeschlagenen Weg. Aber genau das macht die Leute auch wütend—also dass ein so junger Typ wie ich, der nicht lange genug geschuftet hat, sich dazu entscheidet, nicht mehr zu arbeiten, und dann auch noch glücklich damit ist." Seiner Meinung nach ist sein Leben kein dekadentes Ausnutzen der Steuerzahler: „Ich brauche nicht viel und vielleicht werde ich irgendwann auch mal wieder in irgendeiner Form arbeiten müssen. Da habe ich jetzt aber noch keine konkreten Pläne. Ich weiß nur, dass ich mich durch ein Leben mit weniger Hab und Gut lebendiger fühl als damals, als ich noch eine Menge Geld verdient habe."

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Benjamin ist mit seiner Denkweise nicht allein: Der 37-jährige Vincent machte als IT-Projektmanager zum Beispiel gut 6.000 Euro im Monat und deshalb brachte seine Kündigung auch einen radikalen Einschnitt mit sich. „Ich hatte mich komplett der Firma verschrieben. 2003 kam dann der Burnout. Ich habe versucht, mich umzubringen, und deswegen gab man mir auch drei Wochen Urlaub. Danach ging es eine Zeit lang wieder ganz gut, aber vier Jahre später entwickelte sich alles erneut in eine negative Richtung. Deshalb schmiss ich 2008 schließlich alles hin." Daraufhin arbeitete Vincent als Tauchlehrer in Ägypten, kehrte ein Jahr später jedoch wieder in seine Heimat zurück. Da hatte sich seine Sicht aufs Leben schon komplett geändert. „Ich wurde zum Anti-Kapitalisten. Für mich gibt es jetzt keine andere Option mehr, als dieses System aktiv zu bekämpfen." Heutzutage nutzt er seine freie Zeit, um in einer Selbstversorger-Öko-Gemeinschaft zu arbeiten: „Ich betreue die Permakultur-Projekte, repariere das Hausdach oder baue ein Gewächshaus aus Bauresten. Solche Sachen halt." Daneben liegt ihm aber auch noch der Aktivismus sehr am Herzen.

Eine Weile lebte Vincent dabei von seinen Ersparnissen, aber inzwischen verlässt er sich auf die Arbeitslosenhilfe sowie seine Sparsamkeit. „Geld zu besitzen, hat mich davon abgehalten, die nötigen Veränderungen wirklich durchzuziehen. Heute habe ich quasi kein Geld mehr, bin aber trotzdem viel glücklicher." Um seine Ausgaben noch weiter zu minimieren, plant Vincent, schon bald aus seiner Öko-Gemeinschaft auszuziehen und in einem Truck zu wohnen. „Ich kaufe eigentlich nur noch Zigaretten und anderen Kleinkram. Vor Kurzem habe ich mir zum Beispiel einen Scheinwerfer gegönnt. Ich distanziere mich jedoch vom Geld, weil ich mich sofort eingeengt fühle, wenn mein Handeln nur noch auf meine Finanzen ausgelegt ist."

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Aber auch die 32 Jahre alte Claire hatte politische Gründe, um das Hamsterrad des Berufslebens zu verlassen: „Während der G8- und G20-Demonstrationen konnte ich etwas kritische Distanz schaffen und mich so auch fragen, ob mein Job überhaupt das Richtige für mich sei." Sie entschied sich dazu, eine Pause einzulegen und einen Monat lang zu reisen. Sie kam jedoch nicht ausgeruht und motiviert wieder zurück: „Als ich den ganzen Stress sah und mir dazu noch bewusst wurde, wie sinnlos das alles ist, wusste ich sofort, dass das für mich so nicht weitergehen muss. Nein, außerhalb des Büros kann ich mit meinem Leben viel mehr anfangen."

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„Ich fühlte mich wieder lebendig und entschied mich deshalb dazu, ein ganzes Jahr lang nicht zu arbeiten. Die ersten drei Monate lief es dabei gar nicht mal so gut, weil ich immer wieder in alte Muster zurückfiel. Ich habe mich ständig gefragt, ob ich wirklich glücklich damit sein kann, nur herumzusitzen, während sich andere einen Job suchen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich diese Frage mit ja beantworten konnte. Inzwischen denke ich gar nicht mehr darüber nach, in mein altes Leben zurückzukehren."

Auch die 31-jährige Elise wurde in ihrem Job nicht glücklich, fand dann aber zum Glück einen Kompromiss: „Seit acht Jahren arbeite ich mit Unterbrechungen im öffentlichen Bereich. Dazwischen kommen immer wieder Abschnitte der bezahlten Arbeitslosigkeit." Dazu muss man wissen, dass man in Frankreich nach dem Jobverlust für die Zeit, die man gearbeitet hat, gut 70 Prozent des alten Gehalts bekommt. Natürlich gibt es dafür aber auch gewisse Voraussetzungen: Zum einen muss man vorher mindestens 122 Tage angestellt gewesen sein und zum anderen darf man nicht wegen groben Fehlverhaltens gefeuert worden sein.

Jetzt arbeitet Elise immer das Minimum an Tagen, um für die Arbeitslosenkompensation berechtigt zu sein, die 70 Prozent ihres normalen Gehalts entspricht. Wenn dieser Geldhahn dann wieder zugedreht wird, geht sie einfach wieder arbeiten. „Wenn ich meinem Umfeld davon erzähle, dass ich quasi nur arbeite, um bald wieder arbeitslos sein zu können, dann reagieren die Leute natürlich nicht gerade positiv." So sind ihre Eltern zum Beispiel der Meinung, dass Elise ihr Potenzial verschwendet. „Oftmals fühle ich mich schon stigmatisiert, wenn ich von meinem Karriereverlauf erzähle. Im Normalfall sind die Leute, die Vollzeit arbeiten, aber auch schon ein wenig neidisch auf mich."

In der jüngsten Vergangenheit sind diverse Alternativen zum Konzept „Geld nur gegen Arbeit" immer populärer geworden. Das zeigen die Diskussionen um das bedingungslose Grundeinkommen. Es wird wohl jedoch noch eine ganze Weile dauern, bevor sich die Gesellschaft von der Ansicht lösen kann, dass man nur Anspruch auf Geld hat, wenn man auch dafür arbeitet. Und so lange Geld die Welt regiert, wird man Benjamin, Vincent, Claire, Elise und andere Freigeister auch weiterhin als Schmarotzer ansehen.