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Ich habe mich als Koks-Dealer versucht und bin total gescheitert

Als mir die Sicherung durchbrannte, holte ich mir bei der Mafia Kokain. Doch Dealen ist nicht so einfach, wie ich mir das vorgestellt hatte.
Foto: In Digo Photography

Rückblickend sollte ich vermutlich behaupten, dass ich jung und dumm war—doch das wäre gelogen. Ich wusste ganz genau, was ich tat, als ich von der serbischen Mafia Kokain im Wert von 2.000 Franken kaufte. Geschissen aufs 0815-Leben—ich wollte Drogen verticken!

Als ich mit 19 Jahren die Matura abschloss, besorgte ich mir einen Job bei einer Versicherung. Den gesellschaftlichen Erwartungen folgend, entfloh ich auch dem elterlichen Nest und legte mir eine eigene Wohnung zu. Von 8:00 bis 17:00 Uhr sass ich im Anzug im Büro und erledigte pflichtbewusst meine Arbeit.

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Die Feierabende verbrachte ich auf der Couch—neben mir meine Freundin, vor mir die Serien in der Glotze. Zwischendurch pumpte ich bei einem Ausflug ins Fitnessstudio meine Muskeln auf und natürlich liess ich es an den Wochenenden ordentlich krachen. Sowas nennt man wohl „Mit beiden Beinen fest im Leben stehen". Doch hätte das nicht eigentlich die beste Zeit meines Lebens sein sollen?

Die anfängliche Euphorie darüber, endlich Erwachsen zu sein, verpuffte irgendwann und mit ihr mein Glück. Beim blossen Gedanken an meinen Versicherungs-Job, kam mir die Galle bereits hoch. Nach ein paar Monaten kotzte mich mein Dasein nur noch an—jeden Tag derselbe scheiss Anzug, jeden Tag derselbe scheiss Job … Sollte das mein Leben sein? Für die nächsten 50 Jahre? Der graue Alltag wurde mein Zuhälter und ich seine Nutte. Ich brauchte dringend eine Abkürzung durch mein Leben!

Foto: martin.mutch | Flickr | CC BY 2.0

Keine Lust auf Karriere, Familie oder den ganzen sonstigen Mist—das überliess ich der dummen Arbeiterklasse. Die Welt hätte mir zu Füssen liegen sollen, stattdessen betäubten mich abends die Soap Operas im TV und tagsüber schwamm ich als kleines Fischchen im Strom der belanglosen Mittelschicht. Trotzdem wusste ich: Mir war ein Leben voll „Sex, Drugs und Rock'n'Roll" vorbestimmt. Ich liebte das Leben viel zu sehr, um so weiterzumachen.

Ich entschied: Eine radikale Änderung musste her. Am Rande einer Depression schien das echte Leben an mir vorbeizurasen. Hinter dem Vorhang der Realität hoffte ich auf etwas Besseres. Ich musste ausbrechen und gab mich vollends dieser Phantasie hin—langsam flüchtete ich vor der eigentlichen Wahrheit.

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Auf der Suche nach einem Ausweg sah ich nur zwei Möglichkeiten: Ein Banküberfall oder der Einstieg ins Drogengeschäft. Da sich als Mary Jane konsumierender Pazifist ein Banküberfall nicht gerade richtig anfühlte, entschied ich mich für Letzteres. Das konnte ja schliesslich nicht so schwierig sein.

Den Vertrieb von Cannabis schloss ich kategorisch aus: Kleine Marge und grosses Risiko. Das gute Grünzeug benötigt reichlich Platz und der intensive Geruch verriet es sofort. Kokain war da schon besser—handlich und geruchsneutral. Da gab es nur ein kleines Problem: Ich konsumierte keins. Das hielt mich aber nicht davon ab, es verkaufen zu wollen. Ich kannte genügend Grasdealer, die mich mit jemandem bekannt machen würden.

Der Plan war simpel: Drogen kaufen und weiterverkaufen. Mit dem Gewinn noch mehr Drogen kaufen und noch mehr Geld verdienen. Wegen mangelndem Startkapital holte ich meinen Freund Maximilian mit an Bord. Wir steuerten je 1.000 Franken bei und liessen uns von einem befreundeten Dealer vermitteln. Tatsächlich kannte dieser jemanden von der serbischen Mafia, der nichts dagegen hatte, ein paar planlosen Kids Koks zu verkaufen

Foto: Isengardt | Flickr | CC BY 2.0

„Wir müssen das Zeug mindestens ausprobieren, bevor wir es verticken", entschieden Maximilian und ich. Während im Hintergrund „White Rabbit" von „Jefferson Airplane" lief, lernte meine Nase die erste Line ihres Lebens kennen. Mit soviel Mut, wie ihn nur junge Idioten aufbringen konnten, jagten wir das weisse Pulver die Nasenlöcher hoch. Und nochmals. Und nochmals.

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Total zugekokst machten wir uns ans Werk. Dank hilfreicher Tipps der Mafiosi wussten wir, was zu tun war: Zerschneiden, den Reinheitsgrad mit Gatorade-Tabletten strecken und das Endprodukt in kleine Tütchen verpacken. Wir rechneten mit einem Gewinn von 40 Prozent, das entsprach 800 Franken. Kein schlechter Anfang.

Foto: Ian Stannard | Flickr | CC BY-SA 2.0

Absolut planlos und voll auf Koks platzierten wir uns vor den Clubs der Stadt. Ich kam mir wie ein Junkie vor, der die Leute auf der Strasse um Geld anbettelt, damit er sich den nächsten Schuss setzen konnte. Ich flehte die Partygänger an, versuchte meinen Stoff an den Man zu bringen. Doch kein Mensch kaufte auch nur ein Tütchen. Mein Scarface-Luftschloss schlug auf dem harten Boden der Realität auf. Ich gab einen miserablen Drogendealer ab.

Beschämt gingen Maximilian und ich nach Hause und trösteten uns dort, indem wir wie wild weiterkoksten. Trotz einer herben Niederlage war aufgeben keine Option. Schliesslich hatte selbst der skrupellose Tony Montana seine Zeit gebraucht. Nächstes Wochenende würden wir einfach den nächsten Anlauf starten.

Das Projekt „Drogendealer" nahm jedoch ein abruptes Ende. Am nächsten Tag rief mich Maximilian mitten in der Nacht völlig aufgelöst an: „Sie wird mich verlassen!" Gerade wollte ich fragen, was los sei, als er in den Hörer schrie: „Meine Freundin hat das Koks im Schrank gefunden!" Bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, fügte er hinzu: „Du verstehst nicht. Sie hat das ganze Koks das Klo runtergespült und ist davongerannt! Die ruft jetzt bestimmt die Bullen!" Das war's, wir waren gefickt.

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Im Nachhinein muss ich sagen, es hätte schlimmer kommen können. Viel schlimmer. Das Koks war zwar weg, doch die Polizei klopfte entgegen meinen schlimmsten Erwartungen nie an meine Tür. Die Jagd nach einer Phantasie hätte beinahe mein Leben zerstört. Auf der Suche nach dem Glanz und Glamour aus den Filmen, vergass ich meine Realität. Ich hatte unglaubliches Glück, dass das Geld wortwörtlich ins Wasser gefallen war. Vermutlich gebe ich den schlechtesten Drogendealer der Welt ab und das ist OK so.

Foto: Isengardt | Flickr | CC BY 2.0

Als Feigling versuchte ich eine Abkürzung zu nehmen, doch Veränderungen brauchen Zeit. Für ein ehrliches Leben sich selbst gegenüber benötigt man verdammt viel Mut und Ausdauer. Vieles musste ich verändern und anpacken, auch mein Denken. „A working class hero is something to be"—heute verstehe ich Lennons Worte endlich.

Natürlich rauche ich trotzdem weiterhin gerne meine Joints. Wenn sich das Grünzeug dem Ende neigt, gehe ich zum Dealer meines Vertrauens und bestaune seine Coolness aus der Nähe. Ich habe keine Ahnung wie, aber der Typ macht das schon seit 15 Jahren. Tony Montana wäre stolz auf ihn. Na ja, ich kuschle mich jetzt an meine Freundin—wir schauen heute „Desperate Housewives".

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Titelfoto: In Digo Photography | Flickr | CC BY 2.0