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Die Grünen

Interview mit Birgit Hebein: "Es gibt ein Leben nach Schwarz-Blau"

Die neue Spitzenkandidatin der Wiener Grünen über Feminismus, linke Politik und darüber, ohne Angst einzuschlafen und aufzuwachen.
Birgit Hebein abends auf der Straße
Foto: Christopher Glanzl

"Ich gehe nur bei meinen Kindern ans Telefon", sagt Birgit Hebein, als sie nach einer terminreichen Woche in ein altmodisches Bäckerei-Café im 15. Wiener Gemeindebezirk kommt. Sie wohnt um die Ecke. In Rudolfsheim-Fünfhaus hat ihre Karriere bei den Wiener Grünen begonnen, kürzlich wurde die Kärntnerin an deren Spitze gewählt. "Ich muss noch die Rede für morgen vorbereiten", sagt die 51-jährige Ganzjahresradlerin mit Traktorführerschein. Dass ihre Antrittsrede beim Grünen Landesparteitag am folgenden Tag ein Erfolg sein wird, weiß sie noch nicht. Hebein war zwölf Jahre lang bei der Friedensbewegung, einem Zusammenschluss aus pazifistischen Gruppen, Organisationen und Parteien, und kurz bei der Grünen Gewerkschaft aktiv, bevor sie 2003 der Partei beitritt. Zwei Jahre später wird sie Bezirksrätin und Klubobfrau im 15. Bezirk. 2010 wird sie Gemeinderätin und Sprecherin für Soziales und Sicherheit. In dieser Funktion verhandelt sie die Wiener Mindestsicherung maßgeblich mit.

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Für Wirbel sorgte sie auch vor einigen Monaten, weil sie das vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig beschlossene Alkoholverbot am Praterstern vehement kritisierte. Sie sprach davon, dass sich süchtige und obdachlose Menschen dadurch nicht in Luft auflösen würden. Hebein ist ausgebildete Sozialarbeiterin und engagiert sich seit Jahren im KZ-Verband. Eine antifaschistische Sozialpolitikerin? Von der Kronen Zeitung wird sie jedenfalls bereits als "Romantikerin" bezeichnet.


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Sie sind eine der wenigen Politikerinnen, die dazu stehen, links zu sein. Warum fürchtet man sich in der österreichischen Politik vor der Zuschreibung "links"?

Das hängt sicher mit dem massiven Rechtsruck der Regierung zusammen. Alles ist so dermaßen rechts, dass "links" zu einem Schimpfwort geworden ist. Völlig absurd. Umso wichtiger ist es, sich hinzustellen und zu sagen: "Linke Politik? Was denn sonst?"

Gibt es überhaupt noch linke Politiker und Politikerinnen?

Es gibt zumindest viel zu wenig linke Politik. Wo wird bei uns diskutiert, wie man den Neoliberalismus überwinden kann? Wo werden bei uns die Auswirkungen des Kapitalismus diskutiert? Dass wir diese Themen nicht haben, ist ein weiterer Ausdruck davon, wie weit wir schon rechts stehen.

Was hat Sie links politisiert?

Ich glaube, ich bin nicht so einfach einzuordnen. Ich komme aus dem Dorf, ich bin im Dirndl aufgewachsen, ich war in der Kärntner Landjugend und im Chor und ich kann dir Lieder auf Slowenisch vorsingen. Mein Bruder und ich haben uns – wenn wir einmal eine gute Note hatten – von der Lehrerin anhören müssen, dass wir die gar nicht brauchen würden, dort, wo wir herkommen. Ungerechtigkeitsgefühl war also schon immer Thema.

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Es war nicht vorgesehen, dass wir eine höhere Schule besuchen. Meine Mutter war Hausfrau, hätte aber selbst gerne eine Lehre gemacht. Sie hat mich sehr unterstützt. Auf der Handelsakademie hat dann eine Religionslehrerin zu mir gesagt, dass es in Wien die Sozialakademie gibt. Es waren immer solche Begegnungen, die mich geprägt haben. Dann ging es nach Wien. Richtig politisiert worden bin ich aber erst in der Friedensbewegung.

Sie sind Feministin – auch das ist eine Zuschreibung, die man in der Politik meidet. Wie prägt das Ihre Arbeit?

Ich will eine Feminisierung der Politik, wie es beispielsweise in Barcelona mit dem Konzept zur "Demokratisierung der Demokratie" geplant ist. Es geht darum, die politischen Prozesse so zu verlangsamen, dass sich möglichst viele Menschen beteiligen können. Insbesondere Frauen, die aufgrund der Verpflichtungen in der Sorgearbeit oft keine oder nur wenig Möglichkeit zur politischen Teilhabe haben. Das halte ich für sehr lebensnah und spannend.

Warum wird der Begriff Feminismus in der Politik gemieden?

Er wird einerseits als Bedrohung gesehen, andererseits – ohne meinen Feminismus kleinreden zu wollen, das würde ich nie tun – stellt der Begriff auch hohe Ansprüche an jene, die ihn benutzen.

Auch ein feministisches Thema: Sexarbeit. Haben Sexarbeiterinnen die bestmöglichen Arbeitsbedingungen in Wien?

Ich bin seit vier Jahren nicht mehr zuständig. Ich habe das Gesetz 2011 mitverhandelt. Das war auch ein Kompromiss. Das Gesetz geht in die richtige Richtung, aber es geht nicht weit genug, da sich zum Beispiel auf die sogenannten Erlaubniszonen geeinigt wurde, durch die Frauen verdrängt werden. Also nein, die Situation ist keine gute.

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Ich habe beobachtet, dass Sie auch aktive Unterstützerinnen aus der autonomen bzw. linksradikalen Szene haben, was für eine Politikerin recht ungewöhnlich ist. Was verbindet Sie mit ihnen?

Die Unterstützung war sehr breit, da waren Ärztinnen und Biobauern dabei, bis hin zu Antifaschistinnen. Mit den Autonomen verbinden mich erstens Freundschaften und zweitens waren sie diejenigen, die mich – neben dem Verfassungsschutz – unterstützt haben, als ich vor zwei Jahren von Rechtsextremen bedroht worden bin, nachdem ich es gutgeheißen hatte, dass es zur Gegendemonstration gegen einen rechtsextremen Aufmarsch in Wien gekommen war. Ich bin keine Autonome, sondern eine Grüne, aber es gibt etwas, das uns verbindet und das ist der Antifaschismus.

Ich habe ein Bild vor Augen: Ich möchte dazu beitragen, dass Menschen ohne Angst und Sorgen einschlafen und ohne Angst und Sorgen aufwachen können.

Warum sind Sie bei den Grünen gelandet und nicht bei der SPÖ?

(Lacht) Ich habe gewusst, dass die Frage kommt. Das hängt wieder mit der Friedensbewegung zusammen. Da habe ich mit verschiedensten Parteien und Gruppierungen gearbeitet und die Grünen waren am echtesten. Ohne Auflagen, ohne Logowünsche haben sie mitgemacht. Bei den Grünen hatte ich das Gefühl, dass das, was sie sagen, am ehesten mit dem übereinstimmt, was sie tun.

Sie sind Sozialarbeiterin. Wie hilft Ihnen dieser Background bei Ihrer politischen Arbeit?

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Direkt mit suchtkranken Menschen gearbeitet zu haben prägt natürlich. Außerdem bin ich durch diese Arbeit bis heute sehr gut vernetzt. Es kommt mir als Sozialpolitikerin zugute, zu wissen, wann etwas wo gebraucht wird. Das macht mich zu einer Expertin oder zumindest zu einer Politikerin, die ein bisschen mehr Ahnung hat, wovon sie redet.

Sie sagen, dass Rot-Grün ein Gegenkonzept zu Schwarz-Blau sein muss. Was stört Sie an der Bundesregierung?

Wie lange hast du Zeit (lacht)? Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Politik auf dem Rücken jener zu machen, die sich nicht wehren können, ist schäbig. Alleine, dass sich eine Sozialministerin hinstellt und verkündet, dass bei Kindern gekürzt wird oder dass Jugendliche in Niederösterreich eingesperrt werden. Der 12h-Stunden-Tag, der unaufrichtige Familienbonus, von dem Hunderttausende Kinder nichts haben, die Zerschlagung der Sozialversicherung. Es ist schon beeindruckend, was die Regierung innerhalb eines Jahres kaputt gemacht hat.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) liegt am Boden. Ich war Sicherheitssprecherin und habe mich regelmäßig mit Polizistinnen und Polizisten getroffen. Auch von ihnen machen sich viele Sorgen. Sie sind extrem unterbesetzt, müssen immer mehr Aufgaben bewältigen, für die sie gar nicht ausgebildet sind. Auch als Linke habe ich ein Interesse an einer gut ausgebildeten Polizei. Ich kenne viele Polizistinnen und Polizisten, die eine korrekte Arbeit machen, auch auf Demonstrationen.

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Was ist das beste, was in den nächsten Jahren politisch passieren kann?

Ich habe ein Bild vor Augen: Ich möchte dazu beitragen, dass Menschen ohne Angst und Sorgen einschlafen und ohne Angst und Sorgen aufwachen können. Das klingt banal, ist aber unglaublich schwierig. Ich möchte daran gemessen werden, ob ich dazu beitragen konnte. Es gibt ein Leben nach Schwarzblau.

Finden Sie es wichtig, Utopien vor Augen zu haben?

Ohne Utopien kann man keine Politik machen. Mich stimmt gerade optimistisch, dass sich viele Menschen zivilgesellschaftlich organisieren. Es trägt massiv zur Stimmung bei, wenn Menschen öffentlich sagen: "Hey, das geht alles in die falsche Richtung!" So wie die Menschen bei den Donnerstagsdemos.

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