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Die Technologieausgabe

Wie es ist, als Frau VR-Pornos zu schauen

In der Welt der Virtual Reality-Pornos geht es meist um Männerfantasien. Doch nach einigen Tagen meines Selbstversuchs stieß ich in überraschenden Ecken der virtuellen Realität auch auf ein paar Lichtblicke.

Illustrationen: Deshi Deng

Aus der Technologieausgabe.

Unsere Körper haben ihre Einschränkungen. Sie haben Probleme damit, andere Körper kennenzulernen, und sitzen samstagabends allein herum. Sie wollen Sex haben, können sich aber nicht zu echtem Kontakt aufraffen, also müssen sie allein auskommen. Doch eine Zukunft, in der Menschen haptische Playsuits anziehen und in der Matrix vögeln, scheint inzwischen so greifbar wie autonome Fahrzeuge und private Reisen ins Weltall.

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Nachdem Virtual Reality lange Zeit ein uneingelöstes Versprechen war, entwickelt sie sich gerade nun zu einer Welt, die uns tatsächlich ganz neue Erfahrungen eröffnet. Im vergangenen Jahr kamen die bisher besten VR-Brillen wie die Oculus Rift und HTC Vive auf den Markt. Inzwischen kann sich jeder für ein paar hundert Euro ein sperriges Headset und zwei Controller besorgen und erhält Eintritt in beeindruckende VR-Welten – und die Möglichkeit, sich plötzlich in einem Oberkörper zu sehen, der zu einem anderen Geschlecht oder einer andere Hautfarbe gehört.

Diese Erfahrung wollte auch ich mir nicht entgehen lassen und so lieh ich mir eine Vive von HTC aus und bat einen Freund, das VR-System für mich einzurichten. Denn tatsächlich besteht der Eintritt in die Virtuelle Realität zunächst aus unübersichtlichen Menü-Bildschirmen und jeder Menge Kalibrieren. "Ich stehe jetzt in einer Ikea-Küche und sie fällt auseinander", beschrieb mein Freund den Raum, in dem ein "typischer C-3PO mit britischem Akzent" ihm zeigte, wie man mit den Controllern richtig rumgeht und schießt. Als er die Sensoren kalibriert hatte, die ich in den entgegengesetzten Ecken des Zimmers platziert hatte, überreichte er mir schließlich das Headset. Das erste was ich sehe: Ein Nachthimmel und die Aussicht auf die Erde aus dem Weltall. Die Worte "this is real" schwebten über einem wolkigen Horizont.

Das mühsame Vorspiel

Noch immer ist die Ausrüstung, die man für Virtual-Reality-Sex braucht, ein ziemlich sperriges und kompliziertes System. Die Stecker des Geräts füllen eine ganze Mehrfachsteckdose. Man kann nicht im Bett liegen und es spontan einschalten, wenn man plötzlich Lust bekommt. Man muss aufstehen, das Headset aufsetzen und Laser auf ein Menü schießen.

Die App-Stores dieser Geräte folgen dem Vorbild von iTunes und verkaufen auch keine Pornos – nur irgendwas zwischen Ego-Shooter, Selfie Tennis und digitaler Nachbildungen gefährdeter Ökosysteme. Meine erste Erfahrung mit einer VR-Brille im Gesicht besteht darin, wie ich zu New-Age-Klängen Quallen beim Herumschweben zuschaue. Ich hatte mich zu einem Fitzelchen Plankton in einem endlosen Ozean verwandelt. Eine Meeresschildkröte schwimmt langsam unter mir hindurch. Die Anemonen wiegen sich in der Strömung.

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Am nächsten Tag fing ich mit den VR-Pornos an. Aktuell sind die meisten VR-Pornos sogenannte "POV-Pornos", also solche aus Ich-Perspektive. Wenn du an dir herunterblickst, ist da ein statischer, stummer Torso. Riesige Sexgötter bauen sich vor dir auf und ficken dich, während du ihre Tattoos studierst. Diese Art von Porno gibt es auf Seiten wie Badoink, Pornhub und KinkVR. Mal gehört der Torso einer Frau, mal einem Mann, doch er hat nie einen Kopf. Es ist ein bisschen wie bei diesen Kirmesbildern, wo man den Kopf durch eine Wand mit einem Bild steckt. Der Avatar-Körper liegt unbeweglich da oder sitzt auf einem Stuhl.

Dann treten ein oder zwei Personen auf, ihre Brüste und Genitalien Zentimeter von deinem Gesicht entfernt, machen miteinander rum und penetrieren dich. Meist kann man sich in diesen Videos nur 180 Grad umsehen, sodass sich bei einer Umdrehung hinter dir gespiegelt dasselbe abspielt wie vor dir. Es gibt die Standard-Pornofantasien: Pooljungen, Stiefmütter, ein Meister und seine Haussklaven.

In Sharing is Caring, einem Video, das ich von einer Firma namens Wankz heruntergeladen habe, war mein Avatar eine Frau. Sie trug nichts als einen Minirock. Sie war schön gebräunt, hatte kleine, natürliche Brüste, eine französische Maniküre … und all das zerstörte schon jegliche Illusion, dass dies "mein" Körper sein könnte. Ihr (mein) Torso lag in einem tageslichtdurchfluteten Raum auf dem Boden, in der Ecke eine stalaktitenartige Glasskulptur und weiße Sofas.

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Ein riesiger Mann und eine Frau standen grinsend über ihr. Stell dir vor, du liegst auf dem Rücken und starrst in einen riesigen Flachbildfernseher, nur dass der Fernseher aus seiner rechteckigen Form gebrochen ist und dich umschließt. Der Mann und die Frau machten lauter Dinge mit dem Torso: Sie saugten an seinen Nippeln, fingerten ihn, penetrierten ihn und hatten Sex miteinander, während der Torso einen steten Strom von unkontrolliertem Stöhnen losließ und ich darüber nachsann, wie es wohl ist, eine gebräunte Person mit französischer Maniküre zu sein.

Die Grenzen der VR-Pornos

"Das ist eine perfekte Muschi", sagte der schwitzende Brite, der meinem Körper als Liebhaber diente. Er nahm seinen Schwanz für eine Nahaufnahme in die Hand. Nachdem ich mir diverse VR-Pornos zu Gemüte geführt habe, kann ich sagen, dass dieses Genre dann am besten ist, wenn das, was man sehen möchte, sich in nächster Nähe befindet: Brüste, die über dir hängen, ein Gesicht, das dir interessiert in die Augen schaut, Ärsche oder glänzende Schwänze, die sich deinem Kopf nähern. Oder wenn du hochsiehst und da ist ein Körper auf deinem. Selbst in ihrem jetzigen unausgereiften Format mit diesen Standardfantasien sind VR-Pornos eine eindeutige Verbesserung im Vergleich zu dem Erlebnis, allein auf einem Laptop Pornos zu schauen. Du fühlst dich, als seist du im selben Zimmer wie diese riesigen, fremden Sexmenschen.

Doch es gibt ein paar Dinge, die ich an den VR-Pornos in ihrer jetzigen POV-Form mit der Ich-Perspektive nicht verstehe. Die Avatare sprechen nicht. Nie sehen wir ihre Gesichter. Es gibt während des Films keine Rollenwechsel in einen anderen Torso. So ist die Ich-Perspektive erdrückend.

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Als ich ein Video namens Empowering Ava ansah, wo die Kamera in einer Ecke stand, ging mir allerdings auf, dass es technisch heute wohl noch die beste Option darstellt, mit der Kamera nah am Geschehen zu bleiben. Empowering Ava ist ein Porno, der Frauen gefallen soll. Ich sah zu, wie eine Frau mithilfe eines vibrierenden Dildos Analsex mit ihrem Mann hatte. Das abenteuerlustige Ehepaar war viel zu weit entfernt, am anderen Ende des Raums. Außerdem entspricht ein abenteuerlustiges Ehepaar nicht ganz meiner Fantasie. "Ich kann nicht fassen, dass du auf so was stehst", sagte der Mann ständig.

Von Virtual Reality erhoffen wir uns viel mehr als nur realistischere Varianten derselben alten Videos. Die virtuelle Realität, von der wir träumen, ist eine Matrix, ein Meta-Universum, eine Welt, in der du einen Avatar hast, der schlanker ist, Leder-Outfits trägt und ein Samurai-Schwert mit sich herumschleppt, einen violetten, asymmetrischen Haarschnitt hat und Nachtclubs besucht.

Unterwegs in einem VR-Swingerclub

Auf der Suche nach weiteren VR-Erlebnissen loggte ich mich eines Tages auf einer Seite namens 3DXChat ein. Dabei handelt es sich um eine sogenannte MMORPG (Massively Multiplayer Online Role-Playing Game): eine virtuelle Welt, in der Avatare sich treffen. In diesem Fall bedeutet das, dass die Avatare zwanglosen Sex miteinander haben. Echte Menschen, die in virtuellen Körpern interagieren. Ich wählte meinen Avatar aus und nannte sie "Embot". Ich konnte alles von Frisur bis Augenbrauenstärke auswählen. Alle Kleidungsoptionen waren "sexy". Ich klickte mich durch Schulmädchenröcke und bauchfreie weiße Trägertops, unter deren Rand die riesigen Brüste meines Avatars herausschauten.

Ich zog Embot ein schwarzes Lederkorsett an und schickte den Goth-Rotschopf hinaus in eine Welt der muskelbepackten V-Oberkörper-Männer. Ich betrat einen Room namens "Yacht Sex", in dem etwa 50 Leute waren. Das eindeutige Codewort lautete "fuck me", die entsprechenden Sexpositionen wählt man in einem ausführlichen Menü aus. Ich lief jedoch erstmal über die holzgetäfelte Yacht und schaute aufs Meer. Beim Herumklicken zog ich meinem Avatar versehentlich die Hotpants aus und legte sie schnell wieder an. Ich ging an Pärchen vorbei, die im Whirlpool auf dem Oberdeck herummachten.

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Die Gamifizierung des Porno-Erlebnisses

Zwischen Pornovideos und Online-Rollenspielen gibt es noch interaktive Virtual-Reality-Spiele. Japanische Softwarefirmen übertreffen sich gegenseitig in diesen Fantasien. Sie bieten Interaktionen mit animierten Figuren in Spielen wie Custom Maid, das genauso patriarchal aussieht, wie es klingt. Ich habe ein englischsprachiges Spiel namens X Story Player gespielt. Es hat mit VR einigermaßen funktioniert, auch wenn mein Avatar sich drehte wie ein Kreisel, sobald ich die Controller verwenden wollte. Mein Avatar war ein Nerd, der in einem Labor ein Experiment durchführt. Er masturbiert in einen Behälter und gibt seine DNA in eine Maschine, die er gebaut hat. So entsteht ein Tentakelmonster, das wiederum von pornografischen Bildern stimuliert wird. Die Kreatur entkommt und hinterlässt eine Spur aus Schleim und erregten Frauen.

Dann bekommt mein Avatar einen Blowjob von einer Frau mit toten Augen namens Saiko. "Ich fühle mich so seltsam", sagte sie. So sah sie auch aus. Sie saß auf ihrem Bett, ihr Kleid rutschte ihr herunter und neben ihr lagen eine offene Packung Cornflakes und ein Behälter mit chinesischem Essen. "Ich habe ein großes Verlangen nach etwas, aber es ist nicht Essen. Oh Gott, es ist so überwältigend." Sie signalisierte meinem Avatar näherzukommen und öffnete ihren Mund, um ihn zu empfangen. Mascara lief ihr über die Wangen, und als ich aufhörte, die Pfeiltasten zu drücken, schwebte sie ein ganz klein wenig und zitterte im digitalen Raum.

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Da fand ich FemDomination schon besser, ein interaktives Spiel in einer 360-Grad-VR-Umgebung. Das war vielleicht sogar meine Lieblingserfahrung mit Virtual Reality, auch wenn das irgendwie peinlich ist. Immerhin peggen darin Dominas mit pneumatischen Lara-Croft-Figuren einen männlichen Avatar, der mit einer Kette um die Hoden in einem Folterstuhl fixiert ist.

FemDomination eröffnete mit dem Willkommensgruß "Welcome to the world of sex and submission". Ich stand im Vollmondschein vor einem riesigen Steintempel. Grillen zirpten, der Wind wehte und Vögel zogen über den Sternenhimmel. Ich betrat den Tempel, indem ich unter der riesigen Statue einer Frau auf allen Vieren hindurchging. Dabei kam ich durch eine Kammer, an deren Wänden in Hieroglyphen gezeichnete Leute sexuell gefoltert wurden, und gelangte ins beste virtuelle Menü aller Zeiten: einen Raum, in dem man zwischen monumentalen, hermaphroditischen Steinstatuen steht, die Oralsex miteinander haben, während Musik läuft, die ich nur als "Sex-Techno" beschreiben kann.

Ich wählte die Option "Orientierung" aus dem Menü und sah meinen virtuellen Körper nackt in einem Rollstuhl, während eine sexy Schwarzhaarige Sachen sagte wie: „Einen Mann zu versklaven ist so einfach. Du musst ihm nur einen Ständer bescheren und schon macht er alles, was du willst." Eine Domina mit australischem Akzent verpasste meinem Avatar eine Prostatamassage. "Sag: 'Ja, Herrin, bitte melke mich'", sagte sie. Während sie sich an dem Torso verging, hielt eine weitere Frau seinen Arm fest und starrte mit betäubt wirkenden Augen herab, die niemals blinzelten. Ich schaltete vom "Erregungsmodus" in den "Erfahrungsmodus". Ich zog die "Dildo-Gürtel"-Fantasie der "Kalis Zähne"-Erfahrung vor – und war erregt von Zeichentrickvaginen und Spermapfützen, die im Schwarzlicht leuchteten.

Wenn die ansteigenden Meeresspiegel unsere Städte überflutet haben, die restliche Natur nur noch aus Müllbergen besteht und die Trump-Familie die Weltherrschaft übernommen hat, wird uns das virtuelle Great Barrier Reef an einen Ort erinnern, der nun verblichen und tot ist, und virtueller Sex wird so häufig praktiziert werden wie echter Sex. Die virtuellen Welten werden detaillierter, während die echte Welt sich in eine explodierende Ikea-Küche verwandelt. Eines Tages werden wir in selbstfahrenden Kapseln durch Städte düsen, und wenn wir keine Lust mehr auf Social Media haben, werden wir Headsets aufsetzen, die Augenbrauenstärke unserer Avatare auf zehn schrauben und animierte Plastikgenitalien anstarren. Virtual-Reality-Sex. Es hat Spaß gemacht, und ich würde es wieder tun. Allerdings am liebsten mit jemandem, den ich liebe.

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