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Grenze

Der ungarische Anti-Flüchtlings-Zaun ist schuld am Aussterben ganzer Tierarten

Was kann diese kleine Maus dafür, dass Menschen so herzlos sind?
Foto: imago | Imagebroker

Grausam, wie das Schicksal spielt. Der im Jahr 2015 in Ungarn errichtete Zaun an der Grenze zu Serbien hat den Flüchtlingsverkehr dort nahezu zum Erliegen gebracht. Aber es gibt auch andere Leidtragende. Die, an die keiner denkt. Unschuldige, kleine Tiere, deren natürlicher Lebensraum durch die Barriere zerstört wird. Keine zugelaufenen Tiere. Nein, einheimische!

Besonders betroffen ist nämlich die vom Aussterben bedrohte Westblindmaus (auch bekannt als Spalax leucodon), die sich ausgerechnet an dieser Grenze angesiedelt hat. Wie das Magazin politico berichtet, gefährdet der neue Grenzzaun das Überleben der gesamten Population. Jetzt schlagen Tierschützer Alarm: Die "Fachgruppe für kleine Säugetiere" der International Union for Conservation of Nature (IUCN) warnt, dass die Zaunpfähle, die zwei Meter tief in die Erde getrieben wurden und in ein Betonfundament eingebettet sind, die Tunnel und damit die Existenz der seltenen Mäuseart zerstören. Denn die Westblindmaus ist nicht nur blind (und ziemlich hässlich), sie ist auch sehr empfindlich auf Störungen ihres Lebensraumes – unter einem bebauten Acker könnte sie zum Beispiel niemals leben.

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Es kommt aber noch schlimmer: Obwohl die ungarische Regierung ursprünglich versprochen hatte, dass der Grenzzaun irgendwann wieder wegkommt, hat sie jetzt schon mit der Errichtung einer zweiten, permanenten Grenzanlage begonnen. Es wirkt fast so, als sei Orban und seinen Schergen das Überleben der Westblindmaus vollkommen egal.

Foto: imago | Xinhua

Auch andere Tierarten sind durch den Grenzübergang bedroht, wenn auch nicht so unmittelbar wie die Westblindmaus: Der zwei Meter hohe und messerscharfe Stacheldrahtzaun behindert Luchse, Wölfe und Hirsche beim Wandern. "Die Zäune durchtrennen den natürlichen Lebensraum der Tiere", erklärt Melanie Kreutz vom Naturschutzbund "Grünes Band" gegenüber VICE. "Gerade scheue Wildtiere verletzten sich beim natürlichen Fluchtverhalten, Hirsche bleiben zum Beispiel mit ihrem Geweih hängen", warnt die Naturschützerin.

Forscher einer im Fachblatt Plos Biology veröffentlichten Studie sehen sogar größere Gefahren: Tiere, die sich in den Zäunen verheddern, verletzten sich beim Versuch, sich zu befreien, meist so stark, dass sie qualvoll verbluten. "Sowas passiert, wenn die natürlichen Korridore der Tiere einfach abrupt durchschnitten werden", sagt Kreutz.

Dass Tiere sich aber auch an eine Begrenzung gewöhnen können, fanden Forscher im tschechischen Nationalpark Böhmerwald 2014 heraus: Sie beobachteten, dass Hirsche sich ausschließlich bis zum früheren Grenzübergang der Tschechoslowakei zu Deutschland bewegen und vor der Grenze halt machen. Die Forscher vermuteten, dass die Hirsche ihr Wissen über das Territorium an ihre Nachkommen weitergeben haben.

Melanie Kreutz bezweifelt das: "Das Verhalten eines Tieres vererbt sich nicht. Wahrscheinlicher ist es, dass die Tiere aufgrund der geografischen Lage und eines natürlichen Grenzraums lediglich ihr bevorzugtes Territorium nutzten."

Vielleicht ist das der Westblindmaus an der ungarisch-serbischen Grenze auch möglich, wenn die Grenzen weg sind. Wenn sie dann noch nicht ausgestorben ist.

Vielleicht kommt es aber auch ganz anders. Zwar hat das Schicksal der Flüchtlinge die Ungarn nicht genug gerührt, dass sie lautstark gegen den Grenzzaun protestierten. Aber vielleicht schafft es ja die kleine, fellige Westblindmaus?

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