Dieser Typ tätowiert Schriftzüge auf Leute, ohne dass sie wissen, was sie bekommen
Monty Richthofen alias Maison Hefner am Balkon seines Londoner Studios | Foto: Grey Hutton

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Tattoos

Dieser Typ tätowiert Schriftzüge auf Leute, ohne dass sie wissen, was sie bekommen

"Du fragst dich vielleicht, ob ich den Leuten bei dieser Performance auch irgendwelche Penisse oder so Schmarrn tätowiere."

Ein Fremder schreibt etwas auf ein Post-it. Du weißt nicht was. Er klebt es dir an die Stirn und du läufst einen Tag damit durch die Stadt. Eine unheimliche Vorstellung. Für die Menschen, die sich mit dem Performance-Künstler Monty Richthofen einlassen, wäre das die Vanilla-Version von dem, was er mit ihnen macht. Unter dem Namen Maison Hefner tätowiert der 23-jährige Münchner Leuten Schriftzüge unter die Haut, ohne dass sie deren Inhalt oder Wortlaut vorher kennen. Erst danach erfahren sie, was sie ihr restliches Leben lang auf ihrem Körper tragen werden. Für seine Performance "My Words Your Body" war Monty seit Anfang 2017 auf der ganzen Welt unterwegs und hat unter anderem Ex-Soldaten in Israel tätowiert. Inzwischen lebt er in London, wo er gerade sein Studium in "Performance: Design and Practice" an der Central St. Martins Kunsthochschule beendet.

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Monty hat vor dem Projekt bereits eineinhalb Jahre tätowiert und sagt, er finde es spannend, dass man seine Arbeit nicht in einer Galerie ausstellen könne: "Die Leute sind sozusagen lebende Leinwände." Ob das Kunst sei, was er mache, könne er selbst nicht beurteilen: "Ich vertreibe mir eigentlich nur die Zeit".

Ein Hinterkopf mit der Tätowierung

Eine Tätowierung aus "My Words Your Body" | Foto: Ferdinand Feldmann

VICE: Wie läuft Tätowieren, bei dem man das Ergebnis nicht kennt, genau ab?
Monty Richthofen: Die Basis ist ein Gespräch. Ich stelle den Leuten zuerst vier allgemeine Fragen: Warum möchtest du an dem Projekt teilnehmen? Was bedeutet Vertrauen für dich? Wieso vertraust du mir? Was tust du, wenn dir das Tattoo nicht gefällt? Durch die Antworten entwickelt sich das Gespräch meistens ziemlich schnell in eine bestimmte Richtung. Manche Menschen gehen dann auf ihr Liebesleben ein, manche auf ihre Karriere, manche auf den Tod. Das bestimmen die Leute selbst. Über meine eigenen Erfahrungen mit den Themen bekomme ich eine Idee davon, was die Leute gerade brauchen und wie sie ticken.

Wie lange dauern diese Gespräche?
Dreißig Minuten bis eineinhalb Stunden. Manche Leute sind sehr offen, bei anderen muss ich nachhaken und die Infos herauskitzeln.


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Woher weißt du, was du den Leuten stechen wirst?
Ich habe fünf Notizbücher mit etwa 5.000 Sprüchen. Es kommt darauf an, wie viel mir die Leute erzählen, aber manchmal blättere ich schon eine Weile darin, bis es auf einmal puff macht und ich weiß, was es sein wird. Manchmal muss ich aber nicht mal in meine Notizbücher schauen, sondern habe direkt Worte im Kopf, die für die Person relevant sein könnten. Die Leute bestimmen die Stelle am Körper, aber während des eigentlichen Tätowierens können sie nicht sehen, was ich ihnen steche.

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Sind dabei immer alle nüchtern?
Ja. Ich würde niemanden tätowieren, der nicht bei Sinnen ist. Die Person muss sich darüber im Klaren sein, was gerade passiert. Ich erlaube den Leuten auch nicht, sich am Smartphone abzulenken und Freunden auf Snapchat zu schreiben "Hey, ich bin gerade beim Tätowieren!". Die Person soll im hier und jetzt sein und auf der Tattooliege reflektieren, über was wir gerade gesprochen haben und was ich ihnen stechen könnte.

Maison Hefner und ein paar seiner Tätowierungen und Texte

Fotos: Grey Hutton

Warum stichst du nicht einfach, was Leute von sich aus wollen?
Mich hat gestört, dass der Ablauf beim Tätowieren immer gleich war: Die Leute kommen mit einer Idee oder suchen sich was aus meinem Buch aus. Dann tätowiere ich das, sage Ciao und weiß gar nicht, wer vor mir saß und andersrum. Ich hatte keine Lust, dass irgendwelche Leute, mit denen ich nicht auf einer Wellenlänge bin, mit meinen persönlichen Arbeiten rumlaufen. Gleichzeitig will ich, dass die Person etwas bekommt, das einen Lebensabschnitt markiert und ihr in Zukunft helfen kann. Du fragst dich vielleicht, ob ich den Leuten bei dieser Performance auch irgendwelche Penisse oder so Schmarrn tätowiere. Aber das würde ich bei jemandem, der mir seine Zeit schenkt und sehr intime Sachen preisgibt, nicht machen. Dafür habe ich dann meine Freunde (lacht).

Machst du das kostenlos?
Nein, die Leute zahlen mir was.

Wie fühlt es sich an, für jemanden zu entscheiden, was er den Rest seines Lebens unter der Haut trägt?
Klar, man hat Macht, aber auch Verantwortung. Und in unserer Gesellschaft nutzen die Leute ihre Macht leider zu oft zu ihrem eigenen Vorteil. Gerade in kreativen Branchen. Durch #MeToo haben wir gesehen, wie mächtige Leute die Privatsphäre und Intimität von Anderen missbrauchen. Also habe ich mich gefragt, was es heutzutage bedeutet, jemandem seinen Körper blind anzuvertrauen. Die Macht über den Körper der anderen Person zu missbrauchen, gibt mir aber nichts. Es bringt mir viel mehr, wenn es mir gelingt, etwas Positives zum Leben der Person beizutragen. In einer Zeit, in der immer mehr Fälle von Vergewaltigung und sexueller Belästigung ans Licht kommen, ist es mir wichtig zu zeigen, dass man seinen Mitmenschen vertrauen können muss.

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Eines der fünf Bücher in die Monty Richthofen seine Texte schreibt

Monty Richthofen hat mittlerweile fünf Bücher mit Texten für Tattoos vollgeschrieben | Fotos: Grey Hutton

Schließt du einen Vertrag mit den Leute, um dich abzusichern?
Ich mache das nicht. Das ist wahrscheinlich naiv und kann auch schief gehen. Aber die Person vertraut mir, also muss ich ihr auch vertrauen. Wer bin ich, mir die Freiheit über deren Körper zu nehmen, aber dann eine Absicherung zu fordern?

Warum gehen die Leute dieses Risiko ein?
Viele Leute wollen sich so zwingen, ihre Komfortzone zu verlassen oder sie haben das Bedürfnis, sich einem Außenstehenden anzuvertrauen. Die Gespräche und das Tätowieren haben für manche etwas Therapeutisches. Die verarbeiten dadurch was. Andere Leute suchen einen Kick. Sie wurden vielleicht schon öfter tätowiert und wollen eine neue Erfahrung machen.

Ist ein Kick ein guter Grund für ein Tattoo?
Ich mache den Leuten schon klar, dass das etwas Permanentes ist. Aber mit "Kick" meine ich eher den Moment, sich fallenzulassen und jemanden komplett zu vertrauen. Denn darum geht es bei dem Projekt: Du lässt dich fallen und hoffst, wie beim Bungeejumping, dass die Leine nicht reißt und die Tätowierung gelingt.

Good Decisions Come From Bad Ideas hat Monty in den Unterarm eines Mannes gestochen

"Good Decisions Come From Bad Ideas" – aus "My Words Your Body | Foto: Ferdinand Feldmann

Was stichst du jemandem, den du unsympathisch findest?
Dann breche ich nach dem Gespräch ab. Ich sage der Person, dass ich nicht glaube, dass sie dafür bereit ist. Ich merke schnell, wenn jemand unsicher ist oder nur zu mir kommt, weil es gerade gehypt ist. Für mich ist diese Performance aber kein Hype, auch wenn ich viele Anfragen bekomme. Es hat ein bisschen gedauert, aber ich habe gelernt, Nein zu sagen.

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Wie viele Anfragen kriegst du?
Ich habe eine dreistellige Zahl von Anfragen aus aller Welt in meiner Inbox. Ich versuche, die abzuarbeiten, aber ich bin auch keine Maschine. Diese Performance und die Gespräche brauchen Zeit. Wenn Leute sauer werden, weil ich nur drei Leute in drei Tagen steche, muss ich sagen, dass ich mir einfach nicht so viele Lebensgeschichten anhören kann. Das kostet Kraft. Wenn es um heftige Themen wie Suizid geht, muss ich in der richtigen Verfassung sein.

Monty hat für unseren Photographen Pilze in der Pfanne gebraten

Monty Richthofen in seinem Londoner Studio | Fotos: Grey Hutton

Welche Fehler sind dir schon passiert?
Einmal kam ein Ex-Soldat zu mir, der in seinem Leben nicht mehr so richtig weiter wusste. Ich habe ihm "however long it may take" tätowiert. Ich war abgelenkt, habe nicht mehr auf den Stencil auf der Haut geschaut und bei einem Wort eine Linie zu viel gesetzt. Er hat das dann akzeptiert, denn offenbar galt der Satz für uns beide: Weder er noch ich waren schon am Ziel, sondern beide noch auf dem Weg. So ein Fehler ist mir bislang zweimal passiert. Entweder weil ich abgelenkt war, nicht genug Schlaf oder keine Lust hatte. Inzwischen habe ich diese Faktoren eliminiert, seitdem kam das nicht mehr vor.

Warum benutzt du diese minimalistische Schrift?
Ich arbeite viel mit Schrift und die eigene Ästhetik ändert sich im Laufe der Zeit. Dennoch meine ich, dass dieses Handschriftliche zeitlos ist.

Was machst du, wenn die Person den Inhalt des Tattoos nicht mag?
Das ist bisher noch nicht passiert.

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Welches Tattoo ist besonders gut gelungen?
Eins meiner Lieblingstattoos ist "I am not who they promised you I was". Die Person hatte eine geschlechtsumwandelnde OP von weiblich zu männlich. Der Satz war für die Person sehr relevant, weil sie nicht die Person war, die den Eltern bei der Geburt präsentiert worden ist. Nach der Geburt haben die Ärzte natürlich gesagt "It’s a girl!", aber es war keins. Auf dem Foto sieht man noch die Narben von der Operation, darunter habe ich die Tätowierung gesetzt. Ich mag diese Arbeit besonders, weil Inhalt und Position zusammenpassen.

Fotos: Maison Hefner

Und welches Gespräch ging dem Spruch "Just Another Hipster Tattoo" voraus?
(Lacht) Das ist nicht aus der Serie, sondern ein Abziehbild aus einer Kollaboration mit dem Designstudio Sucuk und Bratwurst. Das Lustige ist, dass die Leute im Internet das nicht sofort erkennen. Ich spiele ganz gerne mit dieser Illusion, dass alles, was man im Internet sieht, echt ist.

Kommen zu dir nur junge Großstädter, oder auch 50-jährige LKW-Fahrer?
Wirklich alle: berühmte Menschen, Jurastudenten, Low-Lives, Mütter. Viele Leute, die an der Performance teilnehmen, würde man nicht für so offen halten, wenn man sie auf der Straße trifft. Denen geht es nicht darum, einem Hype zu folgen, sondern um die Bedeutung. Ich bin nicht da, um irgendwelche Instagram-Hipsterkids zu tätowieren, also so Leute wie mich (lacht).

Was sagen traditionelle Tätowierer zu deiner Arbeit?
Bei denen sind meine Sachen nicht unbedingt anerkannt. Die sehen das nicht wirklich als Tattoos, aber das ist OK. Ich würde mich auch nicht als Tätowierer bezeichnen. Die Nadel ist ein Werkzeug, das ich nutze, so wie die Sprühdose oder einen Stift. Meine Arbeit soll zeigen, dass Tätowieren nicht nur eine Dienstleistung ist. Das Rituelle, das früher dazu gehörte, fehlt heute oft völlig. Aber so wie sie jetzt läuft, wird die Performance nicht mehr lange fortgesetzt, weil sie sich immer weiterentwickelt. Ich könnte mir vorstellen, nicht nur mit den Leuten zu sprechen, sondern einen ganzen Tag mit ihnen zu verbringen, bevor ich sie tätowiere.

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