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Bundestagswahl 2017

Wie die CSU mit falschen Vergewaltigungszahlen die AfD stärkt

Ministerpräsident Horst Seehofer habe das "für sehr nützlich" gehalten.
Foto: imago | Sven Simon

Tatort Franken, 9. September: Eine Männergruppe soll in Bamberg Mädchen im Alter von 13 bis 17 Jahren begrapscht haben, drei Asylbewerber werden verhaftet.

Tatort Oberbayern, 15. September: Zwei Afghanen sollen eine 16-Jährige vergewaltigt haben, beide Täter werden verhaftet.

Zwei Fälle von sexueller Gewalt durch Flüchtlinge, die in Bayern breit diskutiert wurden. Vor einer Woche stellte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) einen Bericht über die Sicherheitslage in Bayern vor. Ein Rückgang der Wohnungseinbrüche oder die niedrigste Kriminalitätsbelastung aller Bundesländer sollten eigentlich für gute Stimmung sorgen. In der Öffentlichkeit blieb aber ein Punkt hängen: Die Zahl der Vergewaltigungen im ersten Halbjahr ist um 50 Prozent gestiegen – auf 685 Fälle. Bei den Taten, die Zuwanderer begangen haben sollen, 126 Taten insgesamt, liegt der Anstieg sogar bei knapp 90 Prozent.

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Erklärungen für die gestiegene Zahl von "Vergewaltigungsfällen", wie sie in der offiziellen Pressemitteilung bezeichnet werden, lieferte Herrmann nicht. "Unsere Polizeiexperten arbeiten derzeit an einer detaillierten Analyse der Statistikdaten", zitiert ihn der Bericht.

Am Donnerstag dann die Richtigstellung: Die Zahl der "überfallartigen Vergewaltigungen" sei nur von 68 auf 71 gestiegen, eine Veränderung von nicht mal fünf statt 50 Prozent. Bei tatverdächtigen Zuwanderern stieg die Zahl der Fälle von neun auf 17. Tatsächlich seien bei den angesprochenen 685 "Vergewaltigungsfällen" auch Fälle wie schwere sexuelle Nötigungen enthalten. Das kann schon die Berührung der bedeckten Genitalien sein. Denn zwischen den vom bayerischen Innenministerium verglichenen Zeiträumen der ersten Halbjahre 2016 und 2017 wurde der Vergewaltigungs-Paragraph 177 des Strafgesetzbuchs verschärft. "Jetzt reicht ein 'Nein!' des Opfers für die Strafbarkeit des reformierten 'Vergewaltigungs-Paragraphen' 177 StGB aus", erklärte Hermann den neuen Straftatbestand in der aktualisierten Pressemitteilung. Die Zahlen von 2016 sind also überhaupt nicht mit denen aus dem Jahr 2017 vergleichbar.


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Juristen hatten schon kurz nach der Veröffentlichung des aktuellen Berichts erklärt, dass der Anstieg wegen der Gesetzesänderung "gewissermaßen zu erwarten" gewesen sei. Zudem sei durch öffentliche Debatten die Sensibilität in der Bevölkerung und die Anzeigebereitschaft generell größer. Ohne eine ausführlichere Untersuchung ist daher schwer zu sagen, warum im ersten Halbjahr 2017 mehr "überfallartige Vergewaltigungen" von Zuwanderern festgestellt wurden.

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Die CSU zündelte dennoch mit den Zahlen und als die Partei sie eine Woche später dann doch zurücknehmen wollte, brannte es schon lichterloh. Denn kurz darauf tauchten die schiefen Zahlen bei jenen auf, denen sie in die Karten spielen: rechten Gruppen im Wahlkampf.

"Ohne die massenhaften illegalen Grenzübertritte hätte es auch nicht den explosionsartigen Anstieg an Vergewaltigungen gegeben", schlussfolgerte die rechte Internetseite PI News unter der Überschrift: "Bayern: Vergewaltigungen + 48%!" Auch AfD-Anhänger in Bayern sprangen auf den Zug auf. "CDU/CSU, SPD, GRÜNE, LINKE – Was habt ihr uns da nur ins Land geholt", twitterte etwa User AfDKinzingtal.

Warum verbreitet die CSU so kurz vor der Bundestagswahl diese Zahlen, von denen sie wissen müsste, was sie auslösen? Ministerpräsident Horst Seehofer habe diesen Schritt "im Kampf gegen die AfD und für eine Flüchtlingsobergrenze" angeblich "für sehr nützlich" gehalten, schreibt die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf Parteikreise.

Das aber ging nach hinten los. Denn nicht die CSU, sondern die AfD profitierte letztendlich davon: Sie gewann laut der neuen Sat.1 Bayern-Umfrage einen Prozentpunkt, die Union verlor einen.

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