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Wahlen 2015

So klein und schon (fast) Partei: Ecopop

Die Schweiz wird zubetoniert, findet Joel von Allem und tritt deswegen zu den Wahlen an. Auch wenn er weiss, dass er kaum gewählt werden wird.

Foto von Till Rippmann

Am 18. Oktober wählen wir ein neues Parlament. Die Regeln dafür haben wir euch schon in unserem ABC erläutert. Genauso, was bisher geschah im Wahlkampf. Nun stellen wir euch in den nächsten Wochen Parteien und Kandidaten vor, deren Slogans ihr kaum auf irgendwelchen nichtssagenden Plakaten sehen werdet. Weil sie zu wenig Kohle haben, um die APG kleistern oder eine halbe Zeitungsseiten drucken zu lassen. Deshalb laden wir derzeit die Kleinsten unter den Kleinparteien zu uns ins Büro und lassen sie Auskunft geben darüber, mit welchen Positionen sie an der 1-Prozent-Stimmengrenze kratzen wollen. Und warum sie sich die undankbaren Niederungen der Politik überhaupt antun.

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Den Anfang macht Ecopop. Vergangenen November beschäftigte die Initiative um den Co-Präsidenten der Aargauer Grünen Andreas Thommen die Schweiz mit ihren mindestens so kreativen wie gefährlichen Forderungen: Die Bevölkerung der Schweiz solle jährlich nur um 16.000 Menschen wachsen dürfen. Gleichzeitig soll die Schweiz schauen, dass die Menschen in Entwicklungsländern sich nicht so stark vermehren—das gängige Schlagwort: Kondome für Afrika. Dass das gegen diverse internationale Verträge verstösst, war ihnen egal. Vom Vorwurf des Ökofaschismus wollten die Initianten ebenso wenig wissen, es sei ja schliesslich alles für die Umwelt.

Die Initiative wurde auf drei Vierteln der abgegebenen Stimmzetteln abgeschmettert—doch die Ecopop-Menschen gaben nicht auf. Sie beschlossen, mit einer eigenen Liste zu den Wahlen anzutreten. Den Grünen gefiel der Plan ihres Aargauer Co-Präsidenten aus gut verständlichen Gründen nicht und sie schmissen ihn raus.

Ecopop besteht aber nicht nur aus alten verbitterten Männern, sondern auch aus einem jungen Typen. Ich habe mich mit Joel von Allmen (22 Jahre jung und vor vier Jahren auf der Wahlliste der Jungpartei der evangelischen EVP) getroffen, um mehr über seine Ziele zu erfahren. In einem zu grossen, knallroten Shirt mit einem „Stop Armut 2015"-Print sass er vor mir und erzählte davon, was an der Initiative falsch war und dass Homosexuelle mit Kindern einfach „nicht normal" seien. Zudem möchte er das Kiffen legalisieren und die Migration minimieren—kiffen würden eh alle und migrieren … naja, das sollen eben nicht alle dürfen.

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VICE: Möchtest du dieses Interview gegenlesen bevor es veröffentlicht wird?
Joel von Allmen: Nein. Es kommt eh nicht darauf an. Ich habe meine Meinung und die ändert sich nicht. Ich bin kein Unmensch, also habe ich auch keine Angst.

Beschreibe Ecopop bitte in einem Tweet.
Ecopop will, dass wir realistisch mit den Umweltressourcen umgehen.

Bei Ecopop kandidieren zwölf Männer und nur eine Frau. Wie erklärst du dir das?
Das ist schwer zu erklären. Sie hatten es allgemein schwer, Leute zu finden. Es gibt sicherlich Parteien, bei denen du dich nicht dermassen ins Kreuzfeuer stellst.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Joel von Allmen.

Das Image von Ecopop ist sehr schlecht. Die Chance, dass du wirklich gewählt wirst, ist dementsprechend gering. Warum tust du dir das trotzdem an?
Ich tu mir das nicht an, ich setze mich gerne für die Anliegen ein. Für mich ist es wichtig, dass ich Ansichten in die Politik einbringe, die von den anderen Parteien nicht getragen werden.

Abgesehen von Ecopop, was ist deine Lieblingspartei?
Mitteparteien wie die EVP und die GLP. Wenn ich die Politik verfolgt habe, hat es mich immer genervt, dass die einen etwas labern und die anderen etwas labern, sie aber nicht aufeinander zugehen. Im Vornherein schon zu sagen, der andere habe keine Ahnung—und ich kenne solche Leute aus linken und rechten Kreisen—das ist schade.

Das Hauptanliegen von Ecopop ist, die Nettozuwanderung auf 0.2 Prozent zu beschränken—also circa 16.000 Menschen, um die Schweiz jährlich wachsen darf. Das ist eine sehr radikale Forderung.
Ja, das ist es.

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Du bist aber an Dialog interessiert—ist da eine derart radikale Positionierung förderlich?
Ich habe nicht das Gefühl, dass ich radikal bin. Ich bin nicht der Typ, der sagt, diese Zahl sei genau das Richtige. Das ist bei Ecopop auch nicht das Ziel. Aus meiner Sicht war das vielleicht auch eine etwas falsche Berechnung. Die damalige Ansicht von Ecopop war falsch für die Schweiz.

Was wäre die richtige Lösung?
Auf jeden Fall eine Kontingentierung, aber eine flexible. Man wird auf die Wirtschaft Rücksicht nehmen müssen, sonst haben wir keine Mehrheit. Mir liegt aber nicht nur die Einwanderung am Herzen, sondern allgemein ein ökologisches Verhalten. Wir können zum Beispiel Anreize setzen, dass Supermärkte gewisse Waren nicht mehr wegschmeissen dürfen.

Screenshot von Joels smartspider. Das Herz ist nicht für Einwanderer.

Auf Smartvote hast du aber von allen Ecopop-Kandidaten mit Abstand den tiefsten Wert was den Umweltschutz anbelangt.
Das ist spannend. Ich bin für Umweltschutz, aber es muss ein realistischer sein. Ich habe während dem Studium mit Umweltwissenschaftlern zusammengearbeitet. Das ist schon spannend, was sie machen—aber man kann es auch übertreiben.

Du hast vor vier Jahren schon für die Junge EVP kandidiert. Was für einen Stellenwert nimmt Politik in deinem Leben ein? Ist sie Hobby oder mehr?
Sie ist ein Hobby. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Politik immer wichtig war. Der eine hat die Ansicht, der andere eine andere. Das ist gut. Und irgendwie ist es auch eine Art des Verantwortungsbewusstseins.

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Wenn du in den Ausgang gehst, redest du dann mit Leuten über Politik? Bist du stolz darauf, politisch aktiv zu sein?
Nein, ich habe ja auch keine wahnsinnige Stellung inne. Im persönlichen Umfeld weisst du auch, welche Leute gerne über Politik reden und welche nicht.

Wo gehst du eher weg—Street Parade oder Schützenfest?
Bislang an keinem der beiden. Ich mache in meiner Freizeit vor allem Sport. Wenn ich mal weggehe, dann eher etwas essen oder mit Freunden in eine Bar ein Bier trinken. Ich bin eher auf der gemütlichen Seite.

Hast du schon mal gekifft?
Nein.

In Teilen der USA und in Uruguay ist Cannabis legal. Findest du das gut?
Ja, das würde auch der Schweiz gut tun. Im Endeffekt haben wir ein krankes System. Es gibt so viele Leute, die kiffen und wir treiben sie sozusagen in die Illegalität. Und der Stoff ist nicht kontrolliert, das ist das Gefährliche daran. Du weisst nicht, was du nimmst.

Momentan ist die Ehe für alle—also auch für Homosexuelle—ein grosses Thema. Wie stehst du dazu?
Heiraten dürfen sie auf jeden Fall. Aber ich bin der Überzeugung, dass es von Vorteil ist, wenn ein Kind Mann und Frau als Eltern hat. Ob man die Adoption verbietet oder wie man das umsetzt, das ist eine emotionale Sache. Eigentlich können heute ja auch homosexuelle Paare schon eine Familie haben. Wir sind ja so liberal und verhindern kann man das eh nicht. Aber mit Kindern, das finde ich nicht normal.

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Auf der Ecopop-Homepage schreibst du, dass die Schweiz immer mehr zubetoniert wird.
Ja.

Du wohnst in einem Ort mit 4.100 Einwohnern, der auf Google sehr, sehr grün aussieht. Wie merkst du an deinem Wohnort, dass der zubetoniert wird?
Da gibt es natürlich schon einen frappanten Unterschied. Früher hatte es sehr wenig Leute da. In den letzten 50 Jahren wurde es sehr zubetoniert. Das ist einfach der normale Wachstumszyklus.

So zubetoniert ist der Wohnort von Joel heute. Foto von Paebi | Wikimedia | CC BY-SA 3.0

Du bist nicht wirklich von der Forderung der Ecopop-Initiatve überzeugt. Hast du bei der Abstimmung mit Ja gestimmt?
Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, die Richtung ist die Richtige. Aber es ist immer falsch, solche Zahlen schon festzulegen.

Was war eigentlich das letzte Konzert an dem du warst?
Gute Frage. Ich gehe nicht so oft an Konzerte aber das war von meiner Schwester, als sie vorgesungen hat.

Und was für Musik hörst du so?
Ich höre sehr viel verschiedenes. Meistens bin ich der emotionale Hörer. Ich höre gerne Schweizer Hip Hop, aber auch normale Musik. Metal oder so.

Was macht für dich einen guten Politiker aus?
Wichtig ist, dass er nicht festgefahren ist, sondern auch auf Leute zugeht, die andere Ansichten haben und so versucht realistische Lösungen zu finden—und nicht auf seiner Lösung beharrt.

Gibt's da Beispiele?
Ja, sonst gäbe es die Schweiz in dieser Form gar nicht. Dufour, der war ja im Bürgerkrieg derjenige, der gesagt hat, wir greifen die nicht an. Er hat seine Soldaten und seine Ansichten geopfert, um etwas Besseres zu schaffen.

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Gibt's auch Politiker, die überhaupt nicht deinem Bild vom guten Politiker entsprechen?
Ja, gibt's schon. Ich möchte aber keine Namen nennen, das ist ja nur negativ behaftet. Egal in welcher Polpartei jemand ist: Wenn er nicht bereit ist, Lösungen zu suchen, mit denen auch Leute mit anderer Meinung leben können, ist er kein Kompromisspolitiker. Das geht gegen das demokratische Verständnis. Demokratie heisst ja, dass alle damit leben können.

Wenn du von Ecopop sprichst, sprichst du von „Sie". Identifizierst du dich überhaupt mit Ecopop?
Ja, schon. Aber es gibt natürlich eine riesige Bandbreite. Ich bin noch nicht so lange bei ihnen dabei und habe noch gar nicht viel bei Ecopop gemacht.

Möchtest du das Interview wirklich nicht gegenlesen?
Nein, im Moment ist gut.

Sebastian auf Twitter: @nitesabes

VICE Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland