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Sexualerziehung

Warum Berlin wissen will, was seine Lehrer im Bett treiben

In einer Umfrage will der Senat die sexuelle Orientierung von Lehrern herausfinden. Vielen Schülern könnte die Studie helfen.
Foto: imago | Michael Schick

Es gibt eine Reihe von Sachen, die dein Arbeitgeber dich nicht fragen darf: ob du rauchst, schwanger bist, welcher Religion du angehörst – und auch nicht, welche sexuelle Orientierung du hast. Genau nach Letzterem werden allerdings gerade Berliner Lehrer gefragt.

Unter dem Thema "Wie viel Vielfalt verträgt Schule?" führen die Humboldt Universität und die Sigmund Freud Privatuni in Berlin seit Ende der Sommerferien eine Umfrage durch, die der Berliner Senat in Auftrag gegeben hat. Die Teilnahme ist freiwillig, aber vom Senat erwünscht. Der wiederum ist der Arbeitgeber der Lehrer. Die Umfrage ist eigentlich geheim, niemand muss seinen Namen angeben. Allerdings werden Alter, Dienstjahre, Bezirk und sogar die Straße der Schule abgefragt. All diese Informationen zusammen machen es sehr einfach, darauf zu schließen, wer wie geantwortet hat.

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Das hat zu einiger Kritik geführt. "Hier wird eine Grenze überschritten", sagt FDP-Bildungspolitiker Paul Fresdorf gegenüber dem Tagesspiegel. Die CDU forderte den Senat auf, die Befragung zurückzuziehen.

"Die Aufregung ist ein Stück weit gerechtfertigt", sagt Tom Erdmann, Landesvorsitzender der Bildungsgewerkschaft für Lehrer in Berlin. Aber: "Die Rohdaten werden nicht an den Senat gegeben."

Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein ist da sehr skeptisch: "Die Uni sagt, dass sie die individuellen Daten nicht an ihren Auftraggeber weitergibt, da muss man wirklich viel Vertrauen aufbringen." Außerdem sei die Abfrage von sexuellen Vorlieben unüblich "in demokratischen Gesellschaften". Der Journalist sieht in der ganzen Aktion das nahe Ende einer toleranten Erziehung: "Was man nie wieder zulassen darf, sind Schulen, an denen nur eine einzige Art des Denkens gelehrt wird, so etwas hatten wir in Deutschland schon mehrmals." Es ist allerdings schleierhaft, woher er die Idee nimmt, dass das Ziel der Umfrage sei.

Denn eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Die Studie soll Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der Sexualität beleuchten. Die Frage ist, ob Lehrer, die selber homosexuell, lesbisch, bisexuell oder transgender sind, gegenüber ihren Schülern feinfühliger mit dem Thema umgehen. "Die Sensibilisierung für LGBTQ-Themen steht im Koalitionsvertrag der Landesregierung", sagt Tom Erdmann von der Bildungsgewerkschaft. Das ist eine wichtige Angelegenheit für die rot-rot-grüne Landesregierung. "Ein Lehrer, der selbst schon Diskriminierung aufgrund seiner sexuellen Orientierung erlebt hat, gestaltet seinen Unterricht möglicherweise anders", so Erdmann weiter. Es ist also nicht das Ziel, "Sex-Schnüffelei" zu betreiben, wie die Bild-Zeitung schreibt, oder Homosexuellen-Listen zu erstellen. Probleme sollen besser verstanden werden: Wie gehen Lehrer damit um, wenn ein Schüler einen anderen als "Schwuchtel" bezeichnet, oder damit, dass die Selbstmordrate bei LGBTQs vier- bis sechsmal erhöht ist.

Sexualität und Schule ist gerade jetzt ein umkämpftes Gebiet, die Rechten sprechen von "Frühsexualisierung" und suggerieren, dass sexuelle Vielfalt eine Gefahr für das klassische Familienbild von Vater, Mutter und Kind sei. Wissenschaftler nennen den Begriff "sinnlos" und sind der Meinung, dass Sexualerziehung Kinder stärken und gegen Gefahren schützen kann. Mit den Ergebnissen soll das Leben von LGBTQ-Personen verbessert werden. Dass die Daten auch tatsächlich nur dafür verwendet werden, braucht – wie Journalist Martenstein geschrieben hat – aber dennoch "wirklich viel Vertrauen".

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