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Cop Watch

„Vor 15 Jahren wär das noch anders gewesen, da hätten wir ihm einfach eine reingehauen.“

Die Polizei hat sich bei den Protesten gegen die Identitären im Mai einige Fehltritte geleistet. Ein Festgenommener berichtet.
Fotos von Kurt Prinz

​Am 17. Mai sind Mitglieder der Identitären Bewegungen aus ganz Europa ​durch Wien marschiert. Gegendemonstranten wollten diesen Marsch verhindern, stellten sich den Identitären immer wieder in den Weg und wurden von der Polizei teilweise brutal aus dem Weg geräumt. Nicht nur beim Volkstheater kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Gegendemonstranten, auch im 8. Bezirk, in der Josefstädterstraße wurden Menschen festgenommen.

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Einer der Festgenommenen hat uns in der Redaktion besucht und von seiner Festnahme und dem darauffolgenden Prozess erzählt. Benjamin hat eine befreundete Juristin, Clara, mitgebracht, die zwischendurch immer Hintergründe erklärt und von anderen, ähnlichen Prozessen berichtet. Benjamin ist bewusst, dass sein Fall in der Reihe von Polizei- und Justizskandalen der letzten Zeit eher zu den harmloseren gehört und sagt, „dass Polizeigewalt Menschen, die nicht als weiß und bürgerlich wahrgenommen werden, in der Regel gewiss härter und häufiger trifft". Aber er möchte durch seine Schilderungen aufzeigen, was in Österreich offenbar Normalität ist. Denn als Skandal wurden seiner und ähnliche Fälle nie in der breiten Öffentlichkeit diskutiert. Obwohl sie genau das sind.

Benjamin ist 23 und studiert Politikwissenschaft an der Uni Wien. Am 17. Mai war er erst Teil der Gegendemonstration, die die Mariahilferstraße entlanggegangen ist, danach ging er mit anderen Demonstranten in Richtung Centimeter, in dem die Identitären eingekehrt waren. Auf dem Weg wurden er und einige andere Demonstranten festgenommen. Ecke Josefstädterstraße/Auerspergstraße bildete sich eine Polizeikette, die einige Demonstranten langsam zur Seite drückte.

„Plötzlich haben sie mich von hinten gepackt und mitgenommen, ich habe keinen Widerstand geleistet, aber sie haben mich hinter die Polizeikette gebracht und gesagt, es wäre ,illegale Teilnahme an einer Versammlung'. Ich habe mit ihnen diskutiert gesagt, dass es so etwas im Strafrecht nicht gibt."

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Kurt Prinz hat den 17. Mai für uns ​in Fotos festgehalten.

Daraufhin erwiderten die Polizisten, dass er wieder gehen dürfte, wenn er ihnen seine Daten gebe, doch Oberstleutnant Granig, der für den Einsatz verantwortlich war, sah das anders: „Doch, doch, die Achter gib ihm." Mit Achtern sind Handschellen gemeint. Oberleutnant Granig ist jener Polizist, der seinen ​„Zusammenstoß" mit einer Demonstrantin bei den Refugee-Protesten nur mit den Worten „vui zamgrennt" kommentierte.

​Banjamin wurde in die Einzelzelle eines Polizeiautos gesetzt, von wo er die Rechtshilfe, seine Mutter und Freunde anrief. Irgendwann kam ein Polizist und sagte ihm, ihm würde „Widerstand gegen die Staatsgewalt" vorgeworfen und er habe versucht, die Polizeikette mit Schlägen und Tritten zu durchbrechen. Im Auto saß noch ein anderer festgenommener Demonstrant, der sich einige Male übergeben musste.

Sie wurden in das Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände gebracht, wo der Festgenommene, dem es schon im Auto nicht gut gegangen war, beim Eingangsbereich der Polizeistation lag, während die Polizisten ihm sagten, er solle sich ausziehen. Als dieser sich weigerte, sagte einer der Polizisten: „Wir können auch die Hunde holen, die reißen es ihm dann runter. Wir haben alles: Rottweiler, Schäferhunde, …". Als Benjamin nicht darauf antwortete, fügte er hinzu: „Vor 15 Jahren wär das noch anders gewesen, da hätten wir ihm einfach eine reigehauen." Einige Stunden war Benjamin in einer Einzelzelle. Er sagt, sie seien von den Beamten grundsätzlich als Schuldige behandelt wurden. Immer wieder seien abfällige Kommentare gefallen, warum er das und das gemacht hätte.

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Vor den Verhören hatten sie ihm mit Desinfektionsmittel die Nummer der Rechthilfe vom Arm entfernt, die er sich vor der Demonstration dort notiert hatte. Clara erklärt, dass die Polzei dies tut, damit man sich nicht nach Außen vernetzen kann, um es beim Verhör als Druckmittel einsetzen zu können, dass man keine Ratschläge von Außen bekommt. Zu Benjamins Glück hatte er im Auto noch Zeit gehabt, die Nummer der Rechtshilfe zu wählen. Als er keine Aussage machte, sagte ein Polizist auf dem Gang extra laut: „Wer schweigt, der bleibt." Bei alldem hatte Benjamin ​Josef S. im Kopf, der tatsächlich geschwiegen hatte und bleiben musste, nur weil ihn ein Polizist belastete.

​Auch Benjamin wurde von einem einzigen Polizisten belastet, der ihm vorwarf, versucht zu haben, die Polizeikette mit Gewalt zu durchbrechen. Zu einer Kette gehören meistens mehrere Polizisten, kein anderer fand sich, der das bezeugen konnte. Benjamin fand ein Video, das ihn bei der Festnahme zeigt, aber keines, das ihn vollkommen entlastete. Das tat der Belastungszeuge dann aber selbst: Er erschien nicht zum Prozess, der Richter war erstaunt darüber, las die Zeugenaussage vor und sagte schon während dem Lesen, dass es vorne und hinten nicht zusammenpasse. Benjamin wurde freigesprochen.

Bei einem anderen Prozess gegen einen Demonstranten vom 17. Mai, der auch mit einem Freispruch geendet hat, entschuldigte sich die Staatsanwaltschaft beim Angeklagten. Ein Polizist, der an diesem Tag geladen war, entlastete den Angeklagten, sagte, dass das alles so nicht stattgefunden habe (und diese Aussage ist wichtig für alle Prozesse, die aufgrund der Geschehnisse am 17. Mai stattfanden):

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An diesem Tag ist viel Wirrwarr protokolliert worden.

Die Staatsanwaltschaft hat sich darauf beim Angeklagten entschuldigt, ihn ohne Zweifel freigesprochen, gesagt, dass ihr die Aktenlage vor dem Prozess nicht bewusst war, sie auch nicht die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen geleitet und da nie Anklage erhoben hätte.

Benjamin ist einer derer, die bei einer solchen Anzeige Glück hatten. Es gibt genug Fälle, in denen der Polizist vor Gericht erscheint und seine Aussage, trotz aller Widersprüche, durchzieht. Wie das enden kann, haben wir bei der (nicht rechtskräftigen) Verurteilung von Josef S. gesehen.

Wenn man also unschuldig festgenommen wird, einen Verfahren hat und freigesprochen wird, was bleibt? Benjamins Freispruch ist rechtskräftig, die Verhandlung also abgeschlossen. Trotzdem bleibt ein halbes Jahr, in dem man sich um Beweismaterial kümmert, das einem helfen könnte, Anwaltskosten und Tausende Nerven, die diese monatelange Ungewissheit mit sich bringt. Egal, wie unschuldig man ist und egal, wie oft sich die Staatsanwaltschaft entschuldigt: verlorene Nerven und Anwaltskosten bleiben. Und die sind nicht gering.

Am 17. Mai gab es beinahe doppelt so viele Festnahmen wie bei den Protesten gegen den Akademikerball. Dabei waren es im Mai mit circa 500 Leuten viel weniger Gegendemonstranten als im Januar. Im November wird es noch weitere Verhandlungen geben. Clara sagt, es wirke ein wenig, als hätte sich die Polizei mit ihrem Einsatz im Mai für das Chaos im Januar gerächt.

Folgt Hanna auf Twitter: @hhumorlos.

Wenn ihr schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht oder Polizeigewalt beobachtet habt, ​schreibt uns eine Mail.