Wie ich als Flüchtling in der Schweiz Freunde finde

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Wie ich als Flüchtling in der Schweiz Freunde finde

Sara war 16, als sie alleine aus Afghanistan in die Schweiz geflüchtet ist. Heute lebt sie in einem Heim in Zug.
AV
illustriert von Adam Vogt
LB
aufgeschrieben von Lisa Brombach

Sara B. ist 17 Jahre alt und kommt aus Afghanistan. Sie wohnt in einem Heim für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge in Zug. Aus privaten Gründen möchte sie hier nicht erkannt werden.

Als ich vor eineinhalb Jahren in der Schweiz angekommen bin, habe ich sechs Monate lang jeden Tag geweint. Ich war ganz alleine, hatte keine Freunde und war immer zuhause. Es ist so schwer, hier eine Freundin zu finden. Ich wusste auch gar nicht, wohin ich gehen könnte, um jemanden kennenzulernen. Jetzt verbringe ich viel Zeit in der Schule und mit den Hausaufgaben und denke darum auch nicht mehr so oft daran, dass ich einsam bin.

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Bis ich zur Schule gehen konnte, war es sehr schwer. Die Schule ist Teil eines Integrationsprogramms. Dort hat es viele andere Jugendliche, alle sprechen verschiedene Sprachen und kommen aus verschiedenen Ländern: Italien, Spanien, Tibet, Afghanistan, Türkei. Die Schule gefällt mir gut und die Leute in meiner Klasse mag ich auch. Aber es ist schon so, dass immer jene Leute zusammen sind, die die gleiche oder eine ähnliche Sprache sprechen.

Meine beste Freundin in der Schweiz kommt auch aus Afghanistan. Weil wir aus dem gleichen Land kommen und dieselbe Sprache sprechen, verstehen wir uns gegenseitig besser als andere Leute uns. Wenn ich mich richtig mit anderen Leuten unterhalten möchte, ist das oft schwierig. Es ist immer eine gewisse kulturelle Barriere da, dazu kommt noch die sprachliche Hürde. Wir können nicht so gut miteinander kommunizieren. Das macht es schwierig, Freunde zu werden. Ich könnte dir in meiner Muttersprache so viel erzählen, aber auf Deutsch ist es schwierig, weil ich die Sprache noch nicht so gut beherrsche. Ich kenne einfach noch zu wenige Wörter und kann mich nicht so ausdrücken, wie ich das möchte.

"Ich weiss nicht, wo die Schweizer in meinem Alter alle sind."

Ich habe auch kaum Gelegenheit, Schweizer kennenzulernen. Es gibt keinen Platz, an dem ich mit Schweizern in meinem Alter Kontakt haben kann. Ich weiss nicht, wo die sind. Sie sind nicht in meiner Klasse und bei uns im Heim natürlich auch nicht. Wenn wir frei haben und das Wetter schön ist, gehe ich mit meiner besten Freundin spazieren und wir reden miteinander. Wie es halt ist, wenn Frauen zusammenkommen. Aber ich kann nicht einfach auf jemanden am See zugehen und sagen: "Hallo, ich bin Sara!" Das geht nicht. Männer und Frauen können das vielleicht untereinander schon. Aber eine Frau kann ich nicht einfach so ansprechen! Ich kann nicht einfach zu einer Frau am See hin und sie fragen, ob wir zusammen einen Kaffee trinken wollen. Ein paar Schweizer Bekannte habe ich trotzdem. Sie sind Freiwillige, die zu uns ins Heim kommen, um mit uns zu sprechen.

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"Es hilft mir, wenn ich mit Schweizern zusammen bin und sie mir erklären können, wie gewisse Dinge hier funktionieren."

Ich weiss oft nicht, ob ich richtig verstanden werde. Weil die Schweizer manche Dinge auf eine andere Art aufnehmen als ich. Das ist schwierig. Ich weiss nicht, wie die Leute hier denken und bin manchmal nicht sicher, wie eine Situation in der Schweiz verstanden wird. In Afghanistan ist es zum Beispiel nicht gut, wenn Männer und Frauen befreundet sind. Aber hier ist das kein Problem. In der Schweiz darf man laute Musik nicht aufdrehen, wann man will. Nach 22:00 Uhr muss es ruhig sein, sonst rufen die Nachbarn die Polizei. In Afghanistan ruft man dann nicht die Polizei, sondern bittet seine Nachbarn, die Musik leiser zu stellen. Anders als in Afghanistan kann man in der Schweiz machen, was man will, sobald man 18 Jahre alt ist. In meinem Land wohnt man noch mit seiner Familie zusammen, auch wenn man erwachsen ist. Und falls man nicht mehr mit seiner Familie zusammen wohnt, ist man verheiratet und der Mann sagt dir, was du machen musst. Die Leute hier sind freier. Wegen solchen Unterschieden hilft es mir, wenn ich mit Schweizern zusammen bin und sie mir erklären können, wie solche Dinge in der Schweiz funktionieren.

"Einem guten Freund oder einer guten Freundin kann ich alles erzählen, ohne Angst zu haben."

Eine gute Freundin oder ein guter Freund ist für mich da, auch wenn ich traurig bin. Ich kann alles erzählen, ohne Angst zu haben. Er oder sie hilft mir, wenn ich ein Problem habe. Wir können gemeinsam darüber reden und so ein Problem lösen oder es wird wenigstens weniger schlimm machen.

Ich gehe jetzt noch ein Jahr zur Schule und danach suche ich eine Lehrstelle. Ich würde gerne Fachangestellte Gesundheit werden. Es macht mir Spass, Leuten zu helfen. Ich bin nicht abgeschreckt von den Schweizern. Es ist zwar schwierig, sich mit ihnen anzufreunden. Aber wenn ich erst anfange zu arbeiten, wird es vielleicht einfacher. Dann fühle ich mich sicherer mit der Sprache und wenn man zusammen arbeitet, hat man auch automatisch mehr Kontakt. Folge VICE auf Facebook und Instagram.