Frauen, die von Hass im Netz betroffen sind, müssen endlich die Hilfe bekommen, die sie benötigen

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Frauen, die von Hass im Netz betroffen sind, müssen endlich die Hilfe bekommen, die sie benötigen

Was können Betroffene tun, wenn sie Nachrichten bekommen, in denen Männer von Blowjobs, abgetrennten Köpfen oder Vergraben bei lebendigem Leibe fantasieren?

Seit ein paar Monaten bekomme ich von einem anonymen Twitter-Profil Nachrichten, dessen Foto eine geknebelte Frau zeigt, daneben eine vermummte Person, die die Frau zusätzlich an einen Stuhl fesselt. "24 Stunden lang war sie seinen kranken Sexphantasien ausgeliefert", schreibt der Twitter-User. Und: "Es kann sein, dass mich jemand mit dem getrennten Kopf im Dunklen dort treffen wollte, um zu blasen", oder "Wiederum anders als Menschen zu zerstückeln ist jemand, der Menschen lebendig begraben würde." Nachdem mich mehrere Menschen dazu auffordern, gehe ich schließlich zur Polizei.

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"Ich kenn mich mit dem Social Media nicht so aus", sagt der Polizist und nimmt meine Anzeige gar nicht erst auf. "Kann man den nicht einfach sperren, dass der keine Nachrichten mehr schreiben kann?" "Doch", antworte ich, aber für diesen Ratschlag bin ich nicht in die Polizeistation gekommen. Ich erfahre: Es handle sich um keine Drohung, weil der User nicht schreibt, dass er das tatsächlich mit mir vorhabe. Und da es sich bei meinem Account um ein öffentliches Profil handle, gelte es auch nicht als Stalking, sagt der Polizist, nachdem er mit seinem Chef besprochen hat. Der Wiener Jurist Oliver Scheiber nennt das "Unsinn", als ich ihn ein paar Tage später frage. Es sei "durchaus strafrechtlich untersuchenswert", ein öffentliches Profil schließe außerdem Stalking nicht aus. Doch der Polizist sagt, es tue ihm leid, aber das sei leider nichts.

Was auch nichts ist, sind die Nachrichten, die die ehemalige Nationalratsabgeordnete Sigrid Maurer Anfang der Woche auf Facebook von einem Wiener Gastronomen bekam:

"Du bist heute bei mir beim Geschäft vorbei gegangen und hast auf meinen Schwanz geguckt als wolltest du ihn essen."

"Bitte wenn du nächstes Mal vorbeikommst darfst ihn ohne Worte in deinen Mund nehmen und ihn bis zum letzten Tropfen aussaugen, zahle auch 3 Euro mehr, wenn du nichts verschwendest! Dein fetter Arsch turnt mich ab, aber da du prominent bist, ficke ich dich gerne in deinen fetten Arsch, damit dir einer abgeht, du dreckige kleine Bitch!"

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Jeden Tag geht sie an dem Lokal vorbei, das dem Mann gehört, der ihr diese Nachrichten geschickt hat. Deswegen habe sie schließlich beschlossen, die Nachrichten zu veröffentlichen: "Rechtlich ist da nichts zu machen, aber zumindest kann ich Menschen darüber informieren, bei wem sie ihr Bier kaufen", erklärt sie auf Nachfrage.

Strafrechtlich sind diese Nachrichten tatsächlich nicht relevant, da der Gastronom Maurer etwa nicht bedroht oder ihr die Nachrichten auf ihre Pinnwand schreibt (würde er sie vor mindestens zwei Menschen derart beschimpfen, könnte es strafrechtlich wiederum sehr wohl relevant sein, sofern die Beschimpfung aufgrund von etwa ethnischer Herkunft, Geschlecht oder Religion passiert – und "dreckige Bitch" hätte der Gastronom wohl keinem prominenten Mann geschrieben).

So bleibt nur das Zivilrecht, was bedeutet, dass Maurer zwar klagen könnte, dafür aber einen Anwalt vorfinanzieren müsste – das können mehrere tausend Euro sein – und das volle Kostenrisiko tragen würde: Würde Maurer nämlich den Prozess verlieren, müsste sie auch die gegnerischen Kosten übernehmen. Ein großer Teil der Betroffenen könnte sich ein zivilrechtliches Verfahren also schlichtweg nicht leisten.

Im Posteingang von Sigrid Maurer liegen unterdessen mehrere 100 Nachrichten wie diese, erklärt sie auf Nachfrage. Der Großteil stammt von anonymen Profilen oder Menschen, zu denen Maurer keinen persönlichen Bezug habe, weswegen sie sich nicht weiter damit auseinandersetze. Da sie aber täglich an dem Geschäft vorbeigehe und auch schon angesprochen wurde, sei das etwas anderes:

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"Der Geschäftsinhaber verwendet sein Facebook-Profil als öffentlichen Auftritt für sein Geschäft – und hat mir von eben diesem Account geschrieben. Für mich agiert er da dann nicht als Privatperson, sondern eben als Bierhändler, daher halte ich die öffentliche Thematisierung in dieser Form für angebracht."

Betroffene bräuchten eine "einfache Anlaufstelle, eine österreichweite Telefonnummer, Mailadresse und Büros in jeder Landeshauptstadt", fordert der Jurist Oliver Scheiber. "Wenn ich betroffen bin, geh ich da hin und muss mich nicht selber kümmern. Eine Kostenübernahme für Zivilverfahren wäre auch denkbar, da müsste sich die Politik ein Modell überlegen."

Eine Anlaufstelle gibt es mittlerweile, nur wissen viele Betroffene nichts von ihr. Bei einer Online-Suche nach Hilfe ist es schwierig, sie unter den vielen Berichten, Webseiten und Angeboten überhaupt zu finden. Dort werden eingesandte Nachrichten und Postings systematisch dokumentiert und an die Staatsanwaltschaft wird weitergeleitet, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für strafbar halten. Außerdem beraten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter juristisch, bieten psychologische Betreuung, helfen bei möglichen weiteren Schritten und melden die Postings den jeweiligen Plattformen, um deren Löschung zu bewirken.

Wenn es sich aber um Privatnachrichten handelt, ist die Sache ein wenig anders. Facebook etwa hält sich da vollkommen raus: "Bei 1:1-Kommunikation auf Messenger können wir nichts machen, das ist ja so wie eine SMS", erklärte ein Pressesprecher dort im vergangenen Jahr auf Anfrage und verwies auf die entsprechenden Behörden. Und da landet man wieder beim Polizisten, der sich "nicht mit den Social Media auskennt" und nicht einmal eine Anzeige aufnimmt. Der nervenschonendste Weg führt somit über die Meldestelle. Nur wären damit dann immer noch nicht alle Herausforderungen beseitigt: Denn hat man nicht mehrere tausend Euro, kann auch die Meldestelle in Fällen wie dem von Sigrid Maurer kaum helfen.

Hier ist die Politik gefragt. Es bedarf nicht nur einer breiteren Information über bereits mögliche Schritte, sondern auch eines Ausbaus der Angebote und mehr finanzieller Mittel, damit sich Betroffene auch wehren können, ohne das Risiko zu tragen, im schlimmsten aller Fälle viele tausend Euro zahlen zu müssen.

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