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Die Neue Rechte

Wie die Identitären versuchen, Unternehmen zu unterwandern

Die Neue Rechte bringt sich in Stellung, um die Betriebsräte zu erobern.
Screenshot: Youtube-Video EinProzent

Peter Müller ist verzweifelt. Seit 20 Jahren arbeitet er als Maschinenführer im selben Betrieb – und dann wird er "von einer Minute auf die andere" gefeuert. Der Grund: seine politische Meinung. Denn weil er die Politik der Regierung "verantwortungslos" findet, ist Peter Müller zu Pegida gegangen. Und weil das jemand seinem Chef erzählt hat, ist er jetzt seinen Job los.

Das ist der – mit reichlich dramatischer Klaviermusik unterlegte – Plot eines Videos, das die rechte Bewegung "Ein Prozent für unser Land" im November auf YouTube hochgeladen hat. Das Ziel des Videos: "Patrioten" mobilisieren, die in die Betriebsräte gehen. "Patrioten schützen Patrioten", erklärt "Ein Prozent"-Chef Philipp Stein in der zweiten Hälfte des Videos das Projekt. "Das heißt: Gewählte Betriebsräte können andere Patrioten am Arbeitsplatz schützen, ihnen weiterhelfen und so endlich die Macht linker Gewerkschaften brechen."

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Screenshot von EinProzent

So überzogen das Video auch wirkt – das Projekt, die Betriebsräte deutscher Unternehmen systematisch mit strammrechten Kandidaten zu unterwandern, meinen die Macher von "Ein Prozent" ziemlich ernst.

"Ein Prozent", das ist so ein bisschen das Who-is-Who der sogenannten Neuen Rechten: Dahinter stecken vor allem Mitglieder der Identitären Bewegung (IB), aber auch Jürgen Elsässer, der Chefredakteur des antisemitischen Querfront-Magazins Compact, Hans-Thomas Tillschneider, der Vorsitzende der "Patriotischen Plattform" der AfD, und Götz Kubitschek, der rechte Verleger, der für die Jungs von der IB eine Rolle irgendwo zwischen nationalem Mentor und Supreme Leader Snoke spielt. Und diese Bewegung will den Aufwind, den sie spätestens seit dem Einzug der AfD in den Bundestag spürt, jetzt offenbar auch in echten Einfluss in deutschen Betrieben übersetzen.


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An der Entstehung dieser Idee sind linke Initiativen möglicherweise nicht ganz unschuldig: Als auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 plötzlich zahlreiche Menschen ihrem Hass auf Flüchtlinge in Facebook-Kommentaren freien Lauf ließen, bildete sich schnell eine Gegenbewegung, die solche Kommentare dokumentierte und dann an die Arbeitgeber der Verfasser schickte – mit der unzweideutigen Aufforderung, denjenigen zu feuern. Wenn die Meldung Erfolg hatte, wurde das gefeiert. Schon damals gab es auch Kritik an der Methode: "Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem Leute beim Arbeitgeber verpfiffen werden", erklärte zum Beispiel der Moderator Jan Böhmermann im Interview mit VICE. Die Praxis ging trotzdem weiter: Noch 2017 zum Beispiel "enttarnte" der SPD-Politiker Christopher Lauer einen Sparkassen-Mitarbeiter, nur weil der ihm (privat) geschrieben hatte, dass er AfD-Wähler sei. Und die Gewerkschaft ver.di gab gleich eine ganze Anleitung heraus, wie man Rechte im Betrieb erst identifizieren, dann isolieren und schließlich am geschicktesten beim Chef anschwärzen kann.

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Damit hatten die "Nazi-Jäger" ihren Gegnern allerdings auch die perfekte Vorlage gegeben, sich als Opfer politischer Verfolgung zu inszenieren – sowieso eine Lieblingsmethode der neuen Rechtspopulisten –, die sie dann auch gerne nutzten. "Jeder von uns hat mittlerweile einen Freund oder Bekannten, der seine Arbeitsstelle aus politischen Gründen verlor", heißt es auf der eigens eingerichteten Webseite der Betriebsrats-Kampagne dann auch. "Es trifft immer die kleinen Leute, deren Existenz vernichtet wird, weil sie vielleicht jeden Montag zu PEGIDA gehen, offen die Alternative für Deutschland (AfD) unterstützen oder einfach nur mit dem Kollegen in der Pause über politische Probleme reden."

Symbolfoto: Der Schlag ins Leere || imago | Peter Widmann

Dabei stört nicht, dass die Realität in den meisten Betrieben ziemlich anders aussieht. Tatsächlich müssen sich Rechte in den meisten Unternehmen nicht verstecken – ganz im Gegenteil: 15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder haben bei der Bundestagswahl AfD gewählt. "Es gibt schon lange ein ernst zu nehmendes rechtspopulistisches Potenzial unter den Gewerkschaftsmitgliedern. Es lag nahe, dass es früher oder später hervorbrechen würde", erklärte der Jenaer Sozialwissenschaftler Klaus Dörre gegenüber dem Tagesspiegel. "Jetzt äußern es die Leute in der Kantine, wenn sie Flüchtlinge nicht mögen“, bestätigt der Zeitung auch der sächsische DGB-Chef Markus Schlimbach.

Um dieses Potenzial auszuschöpfen, hat "Ein Prozent" sich mit einem Mann mit Erfahrung zusammengetan: Oliver Hilburger, der es mit seiner "alternativen Gewerkschaft" namens "Zentrum Automobil“ in den Betriebsrat bei Daimler in Stuttgart-Untertürkheim geschafft hat. Dass Hilburger fast 20 Jahre lang in einer Neonazi-Band namens Noie Werte gespielt hat (deren Songs den Soundtrack für die NSU-Bekennervideos lieferten), stört offenbar niemanden bei "Ein Prozent". Stattdessen will man auf seinem Erfolg eine bundesweite "patriotische" Gewerkschaft aufbauen.

Die Zeit drängt, denn in diesem Frühjahr ist bundesweite Betriebsratswahl: In ganz Deutschland werden 180.000 Betriebsräte neu gewählt. Um bis dahin möglichst viele Kandidaten aufstellen zu können, organisiert "Ein Prozent" jetzt Seminare, bei denen Hilburger die Betriebsräten in spe unter anderem darin schult, die "unlauteren Spielchen der Etablierten" zu durchschauen und sich gegen die "Tricks der Mächtigen" zu wehren. Laut der Webseite der Bewegung kamen immerhin 30 Interessierte zum ersten Seminar Anfang Januar, weitere Termine sollen demnächst folgen.

Wie realistisch das Ziel der Rechten ist, ist aktuell noch schwer abzuschätzen. Um ihre Listen in größeren Unternehmen zur Wahl aufzustellen, brauchen sie mindestens 50 Unterschriften, schreibt der Tagesspiegel. Aber dass sie es überhaupt versuchen, trifft die Linken an einer empfindlichen Stelle: deren wachsende Distanz zur Arbeiterschaft. Offenbar glauben die Rechten, dass sie in den Fabriken zunehmend gute Chancen haben.

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