Eine Domina erzählt, wie es ist, wenn der Sexpartner bei Atemspielen stirbt

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Eine Domina erzählt, wie es ist, wenn der Sexpartner bei Atemspielen stirbt

Die ehemalige Sexarbeiterin Pamela Fuchs wurde wegen "absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge" verurteilt. Trotzdem blieb sie auf freiem Fuß – und will jetzt in einem Buch mit dem Fall aufräumen.

Illustration von Alina Salzmann

Ungefähr eine Stunde später klopfte ich an seine Zimmertür. Als er öffnete, war er bereits nackt, und während er schloss, nestelte er am Schild "Bitte nicht stören", das er an der Türklinke außen anbrachte. Ich trat ein und zog mich auch sofort aus. "Hänge deine Sachen an die Türklinke", schaffte er mir an, während er mir den vereinbarten Betrag in die Hand drückte, "und zieh dich dort wieder an, wenn dein Teil des Spiels vorbei ist". Ich suchte nach einem Kleiderbügel, ordnete Hose und Bluse, und tat wie befohlen. Dann noch kurz auf die Toilette und der Spaß konnte beginnen.

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Im Gegensatz zu unserem ersten Treffen sprachen wir diesmal nicht lange miteinander – damit "Martin Kainz" nicht schon wieder nervös und von meiner Schönheit geblendet würde. Und es war ja auch klar, welche Handgriffe er von mir wollte. Als ich vom WC kam, stand er bereits vor dem Zimmerspiegel und war dabei, sich die Schlinge um den Hals zu legen.

"Zieh dieses Mal das Schuhband mit einem einfachen Knoten zu. Berühre mich nicht, wenn ich in Ohnmacht falle. Und erschrecke nicht, wie es aussieht – es ist kein schöner Anblick", waren seine letzten Worte. Ich reichte ihm das braune Paket-Klebeband, und er klebte sich den Mund zu, indem er das Band rund um seinen Kopf führte. Ich durchschnitt es mit einer Schere und legte diese auf die Ablage zurück.

Nach wenigen Sekunden hing er schlaff im Seil. Hände und Füße zuckten. Ich ließ sofort wieder los. Zog mich an. Warf einen letzten Blick zurück auf seinen Körper. Und verließ das Zimmer.

"Martin Kainz" hatte das Seil und die Schlinge höher montiert als tags zuvor, als seine Knie noch den Boden berührten. Dies war nunmehr nicht der Fall, als er die Schlinge selbst zuzog und sich in das Seil fallen ließ. Ich hingegen legte das Schuhband um seinen Hals, machte einen einfachen Knoten, zog es zusammen und hielt es an beiden Enden gespannt.

Nach wenigen Sekunden hing er schlaff im Seil. Hände und Füße zuckten. Ich ließ sofort wieder los. Zog mich an. Warf einen letzten Blick zurück auf seinen Körper. Und verließ das Zimmer.

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Mein Kunde hatte mir geschrieben, dass er rund zwei Stunden bewusstlos war und ich dachte, oder hoffte, dass er sich später bei mir melden würde. Um sicherzugehen, schrieb ich ihm gegen dreiviertel neun eine Nachricht: Hoffe, von dir zu hören, wenn du aufwachst.


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Ich kann nicht sagen, dass ich mir super-große Sorgen gemacht hätte. Er hat damit genügend Erfahrung, sagte ich mir, er hat mir gegenüber auch einen sehr sicheren Eindruck gemacht. Ich habe getan, was er wollte, und ich habe mich auch abgesichert, mit dem von ihm unterzeichneten Schreiben. Wahrscheinlich bist du nur etwas nervös, weil etwas am Laufen ist, was du noch nie gemacht hast, versuchte ich mich zu beruhigen und fuhr zu meiner Freundin.

Dort informierte ich mich im Internet über den Fetisch der Strangulation und hinterließ auch eine Nachricht in einem Fetisch-Blog. Es geschah eher aus Zeitvertreib – hätte ich begründete Ängste und tiefe Sorgen gehabt, dann wäre ich dem Ansinnen des Kunden negativ gegenübergestanden und hätte früher, nämlich vorher, im Internet um Rat gefragt.

12. September 2015 @ 20:00 Sexworkerin87
Ich habe seit kurzem einen Kunden, der verlangt von mir, ihn zu strangulieren bis zur Bewusstlosigkeit … natürlich haben wir vorher alles besprochen, was es zu besprechen gibt, und er hat mir auch gesagt, dass es nicht schön zum Anschauen ist, wenn er dann bewusstlos wird, denn er zuckt und läuft blau und lila an im Gesicht. Nachdem ich hier jetzt ein bisschen was gelesen habe, vor allem, dass man denjenigen nicht alleine lassen sollte, mache ich mir jetzt Gedanken, denn er verlangt auch von mir, dass ich ihn, wenn er bewusstlos ist, alleine lasse. Ich muss auch dazu sagen, dass ich mich als Sexworkerin natürlich absichern musste und etwas von ihm unterschreiben lassen habe – dass im Fall des Falles das Risiko mein Kunde voll und ganz übernimmt. Aber was ich jetzt eigentlich wissen will: Wenn es dann zur Bewusstlosigkeit kommt, wie lange kann diese anhalten ohne dass irgendwelche Schäden entstehen? Danke für die Info. Liebe Grüße, sexworkerin

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Melanie und ich warteten nicht auf eine Antwort – diese hätte ich auf dem Smart-Phone auch lesen können –, sondern gingen bowlen. Es wurde neun – "er wird noch nicht wach sein" –, es wurde zehn – er findet sich gerade wieder zurecht und macht sich frisch" –, es wurde elf. "Er hat sich immer noch nicht gemeldet", sagte ich zu meiner Freundin, "jetzt mache ich mir dann wirklich Sorgen".

Wir fuhren zurück zum Hotel, spazierten an der Rezeption vorbei, fuhren mit dem Aufzug in den 17. Stock und gingen fast den gesamten Korridor entlang bis zu Zimmer 14. "Bitte nicht stören" hing immer noch dort. Ich klopfte, doch niemand antwortete. Ich probierte es lauter, doch ohne Erfolg. Sorge wurde ersetzt durch Angst, und Panik stieg in mir hoch. Gemeinsam hasteten wir zurück, und innerlich verfluchte ich den abwärts rauschenden Lift, dass er sich nicht noch schneller bewegen könne und alles so lange dauere.

"Hören Sie, wir müssen in das Zimmer 1714", sagte ich dem Rezeptionisten. Dieser hörte scheinbar interessiert zu. "Bedaure, das geht nicht." "Ich will da unbedingt rein", wurde ich lauter. Wahrscheinlich wurde ich für eine eifersüchtige Ehefrau oder Freundin gehalten, die ihren Mann in flagranti erwischen wollte. "Sie müssen aufsperren", ereiferte ich mich. "Ohne Polizei können wir Ihnen nicht helfen", bekam ich als gelangweilte Antwort. Ich drehte fast durch. Da hängt ein Mann in einem Seil, ist vielleicht schwer geschädigt oder noch schlimmer, und den da kümmert es keinen Deut. Wenn er tot ist, werden wir ihn morgen schon finden, meinte er sinngemäß.

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Meine Selbstgespräche führten zu einer logischen Konsequenz. Ich suchte Freunde und Helfer. Weit hatte ich es nicht. In Hotelnähe befindet sich die Polizeiwache des Hauptbahnhofs Wien. Kurz vor Mitternacht war ich dort, kurz nach Mitternacht öffnete ein Hotelangestellter in Beisein der Polizei mit der Zentralkarte Zimmer 1714. Es war 00:07 Uhr. Wie "Martin Kainz" so regungslos im Hotelzimmer in der Schlinge gehangen ist, dachte ich mir: Es ist genauso eingetreten, wie er es mir am Vortag geschildert und angekündigt hat, was passieren wird. Er hat mir wenige Stunden zuvor auch gesagt, dass ich keine Panik bekommen solle.

Den Gedanken, noch auf dem Zimmer die Rettungskräfte anzurufen, hatte ich nicht, ich hatte auch nicht während der Praktik des Zuziehens des Schuhbandes den Gedanken, dass ich ihn dadurch verletzen oder gar töten könnte. Ich habe ja auch während meiner Tätigkeit als Domina andere Praktiken vorgenommen, bei denen Kunden Verletzungen wünschten – aber dies war hier nicht der Fall.

So stand ich ungläubig vor einem reglosen Körper und starrte ihn fassungslos an. Ich schniefte. Wie zum Teufel konnte dies geschehen? Was war hier falsch gelaufen?

Der Leichnam hing im Eingangsbereich mit Blickrichtung zur Wand, den Strick und das Schuhband um dem Hals, mit verklebtem Mund. Die Hände hingen seitlich entlang des Körpers zu Boden. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten.

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Der Polizeibeamte berührte mich am Rücken, geleitete mich sanft aus dem Zimmer und begleitete mich zurück auf die Wache. Die Nacht war fünf Stunden alt und noch lange nicht zu Ende. Im Sekundentakt verabschiedete sich ein Teil meiner "guten Nerven". Zwischen eins und vier wurde ich zu einem Elendsbündel. Während ich auf der Polizeiwache befragt wurde, leistete die Exekutive im Hotel ganze Arbeit. Der Meldeschein der Beherbergungsstätte wies "Martin Kainz" als einen Gast anderen Namens aus. In der Sexszene ist es nicht unüblich – eher üblich –, nicht den richtigen Namen zu nennen. Die polizeiliche Leichenbeschau war primär um 02:15 angesetzt gewesen, um 02:35 verfügte der Journalstaatsanwalt die Beiziehung des Gerichtsmediziners, die Anordnung einer gerichtlichen Obduktion und meine sofortige Vernehmung.

Die Tatortgruppe der Polizei war auch schon eingetroffen und listete das Hotelzimmer und die Habseligen des Verstorbenen minutiös auf: vom Führerschein, der E-Card, der Jahreskarte der Wiener Linien über Jacke, Hose, Schuhe, Rucksack bis hin zu einer Rolle Paket-Klebeband, TESA, 5 cm breit, braun (Deposit-Nr. 12), einem Kletterseil der Marke BEAL, einer Schlinge mit Henkersknoten (Deposit-Nr. 13), einem Stück Schnürsenkel, schwarz, ca. 110 cm lang (Deposit-Nr. 15). Rund hundert Fotos wurden geschossen, von Totalaufnahmen des Zimmers und des Opfers bis hin zu den kleinsten Details.

Die Handlungen der Einsatzkräfte erregten im Hotel kaum Aufsehen, wurde im Protokoll festgehalten. Die Amtsvermerke dieser Nacht füllten schnell einen Ordner. Unter anderem war in der Stellungnahme des Obduzenten zu lesen: Der Tod des Genannten trat durch Erhängen ein, keine Anhaltspunkte und Hinweise auf das Vorliegen von Fremdverschulden, waren feststellbar, und auch an der Leiche waren keine Spuren, welche für eine mögliche Einwirkung von außen sprechen würden. Um 5 Uhr wurde der Körper vom Leichenabholdienst übernommen. Das Department für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Wien wurde beauftragt, eine Leichenbeschau und Obduktion durchzuführen und Befund und Gutachten zur Todesursache vorzulegen sowie der Frage eines, nämlich meines, allfälligen Fremdverschuldens nachzugehen.

Der erste Vorwurf lautete "Verdacht auf fahrlässige Tötung". Nachdem meine Vernehmung in der Früh des 14. September abgeschlossen war, wurde ich auf freiem Fuß angezeigt.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch TODESDOMINA – Gefährliche Begegnungen auf der Suche nach der großen Liebe, das im April 2017 im egoth Verlag erschien.